Rezension: Gruselkabinett - 117 - Ewige Jugend
Verfasst: Mi 26.10.2016, 20:28
Gruselkabinett - 117 - Ewige Jugend
Zum Inhalt:
Bei einem Besuch in Wien verliebt sich der junge, in der Liebe noch unerfahrene Graf Emmerich Kemen unsterblich in die faszinierende, geheimnisumwitterte Gräfin Elisabeth Báthory, verwitwete Nádasdy. Diese soll angeblich über 50 Jahre alt sein, obwohl sie aussieht wie 20, und es geht das Gerücht, sie erhalte sich ihre jugendliche Schönheit durch Bäder im Blut von Jungfrauen. Selbst als er Zeuge der Grausamkeiten der Gräfin wird, schmälert das Kemens beinahe schon sklavische Verehrung in keiner Weise, und er reagiert geradezu euphorisch, als ihn die Angebetete auf ihr Schloß in den Karpaten einlädt...
Zur Produktion:
Nach "Gruselkabinett - 99 - Die Toten sind unersättlich" wagt sich das Label Titania nun zum zweiten Mal an die Vertonung einer Geschichte des skandalumwitterten Autors Leopold Ritter von Sacher-Masoch(27.01.1836-09.03.1895), der unter anderem auch eine Zeit in Wien (dem Ausgangspunkt der Erzählung) gelebt hat. "Ewige Jugend" erschien erstmals 1886, dem Jahr, als sich Sacher-Masoch auf dem Höhepunkt seiner schriftstellerischen Tätigkeit befand und in Frankreich sogar einen Orden erhielt, was Zeitungen wie "Le Figaro" zu Stürmen der Begeisterung hinriss. Im Gegensatz zu anderen Autoren, befindet sich das Werk Sacher-Masochs nur in begrenztem Umfang im internationalen Public Domain, und gerade diese Geschichte habe ich leider vergeblich gesucht. Entsprechend ist es mir diesmal auch nicht möglich, einen Vergleich zwischen der Vorlage und dem Hörspiel zu ziehen. Ich gehe jedoch davon aus, daß sich Skriptautor Marc Gruppe relativ dicht an Sacher-Masoch gehalten hat. Herausgekommen ist auf jeden Fall eine bemerkenswerte Geschichte mit überaus interessanten Figurenkonstellationen. Die Handlung mag heutzutage nicht mehr besonders originell wirken, und in der Tat sind Ort und Motivik bereits in anderen zeitgenössischen Erzählungen verarbeitet worden, aber meiner Meinung nach nicht mit einer solchen Intensität.
Eine Verknüpfung von körperlicher Gewalt bzw. Erniedrigung und Erotik herzustellen, ist heute noch fast so gewagt wie damals, und ich finde es gut, daß der immer latent vorhandene "erotische" Unterton beibehalten wurde. Auf die Symbolik des "Jungfrauenblutes" in diesem Zusammenhang, will ich allerdings nicht näher eingehen, da es den Rahmen einer Rezension sprengen würde.
Genauso knisternd wie die Handlung, ist auch das Verhältnis der Hauptcharaktere. Da gibt es einmal den naiven, jungfräulichen Emmerich, der seine erste Liebe erlebt. Ihm werden gleich zwei Frauentypen gegenübergestellt: die geheimnisvolle, sexuell sehr erfahrene Elisabeth, der es Spaß macht, mit Männern zu spielen und sie zu erniedrigen, und die sanfte, unschuldige, offen wirkende Gisela. Das schafft quasi ein Spannungsfeld zwischen "Abenteuer mit vielleicht schlimmen Konsequenzen" und "Bodenständigkeit mit möglicher Monotonie".
Ebenso interessant finde ich das gegenseitige Verhältnis der beiden Hauptfiguren: die sadistische Gräfin gewinnt aus den physischen und psychischen Peinigungen anderer sexuelle Befriedigung, während ihr mehr als williges Opfer, der masochistisch veranlagte junge Graf, die ständigen Hinhaltungen und Herabwürdigungen zu genießen scheint.
