Phantastische Radiotipps
Verfasst: So 09.01.2005, 13:15
Wie manche vielleicht schon wissen, laufen viele erstklassige Hörspiele, von denen man einige für viel Geld auch auf CD erwerben kann, auch im Radio - nur leider verpasst man sie meist, oder kann den Sender nicht empfangen.
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Januar:
Metropolis
DLF - Samstag, 22. Januar 2005, 20:05 Uhr
Deutschland 2001, 65 Minuten, Deutsch
Auszeichnungen: Hörspiel des Monats, Hörspiel des Jahres (ARD)
Thea von Harbous 1925 veröffentlichter Roman 'Metropolis' ist ein früher Klassiker des Sciencefictions und seit langem vergriffen. Der Roman und das Drehbuch zur legendären Verfilmung von Fritz Lang bilden die Grundlage für die Radiobearbeitung, die der Autor und Filmexperte Michael Farin für den Bayerischen Rundfunk schrieb.
Eine "Menschheitssymphonie von brausender Melodik und ehernem Rhythmus", warb die UFA 1926 bei der Uraufführung für den Stummfilm 'Metropolis'. Die grandiose Zukunftsversion und der Gartenlaubenkitsch der Vorlage, der Sexismus aus männlichem Wolkenkratzer und weiblichem Aufwiegeln wird musikalisch überhöht, kommentiert, gebrochen. Michael Farin und die Komponisten Laar/Zeitblom bringen dieses drakonisch geordnete, "gigantische Ballett" (Luis Buö±uel) in eine moderne Unordnung, sie verwandeln den Stummfilm in einen Klangrausch.
Zum Inhalt: Während in der lichtlosen Unterstadt die Arbeiter wie Sklaven hausen, lebt die Gesellschaft der Oberstadt in einer Welt des Luxus. Herr über Menschen und Maschinen ist Fredersen, das "Hirn von Metropolis". Seine Gegenspielerin ist Maria, "die Heilige der Unterdrückten". Freder, der blonde Sohn des Herrschers, verliebt sich in sie und folgt ihr in die Katakomben. Sein Vater bittet den Magier Rotwang, eine "falsche Maria" zu erschaffen, einen künstlichen Menschen, der Maria aufs Haar gleicht. Die Doppelgängerin wiegelt die Massen auf. Mit der Zerstörung der Maschinen droht der Untergang.
Harbou stellte ihrem Roman ein Motto voran: "Dieses Buch ist kein Gegenwartsbild. Dieses Buch ist kein Zukunftsbild. [...] Dieses Buch dient keiner Tendenz, keiner Klasse, keiner Partei. Dieses Buch ist ein Geschehen, das sich um eine Erkenntnis rankt: Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein." Der letzte Satz wird im Film von der weiblichen Hauptfigur Maria wiederholt. Harbous Aussagen riefen immer wieder starken Protest hervor. 1946 schrieb Siegfried Kracauer in seinem Standardwerk 'Von Caligari zu Hitler': "Auf Freders Vorschlag hin reichen sich sein Vater und der Vorarbeiter die Hand, und Maria gibt dieser symbolischen Allianz von Arbeit und Kapital ihren Segen. [...] Tatsächlich könnte Marias Forderung, dass das Herz zwischen Hand und Hirn vermitteln muss, auch von Goebbels stammen."
