Das europäische Kino ist tot – Teil 2 – Backwoods - Die Jagd beginnt!
Wer von euch kennt Koldo Serra?
Wer von euch hat mitbekommen, dass sich Sylvie und Rafael van der Vaart getrennt haben?
Für alle die es nicht wissen, das ist diese kleine nervige blonde Frau auf einem Kölner Privatsender, die dort Casting- und Tanzshows moderiert und bei weitem nicht den Charme eines Rudi Carells besitzt.
Ach man ich wollte das mit der Medienhetze doch lassen.
Das sind diese Überschriften wie in dieser Zeitung, das kommt automatisch in die Finger, aber ernsthaft, wer kennt Koldo Serra?
Inhalt: Das Baskenland 1978.
Norman (Paddy Considine) und seine Frau Lucy (Virginie Ledoyen eigentlich Virginie Fernandez), sowie Normans ehemaliger Chef Paul (Gary Oldman) und seine Frau Isabel (Aitana Sánchez-Gijón), machen einen Ausflug in die Natur.
Außer Paul, der Halspanier ist und in der Gegend aufwuchs und Norman sind die Damen von dem Trip nicht sehr begeistert, Stadtmenschen eben.
Bei einem Zwischenstop in einem Dorf lernt man die hiesigen Dorfbewohner kennen und es kommt zu einem Zwischenfall mit Lucy und einem der Bewohner und man macht sich weiter auf den Weg.
Paul hat sich ein Grundstück mitten in einer abgelegenen Waldgegend gekauft und restauriert es Stück für Stück.
Es dauert nicht lange bis Lucy und Norman aneinander geraten, da es seit einer Fehlgeburt in ihrer Ehe kriselt.
Paul nimmt Norman am nächsten Morgen mit zur Jagd und beide entdecken in einem abgelegenen und verlassenen Haus ein eingesperrtes und verwahrlostes junges Mädchen (Yaiza Esteve).
Erst auf dem zweiten Block fällt den beiden auf, dass das Mädchen deformierte Hände hat.
Sie beschließen es mitzunehmen und zur Polizei zu gehen.
Zurück im Haus, geben sie das Mädchen in die Obhut ihrer Frauen und überlegen sich die nächsten Schritte, doch bevor sie zur Polizei können klopft es an der Tür.
Es sind vier von den Dorfbewohnern (Lluís Homar, Jon Ariño, Kandido Uranga und Andrés Gertrudix) die ihre verschwundene Schwester suchen.
Paul geht mit ihnen mit um sie nach Norden zu locken während Norman mit dem Mädchen nach Süden zur Polizei soll, doch als sich die Männer trennen, gerät der Plan ins Wanken…
Kennt ihr noch die 1970er und ihre dreckigen Filme?
Die Zeit in der im europäischen und amerikanischen Kino noch in fast jedem Genre gemordet, vergewaltig und geschlitzt wurde?
Die Moral war fragwürdig, Diskussionen wurden ausgelöst, aber Spaß hat es gemacht.
Ich sehe „Backwoods“ als Hommage an diese Zeit, viele warfen ihm vor von dort zu klauen.
„Backwoods“ ist Koldo Serras erster und einziger abendfüllender Film.
Er hatte es schwer das Script an einem Produzenten zubringen, eben weil er nur Kurzfilme gemacht hatte und der Film in einem Genre angesiedelt ist, was heute leider nicht mehr so zieht.
Das der Film in den 1970ern spielt, ist keine Anspielungen an die Genreperlen sondern Mittel zum Zweck.
Ab den technischen Fortschritten der 1980er wurde es zunehmend schwerer sich im Wald zu verlaufen und es hätte nicht gewirkt.
So kommt eine sehr abgeschiedene und hilflose Stimmung ohne Handy und CO auf.
Guckt man den Film kommen einem unweigerlich zwei Filme in den Sinn „Wer Gewalt sät“ (1971) und „Beim Sterben ist jeder der Erste“ (1972).
Zu Peckinpahs Meisterwerk findet man viele Parallelen, ohne, dass der Film ein Plagiat dessen wird.
Er diente als Inspiration verkommt aber nicht zu einem schlechten Remake.
