Rezension: Gruselkabinett - 122 - Die Insel des Dr. Moreau
Verfasst: Do 01.06.2017, 16:44
Gruselkabinett - 122 - Die Insel des Dr. Moreau
Zum Inhalt:
Im Nachlass des Engländers Edward Prendick findet sein Neffe einen geradezu unglaublichen Bericht: Sein Onkel erleidet im Jahr 1887 Schiffbruch, kann sich aber zusammen mit zwei Seeleuten und wenigen Vorräten retten. Als diese aufgebraucht sind, beschließen sie, daß einer von ihnen sterben muss, damit die anderen überleben können. Prendick ist entsetzt und lehnt jegliche Beteiligung ab, aber seine beiden Leidensgenossen zwingen ihn, sich an dem Losverfahren zu beteiligen. Einer der Seeleute verliert, woraufhin der andere sofort versucht, ihn zu töten. In einem dramatischen Zweikampf gehen die beiden Kontrahenten über Bord, und Prendick bleibt erschüttert allein zurück. Kurz bevor er das Bewusstsein verliert, wird der Schiffbrüchige von dem Frachter Ipecacuanha entdeckt und an Bord genommen. Prendick glaubt, nun alles überstanden zu haben, ohne zu ahnen, daß ihm noch eine Reise in das Grauen bevor stehen wird. Eine Reise zur Insel des Dr. Moreau...
Zur Produktion:
Einer der Gründe, warum sich die Werke von Herbert George Wells (21.09.1866-13-08.1946) auch heute noch recht großer Beliebtheit erfreuen, dürfte wohl in deren zeitloser Aktualität liegen. Einerseits beinhalten sie Sujets, welche die Menschheit schon lange und immer noch beschäftigen (Wie wird die Zukunft aussehen? [Zeitmaschine], Sind wir allein im All? [Krieg der Welten] oder Wie würde man sich verhalten, wenn man unsichtbar wäre? [Der Unsichtbare]), andererseits bieten sie einen damals noch visionären Ausblick auf Themen, die auch heute noch für uns interessant und unterhaltsam sind, so wie in diesem Fall.
Als Wells' Roman "The Island of Dr. Moreau", im Jahre 1896 erstmals erschien, diskutierte man in Europa Fragen zur Degeneration und Vivisektion an Tieren, und auch die Evolutionstheorien Darwins erhitzten die Gemüter. All diese Aspekte finden sich auch im Roman "Die Insel des Dr. Moreau" wieder, dessen Inhalt zum Erscheinungszeitpunkt als geradezu skandalös galt. Wells war sich dessen sehr wohl bewusst und meinte später, dieses Werk sei für ihn "eine Übung in jugendlicher Blasphemie" gewesen. Da es hier im weitesten Sinne auch um Genetik geht, entdeckt Hollywood den Stoff ebenfalls regelmäßig wieder und bringt alle paar Jahre eine neue Adaption ins Kino. Die Letzte stammt von 2004. Erstaunlicherweise fristete das Werk im Audiobereich bisher eher ein Nischendasein. Es sind zwar einige wenige Hörbücher erschienen, aber noch keine Hörspielversion. Umso mehr hat es mich gefreut, daß Titania-Medien dies nun, im Rahmen seiner Wells-Vertonungen ("GK 120 & 121 - Der Unsichtbare" und die noch nicht erschienenen Folgen "GK 123 - Die Zeitmaschine" & "GK 124 & 125 - Der Krieg der Welten") geändert hat. Wer das über 200 Seiten umfassende Buch kennt, das auch im Internet unter http://www.gutenberg.org/files/159/159-h/159-h.htm zu finden ist, dem wird schnell klar, daß Skriptautor Marc Gruppe einige Kürzungen vorgenommen haben muss, damit die Geschichte auf nur eine CD passt. Ich persönlich finde es etwas bedauerlich, daß die Produzenten hier nicht denselben Weg wie bei "Der Unsichtbare" gegangen sind und den ungefähr gleich umfangreichen Roman ebenfalls als Zweiteiler veröffentlicht