Rezension: Gruselkabinett - 111 - Die Grube und das Pendel
Verfasst: Fr 22.07.2016, 09:32
Gruselkabinett - 111 - Die Grube und das Pendel
Zum Inhalt:
Der italienische Edelmann Montrésor hat schwer unter den Beleidigungen und Spötteleien von Fortunato zu leiden. Trotzdem verhält er sich ihm gegenüber immer freundlich und zuvorkommend. So viel Gleichmut kann Montrésors Freund Luchesi nicht verstehen. Doch es gibt einen guten Grund dafür: Fortunato und Montrésor kennen sich nämlich bereits aus Jugendzeiten, und das damals an ihm verübte Unrecht hat letzterer nie vergessen. Ganz im Gegensatz zu Fortunato, der sich an ihre frühere Begegnung nicht mehr erinnert. Diesen Umstand nutzt Montrésor, um seinen Peiniger auf arglistige Weise aus dem Weg zu räumen.
Zur Produktion:
Obwohl das Label Titania inzwischen weit über 100 Folgen der Reihe "Gruselkabinett" produziert hat, waren bisher nur 2 Vertonungen dabei, die auf den Werken von Edgar Allan Poe (19.01.1809 – 07.10.1849) basierten (Gruselkabinett - 11 - Der Untergang des Hauses Usher & Gruselkabinett - 46 - Die Maske des roten Todes). Ähnlich wie in Folge 46, verbindet Skriptautor Marc Gruppe hier zwei Geschichten zu einer. Die Grundlagen sind diesmal "The Pit and the Pendulum", erstmalig veröffentlicht zum Jahreswechsel 1842/43 in "The Gift: A Christmas and New Year's Present" und "The Cask of Amontillado", erschienen im November 1846 in der Publikation "Godey's Lady's Book".
Um Gruppes Arbeit wirklich beurteilen zu können, habe ich zunächst die beiden Kurzgeschichten im Internet bei Wikipedia nachgelesen, zu finden unter https://en.wikisource.org/wiki/The_Pit_and_the_Pendulum und https://en.wikisource.org/wiki/The_Work ... montillado und mir erst danach das Hörspiel angehört.
Mir wurde schnell klar, warum Gruppe mit der Erzählung "Die Grube und das Pendel" beginnt. Diese hat ein offenes Ende und bietet somit die Möglichkeit, in die zweite Story "Das Fass Amontillado" überzuleiten. Viele Hörer werden diese Geschichten vermutlich nur aus den diversen Verfilmungen kennen, was ich sehr bedaure. Denn zumindest im Fall von "Die Grube und das Pendel", weichen die Filme dermaßen von der literarischen Vorlage ab, daß sie schon fast nichts mehr mit Poe zu tun haben. Das ist hier anders. Trotz der wenig Hörspiel-freundlichen Ausgangslage (beide Geschichten sind mehr oder weniger reine Monologe, welche rückblickend erzählt werden) ist es Marc Gruppe gelungen, daraus ein spannendes, teilweise gruseliges Hörspiel zu erschaffen. Natürlich führt der junge Montrésor (Johannes Raspe) auch im Hörspiel hauptsächlich Selbstgespräche, aber das finde ich in diesem Fall weder unpassend noch störend. Zum einen, weil der Charakter ja halt allein ist und niemanden hat, mit dem er reden könnte, zum anderen, weil es vollkommen verständlich wäre, daß sich jemand in einer solchen Krise selbst Mut zusprechen würde. Davon abgesehen, bildet die Geschichte ja auch quasi nur die erste Hälfte des über 67-minütigen Hörspiels, und zum Ausgleich gibt es dann im zweiten Teil umso mehr Dialoge. Auch wenn ich die Sprecher später noch einmal separat betrachten werde, muss ich an dieser Stelle kurz auf das Spiel von Jürgen Thormann(Fortunato) eingehen. Wahrscheinlich wird sich der eine oder andere Hörer darüber wundern, daß Thormann ständig hustet und sich damit quasi selbst unterbricht. Es ist den Regisseuren Stephan Bosenius und Marc Gruppe hoch anzurechnen, daß sie darauf geachtet haben, diesen Husten beizubehalten.
Er macht nämlich einen essentiellen Bestandteil der Geschichte aus, der keinesfalls fehlen sollte. Dazu muss man wissen, daß Poe die Geschichte verfasst hat, während seine an Tuberkulose erkrankte Frau Virginia mehr oder weniger auf dem Sterbebett lag (sie starb nur knapp 2 Monate nach Veröffentlichung). Es ist mehr als wahrscheinlich, daß "Das Fass Amontillado" für Poe mit ein Versuch war, seine Gefühle zu verarbeiten. Auch wenn es sich, wie in diesem Fall, um einen geliebten Menschen handelt, so zerren Symptome, wie dauernder Husten, doch sehr an den Nerven. Außerdem fühlt man sich in einer solchen Situation vollkommen hilf- und machtlos. Von daher halte ich es für durchaus nachvollziehbar, daß in Poe der Wunsch entstand, dieses Husten wenigstens auf dem Papier zum Verstummen zu bringen, und die Genugtuung darüber, endlich aktiv etwas tun zu können, zeigt sich auch in der regelrechten "Freude", mit der Montrésor zu Werke geht.