Die Szenen und die Einsamkeit im Wald, sowie der daraus resultierende Überlebenskampf erinnern stark an „Beim Sterben ist jeder der Erste“ oder „Eden Lake“, erreicht aber nicht deren Intensität.
Auch die Abkehr der Stadt und die Flucht in die Natur, welche Paul antreibt erinnert stark an das Meisterwerk von John Boorman.
Hauptinspiration war aber und ohne Frage „Wer Gewalt sät“.
Wenn man sich an einem so einflussreichen Film anlehnt muss man mit Vergleichen rechnen.
Da zieht „Backwoods“ dann leider den Kürzeren, da er in keinen Belangen an die Wucht, mit der einem Peckinpahs Film trifft herankommt.
Das soll jetzt aber nicht falsch verstanden werden, „Backwoods“ ist schon intensiv nur wirklich im direkten 1:1 Vergleich muss man leider ehrlich sein, für sich alleine ist er ein Topfilm und eine phantastische Hommage.
Serra schafft es die Spannung von dem ruhigen Beginn bis zum Schluss kontinuierlich zusteigern.
Er tritt eine Spirale der Gewalt los, die sich Stück für Stück nach oben schraubt und nach und nach alle Hemmungen bei den Protagonisten fallen lässt.
Jeder will nur noch seine Haut retten, egal was er dafür tun muss und so handeln bald alle Person nur noch instinktiv aus Affekt.
Trotz der Gewalt durchzieht den Film ein roter Faden, eine Kritik.
Kritik an der Kommunikationsfaulheit.
Wie?
Damit ist nicht Facebook und das allgemeine Auskotzen über den Momentanen Zustand gemeint.
Kein „Ich habe gerade ein Schnitzel gegessen, ah lecker!“ und zwölf Stunden später „Das Schnitzel ist gerade wieder rausgekommen, uh Scheiße!“.
Ah, schon wieder, das macht die Überschrift.
Nein, eine Kritik das niemand mehr ehrlich mit seinem Gegenüber wichtige Dinge besprich, überhaupt Dinge ausspricht.
Wer kennt es nicht, statt man ein Problem offen ausspricht, andere um Hilfe bitte sitzt man es lieber aus und macht es zum Teil schlimmer.
Es fängt schon zu Beginn an, mit Lucy und Norman, die allen Anschein nach nie effektiv über die Fehlgeburt sprachen, was Stück für Stück droht ihre Ehe zu zerstören.
Selbst Paul und Isabel sprechen nicht wirklich miteinander und spätestens beim Finale trifft einem die Wucht der Botschaft voll und lässt einem mit einem ungutem Gefühl zurück und zwingt einem zum nachdenken, wenn man es denn will und sich nicht nur berieseln lässt.
Ich liebe Gary Oldman, im Ernst.
Der Mann ist einer der größten Charakterdarsteller unserer Zeit, der beinahe von Hollywood verheißt wurde.
Seine Karriere war festgefahren, er war der Böse, der Russe, der Waffenhändler, der Zuhälter, wir brauchen noch einen Bösewicht was macht Oldman?
Das tragische, Oldman schaffte es selbst bei den bescheuertsten eindimensionalsten Rollen die man ihm hinwarf, ihnen seinen Stempel aufzudrücken und zu schauspielern.
Für mich war sein Tiefpunkt in Wolfgang Petersens Propagandafilm „Air Force One“ gekommen, bei dem ich mich bis heute noch frage warum Herr Ford dort zugesagt hat.
Ein platter schwarz und weiß gezeichneter Actionfilm wie er eigentlich nur unter Ronald Reagan auf die Menschheit hätte losgelassen werden können und dennoch spielt Oldman alle als Ivan Korshunov an die Wand.
Oldman ist Schaupieler durch und durch und lernte selbst für die schlechtesten Rollen Dialekte und Verhaltensweisen.
Doch wie zu erwarten war, war irgendwann Schluss, genaugenommen nach „Rufmord – Jenseits der Moral“ (toller Film!).
Vier Jahre versank er in der Versenkung, ausgenommen der hervorragende „Interstate 60“, bis er sich ganz langsam fast unauffällig durch Harry Potter und Batman wieder nach oben kämpfte.