Marc Gruppe erzählt die Geschichte durchweg spannend, und bereits die erste Grausamkeit, welche die Gräfin begeht, lässt das anfängliche Unbehagen des Hörers ihr gegenüber schnell zu einer Gänsehaut werden. Wieviel Grusel in diesem Hörspiel aufkommt, hängt mit von der Phantasie des Hörers ab. Nach der ziemlich brutalen ersten Untat gegenüber einer Untergebenen der Gräfin, fürchtete ich zurecht jedesmal um Leib und Leben der Unglücklichen, die den Zorn der lustvoll Quälenden auf sich gezogen hatten. Denn egal, was ich vorher als mögliche "Bestrafung" erwartete, die Gräfin hatte immer noch Schlimmeres in petto.
Der Höhepunkt der Geschichte ist natürlich die blutige Hinrichtung in der eisernen Jungfrau gegen Ende des Hörspiels. Diese ist auch in sofern bemerkenswert, als Sacher-Masoch der erste Schriftsteller war, der das mittelalterliche Folterinstrument in eine Geschichte einbaute. Entsprechend der Erwartungshaltung des damaligen Publikums, und natürlich, um die bis dahin schon arg angekratzten bürgerlichen Moralvorstellungen nicht noch weiter zu strapazieren, siegt letztlich das "Gute", allerdings nicht so, wie es mancher Hörer vielleicht erwarten dürfte.
Die Produktion von Stephan Bosenius und Marc Gruppe ist einmal mehr nur als erstklassig zu bezeichnen, egal ob es um die Musik oder die Geräusche geht. So haben die beiden für die Eröffnungsszene eine ruhige, schöne Melodie ausgewählt, die, passend zum Ambiente, mit Streichinstrumenten, Hörnern und Klavier intoniert wird. Abgesehen von dem harmonischen Kirchenchor-Gesang, gibt es dann im gesamten Hörspiel nur noch zwei ungezwungene Weisen, und zwar auf der friedlich verlaufenden Reise zum Schloß und dem opulenten Ball. In allen anderen Szenen herschen düstere, bedrohlich wirkende Synthesizerklänge vor, von denen einige so tief auf der Frequenzskala liegen, daß man die Vibrationen förmlich im Bauch spürt. Genauso passend wie die musikalische Untermalung, fällt auch die Geräuschkulisse aus. Pferde wiehern, Hufgetrappel ertönt, da wird mit Geschirr geklappert, und nachts ruft das bei Titania schon fest dazugehörige Käuzchen bzw. schlägt eine Kirchturmuhr. Während mir die Einspielung der schreienden Pfauen, eine Vogelart die sehr gut zu der Gräfin und ihrem Schloß passt, außerordentlich gefiel, war ich mit den rasselnden Ketten weniger zufrieden. Diese klingen irgendwie nicht schwer und bedrohlich genug. Gut gefallen haben mir hingegen wieder die "Massenszenen", wie die Menschenmenge bei dem Fest oder die Jagdgesellschaft, da diese akustisch so gestaltet sind, als wäre der Hörer unmittelbar zugegen. Die unterschiedlichen Halleffekte in der Kirche, bzw. in der Zelle, (mal mehr Nachhall, mal weniger, je nach darzustellender Räumlichkeit) tragen ebenfalls wesentlich zum natürlichen klingenden Geräuschteppich bei.
