Rezension: Gruselkabinett - 144 - Der gewaltige Gott Pan
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Rezension: Gruselkabinett - 144 - Der gewaltige Gott Pan
Gruselkabinett - 144 - Der gewaltige Gott Pan
Zum Inhalt:
Der zurückgezogen lebende Dr.Raymond hat seinen Freund Mr. Clarke eingeladen, einem ungewöhnlichen Experiment beizuwohnen. Mit Hilfe eines chirurgischen Eingriffs am Gehirn seines siebzehnjährigen Mündels Mary, will der Doktor diese die Welt des Gottes Pan erblicken lassen. Zunächst scheint das ungewöhnliche Unterfangen auch Erfolg zu haben, doch nur wenige Sekunden später wird klar, daß die junge Frau durch die Operation einen bleibenden Hirnschaden davongetragen hat. Das ist jedoch nur der Auftakt zu weiteren schrecklichen Ereignissen...
Zur Produktion:
Hinter dem Pseudonym "Arthur Machen" (Machen war der Mädchenname seiner Frau, den er aus Erbschaftsgründen seinem eigenen hinzufügte) steckt eigentlich der britische Autor Arthur Llewellyn Jones (03.03.1863 - 15.12.1947). Jones war nicht nur Schrifststeller, sondern auch Mystiker und zählt zu den schillerndsten Persönlichkeiten seiner Zeit. Um das Jahr 1890 erschienen seine ersten Arbeiten, unter anderem auch die Kurzgeschichte "The great God of Pan". Diese erweiterte er bis 1894 zu einer Novelle, welche dann zusammen mit der Geschichte "The Inmost Light" in einem Band herausgegeben wurde. Bereits bei Veröffentlichung bezeichneten Kritiker das Werk als degeneriert und aufgrund des angedeuteten sexuellen Inhalts sogar als geradezu abscheulich. Diese negative Bewertung schadete der schriftstellerischen Karriere des Autors enorm, und erst in den 1920er Jahren zollte man ihm die verdiente Anerkennung. Heutzutage gilt die Geschichte als Klassiker der Horrorliteratur. Wer sie gelesen hat, im Internet findet man das englische Original unter https://en.wikisource.org/wiki/The_Great_God_Pan, dem wird es schwerfallen, die damalige Aufregung nachzuvollziehen. Die sexuellen Andeutungen wirken auf uns heute dermaßen harmlos und sind so verklausuliert, daß man schon sehr genau darauf achten muss, um sie nicht sogar zu überlesen.
Insbesondere der Geschlechtswechsel des unheimlichen Wesens, kurz vor dessen Tod, erregte damals den Unmut der Zeitgenossen, eine Angelegenheit, über die wir im Zeitalter von Transgender nur noch lächeln können. Dementsprechend vernachlässigt Skriptautor Marc Gruppe diesen letztgenannten Aspekt auch und wird, im Gegenzug, an anderen Stellen sehr viel deutlicher als Machen. Dennoch bleibt das Hörspiel selbstverständlich jugendfrei und für die auf dem Cover empfohlene Altersgruppe ab 14 Jahren geeignet. Um den Inhalt der doch recht umfangreichen Novelle in knapp 77 Minuten Hörspiel unterzubringen, musste Gruppe einige Kürzungen vornehmen. Dabei handelt es sich vor allem um die ausufernden Beschreibungen von Schauplätzen und Personen bzw. deren Lebensgeschichte sowie diverse lateinische Sätze. Wie üblich hat der Skriptautor außerdem verschiedene Monologe in hörspielfreundlichere Dialoge umgeschrieben, und so manche Begebenheit wird bei ihm von einer anderen Figur erlebt oder erzählt als bei Machen. Diese Streichungen bzw. Veränderungen spielen jedoch für das Verständnis der Handlung keine Rolle, sondern sorgen dafür, daß der Ablauf bis zum Schluß flüssig bleibt. Bei jeder seiner Adaptionen versucht Marc Gruppe, sich so dicht wie möglich an die literarische Vorlage zu halten. Wenn es zu Änderungen kommt, machen diese die Geschichte meist plausibler als zuvor. Stellvertretend sei hier die Szene genannt, in der im Original Lord Argentine vom Haus der Mrs. Beaumont und dessen Ruf berichtet, während die Protagonisten zufällig daran vorbeischlendern und dann darüber sprechen. Der auffälligste Unterschied zwischen der ursprünglichen Geschichte und dem Hörspielmanuskript betrifft jedoch den Schluss. Machen verlässt einfach die bisherigen Protagonisten und führt stattdessen, über einen Brief, eine völlig neue Figur (die des obduzierenden Arztes) ein. Das erzeugt geradezu einen Anti-Klimax und wirkt vor allem sehr aufgesetzt! Gruppe hingegen lässt das Geschehen konsequent weiterlaufen und die Protagonisten, und somit natürlich auch den Hörer, bis zum bitteren Ende "live" dabei sein. Selbiges wirkt, vor allem aufgrund der hervorragenden Inszenierung, übrigens ziemlich brutal, doch Gruppe relativiert dies ein wenig mit einem Satz, der eine zur Handlung passende Abwandlung eines berühmten Westernfilmtitels beinhaltet.
