Moby Dick (1956)
MOBY DICK kann ich wohl mit Fug und Recht als meinen ersten Lieblingsfilm bezeichnen. Als ich ihn zum ersten Mal sah - es muß im frühen Grundschulalter gewesen sein -, war ich schlichtweg überwältigt. Einen Sieg der Kreatur über den Menschen, und das auch noch so dargestellt, daß man das Gefühl hat, hier geschieht Gerechtigkeit, hatte ich nie zuvor gesehen. Obwohl sich mein cineastischer Geschmack seitdem natürlich grundlegend verändert hat, konnte mich dieser Film, wenn ich ihn über die Jahre hinweg mal wieder zu sehen bekam, jedesmal aufs neue überzeugen. Nun habe ich mir vor kurzem die DVD zugelegt und mir diesen Klassiker mit einigen Jahren Abstand ein weiteres mal zu Gemüte geführt: Wieder einmal konnte er mich voll in seinen Bann ziehen.
Da der Film in meinen Augen nichts an seiner Faszination verloren hat, war ich regelrecht erstaunt, als ich in mehreren Online-Reviews die Bemerkung fand, daß er heutzutage langatmig wirke. Ein solches Urteil beruht meines Erachtens auf einer falschen Erwartungshaltung. Wer in erster Linie flotte Unterhaltung suchte, wurde schon in den 50er Jahren weitaus besser bedient als hier; ich erinnere nur an DER ROTE KORSAR und SINDBADS 7. REISE, wenn nebenbei auch ein Schuß Seefahrtromantik gefragt ist. MOBY DICK ist mit diesen Filmen aber nur bedingt zu vergleichen. Er enthält zwar ebenfalls Actionszenen und phantastische Elemente, seine Wirkung geht jedoch in weitaus größerem Maße von den philosophisch-religiösen Dimensionen aus, die in der Geschichte, die er erzählt, berührt werden. Eine actionorientierte Inszenierung des Stoffes, wie sie sich die erwähnten Rezensenten offenbar wünschen, wäre der Vorlage wohl kaum gerecht geworden.
Herman Melvilles Roman wirkt auf den ersten Blick recht sperrig. Selbst enggedruckte Ausgaben haben in der Regel deutlich über 500 Seiten und er besteht zu einem beträchtlichen Teil aus Exkursen, Reflektionen und inneren Monologen, welche die Handlung nicht vorantreiben, sondern sie nur aus verschiedenen Winkeln beleuchten und auf diese Weise das Geschehen für den als Landratte gedachten Leser verständlicher machen. Trotz dieser Konzeption versteht sich das Buch, wie nicht nur aus dem Epilog hervorgeht, als ein Drama. Diesen dramatischen Kern haben John Huston und Ray Bradbury aus dem Roman herausgeschält und gerade so viel Fleisch daran gelassen, daß sie ihre Geschichte plausibel erzählen konnten. Was dabei herausgekommen ist, ähnelt - durchaus in Übereinstimmung mit der Vorlage - in mancher Hinsicht einer griechischen Tragödie. Die antiken Tragödiendichter schöpften aus einem reichen Sagenfundus, der durchaus auch ihrem Publikum wohl bekannt war, und darüber hinaus gaben sie diesem häufig schon im Prolog deutliche Hinweise darauf, welche Züge des jeweiligen Mythos sie in ihrem Stück zu betonen gedachten. Spannung im modernen Sinn konnte also kaum aufkommen. Ähnlich verhält es sich auch bei MOBY DICK. Schon in der Exposition werden sowohl die tragenden Motive als auch der grobe Ablauf der Handlung vorweggenommen. Ersteres leistet die Predigt von Pater Mapple, der die Geschichte von Jonas erzählt und dabei dessen Versuch, sich dem Auftrag Gottes durch Flucht auf einem Schiff zu entziehen, mit klaren Worten als einen Akt der Hybris charakterisiert und deutlich macht, daß so etwas nicht ungesühnt bleiben kann. Was hingegen konkret geschehen wird, erfahren wir aus dem Munde des prophetischen Elias. Der Zuschauer weiß also schon, bevor die Pequod in See sticht, was ungefähr passieren wird, und kann sich nun voll darauf konzentrieren, auf welche Weise sich das Angedeutete im weiteren Verlauf entfalten wird.
