Rezension: Gruselkabinett - 140 - Runenzauber
Verfasst: Di 09.10.2018, 09:18
Gruselkabinett - 140 - Runenzauber
Zum Inhalt:
Der Geschäftsführer der "Gesellschaft für Altertumsforschung", Fred Gayton, hat es nicht leicht. Nachdem der Experte für okkulte Schriften, Edward Dunning, das Exposé für den Vortrag eines gewissen Mr. Karswell begutachtet und für nicht veröffentlichungswürdig erklärt hat, bedrängt der erzürnte Autor Gayton, ihm den Namen des Mannes zu nennen. Das lehnt dieser rundweg ab, doch Mr. Karswell gibt sich leider nicht so schnell geschlagen...
Zur Produktion:
Mit "Drei Monate Frist", so lautete die erste deutsche Übersetzung des englischen Titels "Casting the Runes" von Montague Rhodes James (01.08.1862 - 12.06.1936), die hier unter dem Titel "Runenzauber" vertont wurde, hat mir Titania-Medien eine besondere Freude bereitet.
Die erstmals 1911 in der Sammlung "More Ghost Stories" veröffentlichte Kurzgeschichte gehört, nicht zuletzt aufgrund der 1957 erfolgten Verfilmung von Jaques Tourneuer: "Der Fluch des Dämonen", zu den bekanntesten Werken des Autors. Wer den Film kennt und nun eine Hörspielversion davon erwartet, wird jedoch enttäuscht sein, denn Skriptautor Marc Gruppe hält sich, wie bei den vier bereits erschienenen M.R. James-Adaptionen (Gruselkabinett 71,92,101 & 106) natürlich an den ursprünglichen Text. Das begrüße ich absolut, denn die literarische Vorlage ist meiner Meinung nach nicht nur um einiges gruseliger, sondern auch interessanter als die Filmfassung.
Wer sich selbst ein Bild machen möchte, dem empfehle ich die Lektüre der englischsprachigen Version der Kurzgeschichte, im Internet zu finden unter https://en.wikisource.org/wiki/Casting_the_Runes.
Um sein Publikum gleich in die richtige Stimmung zu versetzen, eröffnet Marc Gruppe seine Adaption mit einer knappen, von ihm selbst erdachten Eröffnungszene, die den Hörer mit dem mysteriösen Mr. Karswell bekannt macht. Erst im Anschluss beginnt die eigentliche Geschichte, so wie bei James, mit dem Briefwechsel zwischen Karswell und Gayton. Nun hätte man diesen einfach nur verlesen lassen können, stattdessen nutzt der Skriptautor bereits hier die Gelegenheit, ihn in Form einer Spielszene (der Geschäftsführer bespricht sich diesbezüglich mit seiner Sekreätrin, lässt sich den Schriftverkehr teilweise nochmal vorlesen und diktiert ihr im Anschluss ein Schreiben) darzustellen. Auch im weiteren Verlauf werden so gut wie alle Ereignisse, die in der Vergangenheit liegen, derart präsentiert. Auf diese Weise gelingt es Gruppe, den Einsatz des Erzählers erheblich zu verringern und mehr oder weniger auf eine reine "Einführungsfunktion" in die entsprechenden Szenen zu beschränken.
Der Ablauf der Handlung entspricht dem der Kurzgeschichte, und es gibt nur wenige unerhebliche Veränderungen. So beschreibt Gruppe beispielsweise das Schicksal John Harringtons viel ausführlicher als James und erweitert es um den Hinweis, daß Harrington unbekleidet war. Die Gespräche zwischen den Protagonisten fallen hier ebenfalls gefälliger aus, da der Skriptautor sie mit ein paar hinzugefügten Sätzen natürlicher klingen lässt. Einzig der Begriff "Ablage P" kommt mir persönlich ein wenig zu modern vor, wobei ich natürlich nicht ausschließen kann, daß man ihn schon 1911 verwendet hat.