Um dem Hörer einen Schauer über den Rücken zu jagen, bedarf es, neben einer gruseligen Geschichte, auch einer sorgfältigen, atmosphärisch dichten Inszenierung, ein Gebiet, auf dem Stephan Bosenius und Marc Gruppe wahre Künstler sind. Schon in der Eröffnungsszene machen die beiden klar, wohin die Reise gehen wird. Zwar hört man zunächst die typischen Geräusche einer lauen Spätsommernacht, wie zirpende Insekten, rufende Nachtvögel, eine leise Brise und raschelnde Blätter und Gräser, welche eine friedliche, entspannte Stimmung suggerieren, doch ganz im Hintergrund ist bereits eine düstere, bedrohlich wirkende Melodie zu hören. Diese bedrückende Stimmung setzt sich dann in der Anschlussszene im Labor mit seinen blubbernden Mixturen und zischenden Bunsenbrennern fort. Spätestens zum Beginn der Operation, welche mit matschig-schmatzenden Geräuschen untermalt wird, ist das Grauen omnipräsent. Obwohl es keine gruselige Szene ist, hat mir das akustische Design der Londoner Nebenstraße mit den in einiger Entfernung vorbeifahrenden Kutschen und dem sonstigen Straßenlärm besonders gut gefallen. Es ist diese durchgehend sorgsame Art und Weise der Inszenierung, mit der sich Stephan Bosenius und Marc Gruppe zurecht einen Namen gemacht haben.
Für die musikalische Untermalung greifen die beiden instrumentell hauptsächlich auf Klavier und Geige zurück, passend zu der Geschichte einer alten Gottheit, kommen aber außerdem Harfe und ein Chor zum Einsatz. Letzter ist es auch, der sinnigerweise die Handlung melodisch abschließt. Da die beiden Produzenten ganz auf die Wirkung der von ihnen präsentierten Geschichte setzen, verzichten sie weitgehend auf Effekte. Lediglich gegen Ende des Hörspiels unterlegen sie einige Sätze mit einem Halleffekt, um zu verdeutlichen, daß es sich dabei um die Erinnerung bzw. Gedanken eines der Protagonisten handelt.
Zu den Sprechern:
Die dekadenumspannende Handlung erfordert eine umfangreiche Sprecherriege, die Titania aber auch liefert.
Michael-Che Koch(Mr. Villiers) ist hier Erzähler und Protagonist in einer Person. In der Funktion des Erzählers kommt er jedoch nicht sehr häufig zum Einsatz, stattdessen darf er die ganze Bandbreite seiner darstellerischen Kunst zeigen. Während er zu Beginn eher skeptisch ist und sich vor allem wundert, ändert sich das im Laufe der Geschichte, und die einsetzende Beunruhigung weicht schließlich einer schleichenden Furcht, die er letztlich, als es darauf ankäme, nicht mehr überwinden kann. Mindestens ebenso überzeugend ist auch die Darbietung von Thomas Balou Martin(Mr. Clarke) als älterer Mann, dem das Experiment seines Freundes so sehr zusetzt, daß er ihn erst Jahrzehnte später wieder besucht. Auch wenn seine Rolle nicht ganz so viel Text hat wie die anderer, ist Jacques Breuer(Dr. Raymond) für mich das sprecherische Highlight dieses Hörspiels. Zu Beginn wirkt er ganz wie der nette, von sich und seine Taten vollkommen überzeugte Onkel Doktor, obwohl er selbstherrlich über das Leben eines anderen Menschen entscheidet. Die Szene in der er die junge Frau sediert und dabei geradezu lüstern geifert, relativiert diesen positiven Eindruck jedoch umgehend, und aufgrund seiner verachtenswerten Taten hält sich das Mitleid über sein Ende beim Hörer auch extrem in Grenzen. Genau wie Lutz Reichert(Dr. Phillips), dem als Arzt eigentlich nichts mehr fremd sein sollte, ergeht sich auch Bodo Primus(Mr. Austin) nur in Andeutungen, und beide bringt die unverblümt präsentierte Erotik in Verlegenheit. Bei ihrem ersten Auftritt spricht Daniela Bette(Helen Vaughan) ihren Text noch mit warmer, weicher Stimme, aber bereits da ist ein leicht spöttischer Unterton herauszuhören. Gegen Ende des Hörspiels, nachdem sie gemerkt hat, daß sie durchschaut wurde, lässt sie ihre Maske dann fallen und agiert mit einer derart eiskalten, harten Stimme, als handele sich um eine andere Person. Matthias Lühn(Charles Herbert) liefert das stimmige Portrait eines Mannes, der völlig am Boden zerstört ist, und sein Vortrag ist förmlich von Verbitterung durchsetzt. Ganz im Kontrast dazu steht die Darbietung von Detlef Bierstedt(Lord Argentine) als sympathischer, fast ein wenig zu leutseliger bzw. jovialer Adliger. Sigrid Burkholder(Mary) ist perfekt als liebliche, junge Frau, die ihrem Gönner so lange treu ergeben ist, bis sie merkt, daß es um ihr Leben geht. Auch Christopher McMenemy(Trevor) liefert als völlig verstörtes, beinahe schon hysterisches Kind eine beachtliche Leistung ab. In weiteren Nebenrollen sind außerdem noch Marc Gruppe(Butler/Kutscher) in den Parts des überraschten Bediensteten und des fluchenden Fuhrwerklenkers, Marlene Bosenius(Helen als Kind) als hämisch lachendes Mädchen, dessen Aufforderung zum Spiel nichts Gutes vermuten lässt, James McMenemy(Zeitungsjunge) als ständig rufender Gazettenverkäufer und Kathryn McMenemy(Rachel) als Darstellerin des sich schämenden Mädchens zu hören. Allerdings finde ich, daß ihre Stimme etwas zu alt für diese Rolle wirkt.
Fazit:
Ehemals "anrüchiger" Gruselklassiker, von Titania ästhetisch in Szene gesetzt.
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