Trotz dieser Vorwegnahmen geschieht die Entfaltung recht eindrucksvoll: Schon bei Kapitän Ahabs erstem Auftritt wird deutlich, daß dieser Mann der Hybris verfallen ist, jener Geisteshaltung, die dazu führt, daß man sich selbst und seine Mittel maßlos überschätzt und an Normen rüttelt, die für ein harmonisches Miteinander grundlegend sind. In seinem wahnsinnigen Haß auf den Wal, der ihn einst verstümmelte, läßt er all diejenigen, die darauf angewiesen sind, ihren Lebensunterhalt aus den Gewinnen der Fahrt zu bestreiten, im Stich, und mißbraucht das ihm zur Verfügung gestellte Schiff für seinen persönlichen Rachezug, der sich in seinen Augen nicht gegen ein Tier, sondern eine regelrechte Manifestation des Bösen richtet. Ahab verletzt also nicht nur die menschlichen Normen, sondern erhebt sich in seinem Vorsatz, dieses Böse zu vernichten, über seinen eigenen Status als Mensch und stellt sich auf die Stufe eines Erzengels.
In der Vorstellungswelt der griechischen Tragödie läßt bei einem solchen Verhalten ein anderes Phänomen nicht lange auf sich warten: die Ate - ein Begriff, der zum einen die konkreten Akte, die der Hybris entspringen, bezeichnet, zum anderen aber auch die schädlichen Konsequenzen, die aus ihnen entstehen. Und auch die Handlung von MOBY DICK verläuft nach einem Schema, das dieser Vorstellung entspricht. Unmittelbar nachdem Ahab zur Bestürzung der gesamten Mannschaft den üppigsten Fang, an den sich die Männer erinnern können, abgebrochen hat, um seine Rache pünktlich erfüllen zu können, setzen deutliche Zeichen dafür ein, daß der Kurs, den der Kapitän eingeschlagen hat, zu keinem guten Ende führen wird. Ein Mann geht über Bord und taucht nie wieder auf, eine langanhaltende zermürbende Flaute setzt ein und schließlich gerät das Schiff in ein fürchterliches Unwetter. Doch Ahab übersieht diese Vorzeichen, ja mißdeutet sie sogar. Während sich Jonas in der Predigt seiner eigenen Hybris bewußt wurde, als der Sturm ihn auf See heimsuchte, sieht er in ihm einen günstigen Wink des Schicksals. Aus dieser Verstrickung kann er sich nicht mehr lösen. Die Folgen seines Handelns treffen ihn schließlich mit voller Wucht. Die Jagd auf Moby Dick kostet ihm und seiner gesamten Mannschaft das Leben. Nur ein einziger Mann überlebt die Katastrophe, ... um uns von diesem Verhängnis zu berichten.
Die Geschichte, die in MOBY DICK erzählt wird, dient nicht nur der Unterhaltung, sie beinhaltet auch eine Warnung - eine Warnung davor, sich gegen die Mächte der Natur aufzulehnen. Die "Längen", die man dem Film attestiert, dienen größtenteils dazu, dem Zuschauer diese metaphysische Ebene des Geschehens zu verdeutlichen. Die Warnung, die uns hier gegeben wird, kann man natürlich allgemein auffassen und liegt damit sicherlich nicht falsch, doch sie könnte eventuell - ich bin immer vorsichtig bei historischen Interpretationen - auch konkreterer Natur sein. Denn während die genaue Strategie Ahabs in der Romanvorlage offen bleibt, berechnet er im Film einen bestimmen Ort voraus, an dem er den weißen Wal zu treffen gedenkt: das Bikini-Atoll. Den Mitgliedern dieses Forums, erfahren mit atomar verseuchten Geschöpfen, brauche ich sicherlich nicht zu sagen, welcher Akt der menschlichen Hybris sich dort in jenem Jahrzehnt, in dem der Film entstand, abgespielt hat. Ob man diesen Interpretationsansatz annehmen will, bleibt jedem selbst überlassen. Festzuhalten bleibt aber auf jeden Fall, daß einiges an John Hustons MOBY DICK gewiß veralten kann - wie z.B. die Tricktechnik oder die Besetzung der Rolle des Quiqueg mit einem europiden Schauspieler -, der Kern der Geschichte jedoch zeitlos ist. Daher werde ich mir den Film gewiß noch so manches Mal ansehen können, ohne dabei Langeweile zu empfinden.
Gruß
Gezora