Hörspiel des Jahres 2001 - Die Begründung der Jury:
Der Stummfilm Metropolis von Fritz Lang nach dem Roman von Thea von Harbou stand mit seiner Idee einer Versöhnung von Kapital und Arbeit der Nazi-Ideologie gefährlich nah. Es bedeutete deshalb kein geringes Wagnis, den 1929 entstandenen Film als radiophone Retrospektive wieder zu beleben. Michael Farin und Bernhard Jugel haben einerseits das Pathos der Vorlage klar herausgestellt und zugleich den Versuch unternommen, für die monströse Großstadtvision Fritz Langs ein zeitgenössisches akustisches Pendant zu finden. Trotz deutlicher Überzeichnung wirkt die Emphase der Schauspieler gelegentlich befremdlich. Die Erzählsequenzen und Dialoge des Hörspiels gerieten durchaus melodramatisch, es gelang jedoch insgesamt, Kitsch durch Strenge zu vermeiden. Elegant haben Bearbeiter und Regisseur mit audiophonen Mitteln Räume charakterisiert und Handlungsabläufe durch Auszüge aus dem Roman nachskizziert. An kollektiv erinnerten Bildern entlang (Metropolis wurde jüngst auch im Fernsehen gezeigt) entfaltet das Hörspiel eine eigene Version der für die Ästhetik des Kinos so einflussreichen Darstellung der Zukunftsstadt: die extreme Kälte eines Lebens in den Gebäude-Waben von Metropolis und in detailliert diktierten Abläufen wird fast körperlich spürbar. Die Geräusch-Musik von Kalle Laar und Georg Zeitblom ist hierfür ein weiterer Schlüssel. Wie unentwegte elektrische Entlandungen äußert sich ein ostinates Knistern, hinzu treten abstrakte Maschinengeräusche und ein verfremdetes Glockenläuten. Das Markante dieser Produktion liegt in ihrem Kunstgriff, gezielt die Erinnerung an Kinobilder für sich zu nutzen. Die Jury begrüßt, dass das Stück sich, entgegen dem anhaltenden Trend der Literaturbearbeitungen im Hörspiel, dem Medium Film geöffnet hat. Nicht um ihm nachzueifern, sondern um sich mit einem einflussreichen Bildmedium des 20. Jahrhunderts auseinander zu setzen. Radio bezieht sich hier nicht lediglich auf Kino, sondern macht es sich dienstbar, indem es sich dessen Bilder (und Texte) aneignet und ihnen einen selbständigen Ton abgewinnt.
Zugleich berührt Metropolis auch ein heute weiter aktuelles Thema: Die Konfrontation des Einzelnen mit der Moderne (die für uns Heutige längst eine Nach-Post-Moderne geworden ist), und mit deren Hervorbringungen - der Großstadt mit ihrem sozialen Gefüge, der Menschenmasse. Farin beleuchtet diese Situation im Moment ihrer größten Krise, nämlich den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, ohne sie zu historisieren. Geschichte und Aktualität gehen in diesem Hörspiel eine Symbiose ein - dass das Stück darüber hinaus ausgerechnet mit der Ästhetik eines Stummfilms spielt, wirkt überaus ironisch.
Mitglieder der Jury: Frank Kaspar, Frank Olbert, Waldemar Schmid
Mit:
Erzähler: Peter Fricke
Freder: Jan Neumann
Maria: Jule Ronstedt
Joh Fredersen: Joachim Höppner
Fredersens Mutter: Helga Roloff
Rotwang: Werner Haindl
Der Schmale: Jens Harzer
Josaphat: Heiko Raulin
Quelle: Hördat
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Januar:
Metropolis
DLF - Samstag, 22. Januar 2005, 20:05 Uhr
Deutschland 2001, 65 Minuten, Deutsch
Auszeichnungen: Hörspiel des Monats, Hörspiel des Jahres (ARD)
Thea von Harbous 1925 veröffentlichter Roman 'Metropolis' ist ein früher Klassiker des Sciencefictions und seit langem vergriffen. Der Roman und das Drehbuch zur legendären Verfilmung von Fritz Lang bilden die Grundlage für die Radiobearbeitung, die der Autor und Filmexperte Michael Farin für den Bayerischen Rundfunk schrieb.
Eine "Menschheitssymphonie von brausender Melodik und ehernem Rhythmus", warb die UFA 1926 bei der Uraufführung für den Stummfilm 'Metropolis'. Die grandiose Zukunftsversion und der Gartenlaubenkitsch der Vorlage, der Sexismus aus männlichem Wolkenkratzer und weiblichem Aufwiegeln wird musikalisch überhöht, kommentiert, gebrochen. Michael Farin und die Komponisten Laar/Zeitblom bringen dieses drakonisch geordnete, "gigantische Ballett" (Luis Buö±uel) in eine moderne Unordnung, sie verwandeln den Stummfilm in einen Klangrausch.
Zum Inhalt: Während in der lichtlosen Unterstadt die Arbeiter wie Sklaven hausen, lebt die Gesellschaft der Oberstadt in einer Welt des Luxus. Herr über Menschen und Maschinen ist Fredersen, das "Hirn von Metropolis". Seine Gegenspielerin ist Maria, "die Heilige der Unterdrückten". Freder, der blonde Sohn des Herrschers, verliebt sich in sie und folgt ihr in die Katakomben. Sein Vater bittet den Magier Rotwang, eine "falsche Maria" zu erschaffen, einen künstlichen Menschen, der Maria aufs Haar gleicht. Die Doppelgängerin wiegelt die Massen auf. Mit der Zerstörung der Maschinen droht der Untergang.