haben. Gleichzeitig muss ich aber auch sagen, daß diese Streichungen zunächst einmal gar nicht so auffällig sind. So ist beispielsweise Wells' Buch angefüllt mit ausführlichen Beschreibungen der Umgebung, die hier aber auch nicht ganz wegfallen, sondern lediglich reduziert werden. Alle wesentlichen Handlungselemente werden beibehalten, auch wenn Marc Gruppe einige Szenen aus Straffungsgründen zusammengelegt hat. Auf mich wirkt das wie eine Art "Action-Cut" der Geschichte. Der funktioniert allerdings ziemlich gut, denn auf diese Weise ist ein sehr flüssiger, gradliniger Handlungsablauf garantiert. Die Spannung kann bis zum Schluß mühelos gehalten werden, lediglich das Ende wirkt aufgrund der Kürzungen etwas zu abrupt. Um den Hörgenuss zu erhöhen, hat Gruppe wie gewöhnlich etliche Erzählpassagen in Spielszenen umgeschrieben und dabei den Wortgebrauch noch leicht entschärft. So spricht er beispielsweise von "nicht ganz bei Verstand", während Wells das Wort "einfältig" wählte. Daß aus den "Kanaken" nicht näher beschriebene "Eingeborene" werden, ist auf die heutzutage missbräuchliche Verwendung des Wortes zurückzuführen. Zu Wells Zeiten war es kein Schimpfwort, und jeder halbwegs gebildete Mensch wusste, daß der Ausdruck von den melanesischen Ureinwohnern herstammt, wo er nichts anderes als "Mensch" bedeutet. Neben der extremen Verkürzung des Zeitrahmens, hat der Skriptautor auch einige Szenen umgestellt oder ganz neu interpretiert. Besonders gefallen hat mir der Kniff, die im Buch vom Erzähler abgegebenen Beschreibungen der Tiermenschen in Form eines Albtraums darzustellen. Auch wenn die Handlung an sich schon starker Tobak ist, hätte das Hörspiel für mich gern noch gruseliger ausfallen können. Aus mir nicht ersichtlichen Gründen hat sich Gruppe z.B. entschlossen, die nähere Beschreibung und damit einhergehende Identifizierung der Leichen im Rettungsboot wegzulassen.
Produktion und Regie, vorgenommen von den beiden "Labelköpfen" Stephan Bosenius und Marc Gruppe, wissen wieder ausgesprochen zu gefallen. Jede Szene ist mit einer Vielzahl von Geräuschen unterlegt worden und strotzt entsprechend nur so vor Lebendigkeit. Akustisches Highlight sind die Sequenzen auf dem Meer, mit Wellenrauschen, knarrenden Schiffsplanken und Tauen oder der leichten Brise, und diejenigen, die im Dschungel spielen, dargestellt durch zirpende Zirkaden, rufende Urwaldvögel, quakenden Frösche und leise raschelnde Gräser. Wie schon in der vorangegangenen Folge, habe ich auch hier nur die zu "dünn" klingenden Schussgeräusche zu beanstanden. Neben der sorgfältig gewählten und absolut passenden Geräuschkulisse, ist auch noch der eine oder andere Effekt überzeugend eingesetzt worden. Beispielsweise werden Stimmen mit zunehmender Entfernung leiser oder klingen dumpf, wenn die Akteure hinter verschlossener Tür sprechen. Genauso überlegt fällt auch die Musikwahl aus. Zur Eröffnung des Hörspiels ertönt eine opulente Weise, mit Streichinstrumenten und Klavier intoniert, die gleich die passende Grundstimmung für das Abenteuer aufkommen lässt. Je nachdem, wie sich die Handlung gerade entwickelt, werden mal düstere, bedrohliche klingende Melodien eingespielt, welchen dann wieder ruhige, getragene Stücke folgen. Die sanfte Anfangsmelodie bildet auch den perfekten Ausklang des Hörspiels und wird wohl so manchem Hörer noch länger im Ohr bleiben.