Auf einmal wurde er als Charakterdarsteller wahrgenommen und dann kommt ein unbekannter Regisseur daher und will einen Independentfilm in Spanien drehen.
Was mich zu dem Punkt bringt warum ich Gary so liebe.
Er gibt einen Scheiß.
Wenn ihm ein Projekt und ein Script gefällt (und er nicht nur Geld braucht), ist es ihm egal wer den dreht und wie groß er ist.
Ihm gefiel das Script, er wollte mitspielen und er tat es und es tat ihm gut.
Er durfte schauspielern und es machte ihm spaß, was man sieht und spürt wenn man den Film guckt.
Das Zusammenspiel zwischen ihm und Lluís Homar ist phantastisch und wie man im Making Of erfährt verstanden sich die beiden auch beim Dreh miteinander.
An Lluís Homar kommt man, wenn man sich mit dem jüngeren spanischen Kino auseinandersetzt nicht Drumherum.
„Logic Room - Der Tod ist unberechenbar“, „Cobardes“, Sterben (oder nicht)“, „Zerrissene Umarmungen“ oder „Julia's Eyes“ um ein paar zu nennen.
Er ist wirklich, was die Darstellungen der inneren Empfindungen der Figuren angeht, ein ganz Großer.
So auch hier.
Man sieht ihm bei allem was er tut an, dass er es eigentlich nicht will aber muss, weil er nicht anders kann, sei es weil er es nicht anders lernte oder weil es sein Stolz oder seine Pflicht es von ihm verlangt.
Das macht er mit einer unglaublichen äußeren Ruhe, aber seine Augen verraten seine Gefühle.
Ich beziehe mich da auf das Gespräch mit Oldman im Wald oder die Szene in der er von seinem Bruder hört.
Eine wirklich ganz große Leistung.
Virginie Ledoyen, tolle Frau
, spielt die Lucy, erschreckend emotionslos man könnte fast sagen innerlich Tod.
Mit dem Tod ihres Kindes starb ihre Liebe zu Norman oder vielleicht sogar komplett.
Das zickige Verhalten dient als Schutz, sie baut einen Gefühlsschild um sich auf und Norman kann ihn nicht durchbrechen.
Paddy Considine spielt Norman eher gleichgültig, ihm scheint alles egal zu sein und mit seinen Emotionen hat er wohl nie gelernt umzugehen, geschweige sie auszusprechen, etwas was einem heute öfters begegnet, vor allem in einigen Branchen gelten Gefühle heutzutage als Schwäche.
Er scheint den Tod des Kindes abgeharkt zu haben, anders als Lucy doch keine spricht darüber, doch man streitet sich über fast alles.
Aitana Sánchez-Gijón („Der Maschinist“) spielt ihren Part gut hat aber leider keinen großen Spielraum im Film.
Jon Ariño, war mir vor diesem Film komplett unbekannt, kein wunder viele Filme hat er nicht vorzuweisen.
Aber wie er hier diesen schleimigen, perversen, dreckigen und durch und durch unsympathischen Hinterwäldler spielt ist schon beachtlich.
Generell gelang es Serra eine ausgezeichnete Auswahl an Schauspielern zusammen zutrommeln, musste er ja auch, schließlich kann er und sie sich schlecht, bedingt durch den Minimalismus des Waldes, hinter opulenten Kulissen verstecken.
Durch tolle Darsteller, vor allem Oldman und Homar, dem baskischen Wald, einer bedrohlichen Atmosphäre und einem soliden Drehbuch, gelingt es Serra, einen guten überdurchschnittlichen Einstand hinzulegen und ich hoffe man sieht noch mehr von ihm.
Zu guter letzt, der Soundtrack ist klasse!
Fazit: Packender Waldthriller mit Anlehnungen an die großen Zwei des Genres.
Eine Hommage ohne zuklauen und eine Charakterstudie über Menschen in extremen Situationen, die doch nur miteinander reden müssten.
Großes minimalistisches, aber leider unbeachtetes Ensemble- Kino.
Teil 1: Carlos, der Schakal
Teil 2: Backwoods - Die Jagd beginnt!
Teil 3: Cleanskin - Bis zum Anschlag
Teil 4: Dame, König, As, Spion
Teil 5: Fragile - A Ghost Story