Zu den Sprechern:
Die schon etwas ältere Stimme von Peter Weis(Erzähler) ist eine ausgezeichnete Wahl für den hier Vortragenden. Weis hat nicht gerade wenig Text, schafft es jedoch professionell, den Hörer mit seiner unaufdringlichen Art, allein durch gefühlvolle Betonung, mitzureißen. Sprecherische Highlights sind aber ganz klar die beiden Hauptcharaktere Arianne Borbach(Elisabeth Nádasdy) und Patrick Baehr(Emmerich Kemen). Borbach präsentiert hier die ganze Palette ihres Könnens, und ihr Portrait der sadistischen Adligen bedeutet Hörgenuss pur. Eine abgrundtief böse oder durchweg herzensgute Gestalt zu spielen, ist sehr viel einfacher, als einen so vielschichtigen Charakter zu interpretieren, wie hier gefordert. Borbach schaltet dabei mühelos von der sanften, freundlich wirkenden Frau auf die brutale Herrin umzuschalten, und das wahlweise schlagartig oder langsam und bedrohlich. Besonders beeindruckt hat mich dieser gewisse Unterton, mit dem sie ihren Text spricht, wenn sie als Sadistin agiert. Ebenso gut ist Patrick Baehr(Emmerich Kemen) in seinem Part als bescheidene männliche Jungfrau, die einer Frau verfällt, ihr aber in keiner Weise gewachsen ist. Besonders die Herausarbeitung von Emmerichs innerer Zerissenheit, einerseits vom Verhalten der unmenschlichen Gräfin angewidert zu sein, dies aber andererseits zu genießen, kann man nur als absolut gelungen bezeichnen. Die drei Zufallsbekanntschaften werden von Patrick Bach(Massei) als heissblütiger Italiener, der für eine deutsche Frau schwärmt, Dirk Petrick(Starhemberg) als geschwätziger österreichischer Graf und Roman Wolko(Czernin) als etwas überheblicher Böhme stilgerecht dargestellt. Daniela Bette(Zofe) leiht ihre Stimme dem gequälten Dienstmädchen, und ihr Schreien klingt dabei so realistisch, als durchleide sie tatsächlich dessen Folterungen. Sascha von Zambelly(Koloman von Perusies) überzeugt in der Rolle des besorgten Bruders, der alles für seine Schwester tun würde. Das gilt auch für Maximiliane Häcke(Isabella von Perusies) als seine Schwester, die sich im Laufe des Geschehens vom unbesorgten Teenager zu einer völlig verängstigten Frau wandelt, letztlich aber doch genug Mut und Selbstbewusstsein aufbringt, um sich gegen die Gräfin und deren Wünsche zu stellen. Kristine Walther(Gisela Kery) hat mir auch sehr gut gefallen. Es gelingt ihr, allein schon durch die Art, wie sie ihre ersten Sätze spricht, dem Hörer das Gefühl der Verliebtheit zu vermitteln, noch bevor der Erzähler diese "Vermutung" bestätigt. Sie verkörpert gleichsam den Inbegriff der herzlichen, aufopferungsvollen Frau, der die Sicherheit des Geliebten noch über die eigene geht. Johannes Bade(Delinquent) ist der unglückliche Page der Gräfin, der aus Versehen einen Blick zuviel riskiert hat und dafür unverhältnismäßig hart bestraft wird, und Joachim Tennstedt(Henker) spielt seinen unterwürfigen Folterknecht. Marcel Barion(Stallbursche) kann man kurz hören, als er das Pferd der Gräfin beruhigen muss, und Axel Lutter(Ipolkar) besticht als gewissenloser Helfer der Gräfin, dessen dreckiges Lachen zurecht nichts Gutes vermuten lässt. Marianne Mosa(Arwa) glänzt in dem Part der alten, unheimlich wirkenden Amme, die der Gräfin treu ergeben ist, während mir Detlef Bierstedt(Palatin) mit seinem dienstlichen Ton etwas "flach" und zu emotionslos wirkte. In weiteren Nebenrollen treten noch Johannes Bade(Soldat), Marcel Barion(Soldat) und Kai Naumann(Soldat) als pflichtbewusste Staatsdiener auf.
Fazit:
Jeden Sinn ansprechende Adaption der literarischen Vorlage, die zum Wiederhören einlädt.
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