Harbou stellte ihrem Roman ein Motto voran: "Dieses Buch ist kein Gegenwartsbild. Dieses Buch ist kein Zukunftsbild. [...] Dieses Buch dient keiner Tendenz, keiner Klasse, keiner Partei. Dieses Buch ist ein Geschehen, das sich um eine Erkenntnis rankt: Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein." Der letzte Satz wird im Film von der weiblichen Hauptfigur Maria wiederholt. Harbous Aussagen riefen immer wieder starken Protest hervor. 1946 schrieb Siegfried Kracauer in seinem Standardwerk 'Von Caligari zu Hitler': "Auf Freders Vorschlag hin reichen sich sein Vater und der Vorarbeiter die Hand, und Maria gibt dieser symbolischen Allianz von Arbeit und Kapital ihren Segen. [...] Tatsächlich könnte Marias Forderung, dass das Herz zwischen Hand und Hirn vermitteln muss, auch von Goebbels stammen."
Hörspiel des Jahres 2001 - Die Begründung der Jury:
Der Stummfilm Metropolis von Fritz Lang nach dem Roman von Thea von Harbou stand mit seiner Idee einer Versöhnung von Kapital und Arbeit der Nazi-Ideologie gefährlich nah. Es bedeutete deshalb kein geringes Wagnis, den 1929 entstandenen Film als radiophone Retrospektive wieder zu beleben. Michael Farin und Bernhard Jugel haben einerseits das Pathos der Vorlage klar herausgestellt und zugleich den Versuch unternommen, für die monströse Großstadtvision Fritz Langs ein zeitgenössisches akustisches Pendant zu finden. Trotz deutlicher Überzeichnung wirkt die Emphase der Schauspieler gelegentlich befremdlich. Die Erzählsequenzen und Dialoge des Hörspiels gerieten durchaus melodramatisch, es gelang jedoch insgesamt, Kitsch durch Strenge zu vermeiden. Elegant haben Bearbeiter und Regisseur mit audiophonen Mitteln Räume charakterisiert und Handlungsabläufe durch Auszüge aus dem Roman nachskizziert. An kollektiv erinnerten Bildern entlang (Metropolis wurde jüngst auch im Fernsehen gezeigt) entfaltet das Hörspiel eine eigene Version der für die Ästhetik des Kinos so einflussreichen Darstellung der Zukunftsstadt: die extreme Kälte eines Lebens in den Gebäude-Waben von Metropolis und in detailliert diktierten Abläufen wird fast körperlich spürbar. Die Geräusch-Musik von Kalle Laar und Georg Zeitblom ist hierfür ein weiterer Schlüssel. Wie unentwegte elektrische Entlandungen äußert sich ein ostinates Knistern, hinzu treten abstrakte Maschinengeräusche und ein verfremdetes Glockenläuten. Das Markante dieser Produktion liegt in ihrem Kunstgriff, gezielt die Erinnerung an Kinobilder für sich zu nutzen. Die Jury begrüßt, dass das Stück sich, entgegen dem anhaltenden Trend der Literaturbearbeitungen im Hörspiel, dem Medium Film geöffnet hat. Nicht um ihm nachzueifern, sondern um sich mit einem einflussreichen Bildmedium des 20. Jahrhunderts auseinander zu setzen. Radio bezieht sich hier nicht lediglich auf Kino, sondern macht es sich dienstbar, indem es sich dessen Bilder (und Texte) aneignet und ihnen einen selbständigen Ton abgewinnt.
Zugleich berührt Metropolis auch ein heute weiter aktuelles Thema: Die Konfrontation des Einzelnen mit der Moderne (die für uns Heutige längst eine Nach-Post-Moderne geworden ist), und mit deren Hervorbringungen - der Großstadt mit ihrem sozialen Gefüge, der Menschenmasse. Farin beleuchtet diese Situation im Moment ihrer größten Krise, nämlich den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, ohne sie zu historisieren. Geschichte und Aktualität gehen in diesem Hörspiel eine Symbiose ein - dass das Stück darüber hinaus ausgerechnet mit der Ästhetik eines Stummfilms spielt, wirkt überaus ironisch.
Mitglieder der Jury: Frank Kaspar, Frank Olbert, Waldemar Schmid
Mit:
Erzähler: Peter Fricke
Freder: Jan Neumann
Maria: Jule Ronstedt
Joh Fredersen: Joachim Höppner
Fredersens Mutter: Helga Roloff
Rotwang: Werner Haindl
Der Schmale: Jens Harzer
Josaphat: Heiko Raulin
Quelle: Hördat