Mir hat die Kombination der beiden Erzählungen gefallen, zumal die schlimme "Vorgeschichte" ein sehr viel plausibleres Motiv für Montrésors Tat liefert, als der vage Hinweis auf eine zurückliegende Beleidigung, von der im Original die Rede ist.
Da ich schon etwas zur Regie gesagt habe, leite ich direkt zu der Produktion an sich über. Stephan Bosenius und Marc Gruppe standen ja vor der Herausforderung, den dunklen Folterkeller (Handlungsort der "Pendel"-Geschichte) so darzustellen, daß beim Hörer auch ein entsprechendes akustisches Bild entsteht. Erreicht haben die beiden dies mit einer Vielzahl von Geräuschen, wie beispielsweise den stetig herabfallenden Wassertropfen, dem durch das Gemäuer pfeifenden Wind oder dem Rasseln von Ketten. Um den Eindruck perfekt zu machen, sind alle Sätze innerhalb des Gewölbes mit einem leichten Hall versehen worden. Etwas einfacher dürfte es gewesen sein, den Karneval durch eine diffuse Menschenmenge im Hintergrund zu beleben, oder den Garten Montrésors mit der Einspielung von Vogelzwitschern und Käuzchenrufen. Besonders gut hat mir das Setzen der Mauersteine gefallen und natürlich das Pendel, dessen Schwingen man schon lange leise im Hintergrund hören kann, noch bevor es der Protagonist auch nur sieht. Abgerundet wird das Klangild durch ein Vielzahl unterschiedlichster Melodien.
Zur Eröffnung erklingt eine fröhliche Weise, die den Hörer sofort an den venezianischen Karneval denken lässt. Dazwischen sind es meist düstere Synthesizersounds, die z.B. für eine Unterstreichung der bedrohlichen Atmosphäre des Folterkellers sorgen. Allerdings wurde teilweise auch ganz bewusst auf jegliche Musik verzichtet, um die Einsamkeit der Protagonisten noch zu unterstreichen. Der Choral, der am Ende ertönt, bildet gleichzeitig auch den stilgerechten Abschluss des Hörspiels.
Zu den Sprechern:
Die beiden "Großen Alten" Eckart Dux(Montrésor) und Jürgen Thormann(Fortunato) sind eine hervorragende Besetzung für die beiden älteren Männer, auch wenn sie im Hörspielbereich allgemein recht häufig zum Einsatz kommen. Es macht einfach Spaß, der etwas rau und kratzig klingenden Stimme von Dux zu lauschen und seiner langsamen Wandlung vom freundlichen, fast schon unterwürfigen Charakter, hin zum erbarmungslosen Richter und Henker zu folgen. Das trifft auch auf Thormann zu, der ein eindrucksvolles Portrait des angetrunkenen, von sich überzeugten Klatschmauls abliefert. Für den oben bereits erwähnten Husten, den er ständig einstreuen muss und sein wirklich erbarmunswürdiges Gewinsel am Schluss, verdient er sogar noch ein Extralob. Herbert Schäfer(Luchesi) wirkt zwar mit seiner freundlichen Art durchaus sympathisch, er bleibt aber, aufgrund seiner geringen Textmenge, etwas blass. Gleiches gilt für die anderen Nebenfiguren: Matthias Lühn(Junger Fortunato) als überheblicher, gnadenloser Richter, Louis Friedemann Thiele(Knecht) in seinem Part als brutaler Handlanger mit sadistischen Zügen und Florian Jahr(de Lasalle) als aufmunternder junger Soldat. Besondere Erwähnung gilt Johannes Raspe(Junger Montrésor), dessen Spiel beinahe die gesamte erste Hälfte des Hörspiels tragen muss. Das gelingt ihm auch gut, allerdings gefällt mir die Art und Weise, in der er seinen Text vorbringt, nicht so ganz. Die einzelnen Emotionen, wie Angst, Unsicherheit oder Verwirrtheit, sind zwar jederzeit aus seiner Stimme herauszuhören, aber die Sätze selbst werden teilweise zu flüssig bzw. hastig gesprochen und verlieren damit für mich etwas an Wirkung. Allerdings ist diese Art, panische Angst darzustellen, wohl vollkommen zeitgemäß, und es dürfte eher meinen "veralteten" Hörgewohnheiten zuzuschreiben sein, daß ich auf "passende" Pausen innerhalb eines Satzes warte.
Fazit:
Eine gelungene Symbiose zweier Poe-Werke, unter sorgfältiger Wahrung sämtlicher Einzelheiten der literarischen Vorlagen.
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