Ansonsten gibt es kaum nennenswerten Unterschiede. So spielt es für den weiteren Verlauf auch keine Rolle, ob John nun Musiker ist, oder, wie hier, "nur" Konzertbesucher. Zwei Änderungen möchte ich jedoch nicht unerwähnt lassen. Während James in Bezug auf den Holzschnitt äußerst vage bleibt und lediglich von einem schrecklichen Dämon spricht, erklärt Gruppe diesen zu Satan persönlich und verzichtet auf die eigentliche Bildunterschrift, ein Gedicht, in dem die Rede von einem "Unhold" beziehungsweise "Dämon" ist.
Letzten Endes ist es inhaltlich zwar unerheblich, welchen Namen man der Bedrohung nun gibt, aber der Höllenfürst löst natürlich automatisch ganz bestimmte Bilder beim Hörer aus. Damit wird der ursprünglich bewusst abstrakt gehaltene Horror konkretisiert, meiner Meinung nach allerdings auch ein wenig seines Schreckens beraubt.
Im Gegenzug verbessert Gruppe James' Vorlage insofern, als daß er eine ursprünglich vorhandene Ungereimtheit korrigiert. Bei James erfahren der Geschäftsführer und seine Frau im Gespräch, daß Karswell in der Universität gesehen wurde, aber entweder leidet das Ehepaar an Gedächtnisschwund oder hat seinen Freunden nicht richtig zugehört. Jedenfalls wird anschließend so getan, als gäbe es die Information nicht, wodurch Gayton auf dem Heimweg noch immer sinnlos hofft, der verärgerte Autor werde sich nicht an die Universität wenden, um den Namen des für seine Ablehnung verantwortlichen Fachmanns herauszufinden. Gruppe löst das Ganze erfreulicherweise anders, denn er integriert die Information in die Überlegungen der Gaytons und lässt die Protagonisten dann entsprechend reagieren.
Daß diese Geschichte zum Hörerlebnis wird, ist vor allem der ausgezeichneten Regie und Produktion von Stephan Bosenius und Marc Gruppe zu verdanken.
So akzentuieren die beiden jede Szene mit zum Geschehen passender Musik. Die meisten Stücke sind, entsprechend der Handlung, düster und bedrohlich gehalten, nur selten ertönt eine leichte Weise. Besonders eindrucksvoll ist das mit Geigen inszenierte Stück, dessen treibende Klänge die Spannung noch erhöhen. Ebenfalls sehr gelungen finde ich den Einsatz der Trommeln, deren gleichmässiger Rhythmus, ähnlich der tickenden Standuhr, ein wunderbares akustisches Äquivalent der Endgültigkeit bzw. Unabänderlichkeit darstellt. Gleiches gilt für den beinahe wehmütig klingenden Chor, der den tragischen Inhalt des Manuskripts adäquat unterstreicht. Wie es sich für eine richtige Gruselgeschichte gehört, stürmt es auch mal ordentlich, und neben dem krachenden Donner sind es vor allem der prasselnde Regen und die heiser krächzenden Krähen, die für das richtige Ambiente sorgen. Akustisches Highlight ist für mich aber der Dämon, welcher mit geisterhaftem Atmen, knisternder Elektrizität und einem beinahe spürbaren, höllischen Hitzeschwall in Szene gesetzt wird.
Unbedingt erwähnt werden muss auch die Szene, in der Karswell den Nachbarskindern seine Laterna Magica mit immer grauenerregenderen Bildern vorführt.
Durch die stetige Steigerung des entsetzen Gekreischs der Kinder bei jedem neuen Bild, gelingt es dem Produzententeam hier einerseits, ganz erhebliche Beklemmung zu erzeugen, indem die Beschreibung der gezeigten Bilder bewusst ungenau und somit der Phantasie des Hörers überlassen bleibt, und andererseits durch die mehrfache Wiederholung für (zugegebenermaßen schwarzen) Humor zu sorgen.