Zu den Sprechern:
Matthias Lühn(Neffe), der das Intro spricht, betont seinen Text zwar ausgezeichnet, nur hätte ich mir für diese Rolle jemanden gewünscht, der ein wenig jünger klingt. Das liegt aber allein an meinem geistigen Bild von einem "Neffen" und hat nichts mit der ansonsten einwandfreien Performance des Sprechers zu tun. Hauptdarsteller Louis Friedemann Thiele(Edward Prendick), aus dessen Sicht die Handlung erzählt wird, kann in jedem Auftritt überzeugen. Sein jugendliche Stimme passt sehr gut zu der Rolle des noch etwas lebensunerfahrenen jungen Mannes, und es gelingt ihm, die Angst, das Entsetzen und die Abscheu, welche seine Figur empfindet, jederzeit für den Hörer spürbar zu machen. Daß man Detlef Bierstedt(Helmar), der mir mit seiner Darstellung des Dr. Watson in Titanias "Sherlock Holmes"-Reihe ans Herz gewachsen ist, hier mal in einem ganz anderen Part agieren hört, hat mich sehr gefreut. Bierstedt ist einfach prima als bärbeißiger Seemann, dessen raue Stimme einen entschlossenen Unterton aufweist. Kurzauftritte sind ja nicht unbedingt eine dankbare Aufgabe für Sprecher, und es ist wahrlich nicht einfach, dabei einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Michael-Che Koch(Matrose) meistert diese Herausforderung souverän. Geschickterweise hat er sich bei seiner Intonierung sehr zurückgenommen und unterstreicht damit seine "Opferrolle". Eine ebenfalls sehr passende Besetzung ist Horst Naumann(Kapitän Davis) als gewissenloser Schiffsführers der Ipecacuanha. Genau wie bei Bierstedt, passt der leicht harsche Unterton erstklassig zu seiner Figur. Simon Böer(Seemann) möge mir verzeihen, aber sein Auftritt fällt dermaßen kurz aus, daß ich mir kein Urteil über ihn erlauben möchte. Rolf Berg(Montgomery) ist großartig als abgehalfterter Arzt, der sich dem Trunk ergeben hat. Berg liefert das realistische Portrait eines verbitterten, vom Leben enttäuschten Mannes, der, im Gegensatz zu Moreaus Kreaturen, eine umgekehrte Entwicklung durchmacht und sich, vor allem in alkoholisiertem Zustand, kaum noch von den "Tiermenschen" unterscheidet. Mindestens ebenso aussagekräftig ist Lutz Riedel(Dr. Moreau) mit seiner Interpretation des titelgebenden Charakters. Von Beginn an wirkt er geheimnisvoll, und seine harte Stimme wird nur weich, wenn er über seine "Arbeit" redet. Allerdings hat sie dann einen sarkastischen, überheblichen Unterton, der zu seiner Einstellung passt, daß ein Wissenschaftler keinerlei ethische Bedenken haben sollte. Ganz wie es sich für ein Genie am Rande des Wahnsinns gehört, pendelt Ridel dabei ständig zwischen Wutausbrüchen und beruhigendem Zureden. Um die "Tiermenschen" klar von den "menschlichen" Akteuren abzugrenzen, hat die Regie darauf geachtet, daß diese ihren Text nur abgehackt sprechen. Die erste "Kreatur", die dem Hörer vorgestellt wird, ist Claus Thull-Emden(M'ling), das "Faktotum" von Montgomery. Thull-Emden erweckt durch sein stellenweise fast hechelndes Sprechen die Assoziation mit einem aufgeregt sabbernden Hund, und er unterstreicht diesen Eindruck noch, indem seine Aussprache auch nach zu viel Speichel im Mund klingt. Die gequälten Schreie und das Wimmern von Marc Gruppe(Puma) sind herzerweichend und passen hervorragend zu dem von Moreau geschundenen Wesen. Rainer Gerlach(Affenmensch) wirkt mit seiner lebhaften, neugierigen Art beinahe zutraulich, und es ist schon eine sprecherische Leistung, bei Aufregung so zu schnattern, daß der Hörer unwillkürlich an einen plappernden Schimpansen denken muss. Hans Bayer(Hüter des Gesetzes) ist in der Lage, seiner eigentlich lächerlichen Figur eine gewisse Würde zu verleihen, und die Art und Weise, wie er das "Gesetz" vorträgt, wirkt schon fast überheblich. Nicht unerwähnt bleiben soll die beachtenswerte Vorstellung von Bodo Primus(Hundemensch) als "menschlicher" Bernhardiner, der sich unterwürfig benimmt, freundlich ist und Edward seinen Schutz anbietet. In nicht zugeordneten Nebenrollen treten noch Johannes Bade, Marcel Barion, Kai Naumann(Tiermenschen) auf, welche die unterschiedlichsten animalischen Laute, wie Fauchen, Knurren oder Winseln ausstoßen.
Fazit:
Faszinierende und aufregende Hörspieladaption, der allerdings eine längere Laufzeit nicht geschadet hätte.
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