Rezension: Gruselkabinett - 106 – Das Traktat Middoth
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Rezension: Gruselkabinett - 106 – Das Traktat Middoth
Gruselkabinett - 106 - Das Traktat Middoth
Zum Inhalt:
1895 sucht der bereits in die Jahre gekommene John Elder eine der bekanntesten Bibliotheken Englands auf, um sich "Das Traktat von Middoth" auszuleihen. Der junge Bibliotheksgehilfe William Garrett macht sich auch sofort auf die Suche, die aber ergebnislos verläuft, da sich bereits ein anderer Besucher mit dem Buch beschäftigt. Als Elder am nächsten Tag erneut nachfragt, geht Garrett wieder los, um ihm das Gewünschte zu holen. Die Zeit vergeht, doch der junge Mann kehrt nicht zurück. Als Elder sich schließlich an den Bibliothekar wendet, erfährt er, daß Garrett etwas zugestoßen ist...
Zur Produktion:
"The Tractate Middoth" erschien erstmals 1911 in dem Band "More Ghost Stories of an Antiquary". Es ist bereits die vierte Hörspieladaption des Labels Titania (nach GK 71 - Der Eschenbaum, GK 92 - Zimmer 13 und GK 101 - Verlorene Herzen) einer Kurzgeschichte des englischen Autors M.R.James (01.08.1862-12.06.1936). Genau wie in seinen anderen Stories, verknüpft James auch hier seine Vorliebe für Antiquarisches mit diversen Gruselelementen. Als Autor perfektionierte er eine Erzählmethode, die man seitdem als "Jamesian" kennt. Eine solche Geschichte beinhaltet folgende Elemente: 1. ein abgelegener (Dorf oder Landhaus) bzw. ehrwürdiger Handlungsort (Kloster oder Universität). 2. ein nicht näher beschriebener, ziemlich naiver Erzähler und 3. die Entdeckung eines alten Buches oder eines anderen antiquarischen Objekts, das entweder der Schlüssel zu einem düsteren Geheimnis ist, einen Fluch über die Protagonisten bringt, oder zumindest die unwillkommene Aufmerksamkeit einer übernatürlichen Bedrohung erregt. Diesem "Strickmuster" folgt auch die vorliegende Geschichte, welche von Skriptautor Marc Gruppe behutsam für das Medium Hörspiel bearbeitet wurde. Neben der Umwandlung von Monologen in Dialoge, welche den Szenen mehr Lebendigkeit verleiht, hat Gruppe einige nicht weiter relevante Stellen gestrichen und im Gegenzug andere Szenen, wie z.B. die Zugfahrt, durch von ihm verfasste Gespräche ergänzt. Zwar fallen auch einige Rollen unter den Tisch, doch die Sätze werden nicht einfach weggelassen, sondern lediglich anderen Personen in den Mund gelegt. Wirklich konträr ist Gruppe gegenüber der literarischen Vorlage nur in einem Punkt: Während der unheimliche Bibliotheksbesucher bei James als eher klein beschrieben wird, ist er hier "großgewachsen". Über die Frage, ob und inwieweit übernatürliche Phänomene einer Auf- bzw. Erklärung bedürfen, kann man natürlich unterschiedlicher Meinung sein. Trotzdem gehört es, wenigstens für die meisten Menschen, einfach dazu, zumindest die Zusammenhänge zwischen diesen Ereignissen und der Handlung zu erfahren. Doch genau das ist hier nicht der Fall. Beide "Phänomene", auf die ich an dieser Stelle nicht näher eingehen will, um dem Leser nicht zu viel zu verraten, geschehen zwar, bleiben aber so bedeutungslos und ohne Erklärung, daß man sich fragt, warum sie überhaupt enthalten sind. Das ist sicherlich ein echter Schwachpunkt der Geschichte, aber dafür ist allein M.R.James als Autor verantwortlich. Ich bin jedenfalls froh, daß Marc Gruppe den Inhalt textgetreu adaptiert hat, ohne der Versuchung zu erliegen, eine "Auflösung" nachzuliefern. Da sich die Kurzgeschichte im englischen Public Domain befindet, kann sie jeder Interessierte unter https://en.wikisource.org/wiki/The_Tractate_Middoth nachlesen und mit dem fast 61minütigen Hörspiel vergleichen.