Die ca. 59 Minuten Spielzeit vergehen wie im Flug. Für mich wäre es allerdings gefälliger gewesen, wenn man die Laufzeit, durch Einspielung einer kleinen Melodie, auf eine volle Stunde gebracht hätte, statt das Ganze, nach Beendigung der Handlung, abrupt abzubrechen. Aber das bleibt eine reine Geschmacksfrage, und es ließe sich trefflich darüber diskutieren, welche Variante wohl die "effektivere" ist.
Zu den Sprechern:
Bedingt durch die bereits eingangs erwähnte Tatsache, daß die Handlung beinahe komplett in Form von Spielszenen "erzählt" wird und es viele Akteure gibt, benötigt man natürlich auch eine entsprechend große Zahl an Sprechern. Angeführt wird die Cast durch Bodo Primus(Fred Gayton), der auch den Erzählerpart inne hat. Primus spielt seine Rolle als zunächst amüsierter, später zunehmend verunsicherter Geschäftsführer mit der gleichen Hingabe, mit der auch Kristine Walther(Annabelle Gayton) ihren Part als seine besorgte Ehefrau intoniert. Die von mir so verehrte Reinhilt Schneider(Miss Murray) hat einen leider sehr kurzen, aber dennoch überzeugenden Auftritt als Gaytons nervöse Stenotypistin, und Lutz Reichert(Christopher Bennett) sowie Petra Nadolny(Florence Bennett) leihen ihre Stimmen dem befreundeten Ehepaar, das äußerst unschöne Geschichten über ihren Nachbarn Mr. Karswell zu erzählen weiß. Horst Naumann(Mr. Karswell) ist die perfekte Besetzung für den bösartigen, schwarzmagischen Hexenmeister, welcher seine Gegener unter diabolischem Gelächter erbarmungslos aus dem Weg räumt. Das gilt auch für seinen "Gegenspieler", den sehr sympathisch auftretenden Sascha von Zambelly(Edward Dunning) als pragmatischer Gutachter, der sich nicht so leicht von der Existenz übersinnlicher Phänomene überzeugen lassen will und erst recht spät erkennt, wie ernst seine Lage ist.
Louis Friedemann Thiele(George) spricht den überraschten Schaffner und Hans Bayer(William) den genervten, ein wenig grobschlächtig wirkenden Straßenbahnführer. Beate Gerlachs(Haushälterin) Portrait der schnippischen Hausangestellten ist genauso auf den Punkt, wie das Spiel von Tom Raczko(Flugzettel-Verteiler) als schon unangenehm freundlicher, geradezu aufdringlicher Flugblattausteiler. Dagmar von Kurmin(Bibliothekarin) gelingt es, mit wenig Text ein stimmiges Bild ihrer Figur der freundlichen, etwas schwatzhaften Büchereiangestellten zu liefern. Einen gelungenen Insidergag bringt Titania-Medien mit der Besetzung von Detlef Bierstedt(Dr. Watson) als fürsorglichen Hausarzt Dunnings, denn Bierstedt spricht für das Label auch den namensgleichen Freund und Chronisten des berühmten Sherlock Holmes. Daß die Figur so heißt, ist von James vorgegeben, und diese Steilvorlage haben die Produzenten erfolgreich für sich und den Hörer genutzt. Jean Paul Baeck(Henry Harrington) ist gut als älterer Mann, den das Schicksal seines jüngeren Bruders tief getroffen hat und dem nichts wichtiger ist, als Karswell das Handwerk zu legen. Das trifft auch auf Johannes Raspe(John Harrington) als netten, sorglosen, jungen Mann zu. Zu guterletzt sei noch Max Schautzer(Ticket-Kontrolleur) in seiner Rolle des Bahnbeamten, der es mit den Vorschriften sehr genau nimmt, erwähnt.
Fazit:
Grandiose Hörspieladaption, die der literarischen Vorlage nicht nur in jeder Beziehung mehr als gerecht wird, sondern ihr in einem Aspekt sogar überlegen ist.
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