Wieder einmal haben Stephan Bosenius und Marc Gruppe (Produktion und Regie) eine Geschichte mit viel Aufwand und Hingabe zum Leben erweckt. Die musikalische Untermalung der einzelnen Szenen klingt noch üppiger als sonst, und nicht nur das opulent angelegte Eröffnungsthema weiß zu begeistern. Die Auswahl der Instrumente richtet sich nach den jeweiligen Einzelszenen, so herrschen mal Streichinstrumente vor, während an anderer Stelle Flöte oder Klavier in den Vordergrund treten. Entsprechend der Handlung, fallen beinahe alle Kompositionen sehr düster und getragen aus. Die Geräusche wurden punktgenau gewählt und überzeugen mit ihrem stets natürlichen Klang. Neben einer knarrenden Tür oder dem Prasseln eines Kaminfeuers, hat man außerdem auch noch an solche "Kleinigkeiten", wie das Rücken von Stühlen gedacht. Besonders gelungen finde ich das Geräusch der Gräser, welche während Garretts Gang über die Wiese an seinen Hosenbeinen vorbeistreichen sowie den Halleffekt, der in der Bibliothek zum Einsatz kommt. Es ist diese sorgfältige Herangehensweise, die dem Label zurecht einen solch guten Ruf eingebracht hat.
Zu den Sprechern:
Genau wie bei M.R.James, gibt es auch hier einen Erzähler, der allerdings eher selten zum Einsatz kommt. Wenn er auftritt, dann macht Reinhard Scheunemann seine Sache sehr gut, und die schon etwas raue Stimme passt hervorragend zu dem eher ruhigen Tempo. Constantin von Jascheroff(William Garrett) ist einfach perfekt als junger, hilfsbereiter Mann, der trotz seines schrecklichen Erlebnisses alles daran setzt, die Hintergründe zu erforschen. Ebenso hat mir auch Bernd Rumpf(John Eldred) in seiner Rolle als ungeduldiger, leicht verärgerter Bibliotheksbesucher gefallen. Seine heisere Stimme harmoniert mit dem Part des älteren Mannes, der so dringlich nach dem Traktat sucht. Humoristisches Highlight ist eindeutig Lutz Mackensy(Bibliothekar) als zutiefst gelangweiltes Oberhaupt der Bücherei, der seine Kunden schon fast als Belästigung empfindet. Am besten gefallen hat mir aber Rainer Gerlach(Dr. John Rant) mit seiner Darstellung des abgrundtief boshaften, alten Mannes, der nur dann Freude empfindet, wenn er anderen wehtun kann. Seine extrem fiese Art und sein höhnisches, vor Verachtung triefendes Lachen werden mir noch lange im Gedächtnis bleiben. Herma Koehn(Mrs. Mary Simpson) und Cathlen Gawlich(Miss Maggie Simpson) harmonieren sehr schön als Mutter-Tochter-Gespann. Beide agieren sympathisch, und während sich Koehn entsprechend dem Stand und dem Alter ihrer Rolle eher etwas zurückhaltender gibt, klingt Gawlich wie ein quirliges, lebenslustiges Mädchen. So gelingt es ihr, mit nur wenigen, leichten Untertönen in der Stimme, ein persönliches Interesse an dem jungen Garrett zum Ausdruck zu bringen. Judy Winter(Haushälterin) ist prima als schroffe Bedienstete mit scharfer Zunge, die ihren Hass und ihre Verachtung gegenüber dem Hausherrn deutlich zeigt, und Hans Bayer(Leichenbeschauer) spricht den Leiter der Anhörung mit gebotener Bedächtigkeit. In weiteren Nebenrollen treten Pascal Breuer(Feldarbeiter) als aufgeregte, verwirrte Arbeitskraft, Sabine Trooger(Zimmerwirtin) als kurz angebundene, unfreundliche Vermieterin sowie Marc Gruppe(Schaffner) als dienstbeflissener Bahnangestellter auf. Der Part von Anja Kruse(Frau) ist so klein, daß man schon genau hinhören muss, um ihn überhaupt mitzubekommen.
Fazit:
Gute Adaption einer leider eher schwachen Vorlage.
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