Rezension: Gruselkabinett - 166 - Bisclavret
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Rezension: Gruselkabinett - 166 - Bisclavret
Gruselkabinett - 166 - Bisclavret
Zum Inhalt:
Das Glück des rechtschaffenen Ritters Eric de Bisclavret scheint vollkommen, denn er und seine Frau Catherine lieben sich heiß und innig. Lediglich die merkwürdige Angewohnheit des Edelmannes, jeden Monat für drei Tage zu verschwinden, erregt den Unmut seiner Gattin. Als sie es schließlich vor Neugier nicht mehr aushält, setzt sie Eric emotional so lange unter Druck, bis er ihr sein furchtbares Geheimnis offenbart: Er ist dazu verdammt, sich bei jedem Vollmond in einen Werwolf zu verwandeln. Angewidert wendet sich Catherine daraufhin von ihm ab und sorgt mit einem Trick dafür, daß er nicht wieder seine menschliche Gestalt annehmen kann. Ein Jahr später lässt sie ihren vermeintlich verschwundenen Ehemann für tot erklären und beginnt mit einem früheren Verehrer ein neues Leben. Doch der Werwolf durchstreift nach wie vor die Wälder...
Zur Produktion:
Der dem Hörspiel zu Grunde liegende Mythos der "Lykanthropie", also die Fähigkeit eines Menschen, sich in einen Wolf zu verwandeln, ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst. Ein deutliches Zeugnis dafür sind die Zwitterwesen, die sich bereits in Höhlenmalereien finden. Erste schriftliche Verweise stammen aus dem "Gilgamesch-Epos" in dem die Göttin "Ištar" einen Schäfer in einen Wolf verwandelt. Auch im alten Rom gab es dazu Geschichten. Die Älteste ist aus der Zeit Neros und stammt von dem Römer Gaius Petronius Arbiter (27-66), auch bekannt als Titus Petronius Niger, dem vermutlichen Autor des "Satyricon". Er erzählt in seiner Geschichte "Gastmahl des Trimalchio" von einem Mann, der sich bei Vollmond in einen Werwolf verwandelt. Im Mittelalter erlebte der Werwolfmythos dann eine Renaissance, und es erschienen mindestens zwei bis heute erhaltene Werke zu diesem Sujet. Die zwischen 1209-1214 von Gervasius von Tilbury (ca. 1150 - ca. 1235) für Kaiser Otto IV. geschriebene Weltgeschichte und Weltbeschreibung "Otia imperialia" (übersetzt: „Kaiserliche Mußestunden“), in der ein Ritter namens "Raimbaud de Pouget" enterbt wird und während einer nächtlichen Wanderung im Wald aus Furcht den Verstand verliert, was bereits ausreicht, ihn zum Werwolf werden zu lassen. Um die Wahrhaftigkeit seiner Geschicht zu unterstreichen, folgt direkt eine zweite, in der ein anderer Protagonist ("Chaucevaire") nachts seine Kleidung ablegt, versteckt und sich dann ebenfalls in einen Werwolf verwandelt. Interessanterweise finden sich einige dieser Elemente (ein Ritter, der zum Werwolf wird sowie das Ablegen und Verstecken der Kleidung) bereits in Marie de France (1135-1200) Gedicht "Bisclavret" (bretonisch für "Werwolf" und interessanterweise gleichzeitig der Nachname des Hauptdarstellers) aus der Sammlung "Lais de Marie de France". Der Gedichtband entstand um 1170 und war in anglonormannischer Sprache verfasst, wobei de France behauptete, sie habe das Gedicht erst aus dem Bretonischen übersetzen müssen. Im Jahr 1911 schrieb der englischsprachige Schriftsteller Eugene Mason (1862–1935) das Gedicht in Prosaform um, und es dürfte auch diese Fassung sein, welche Skriptautor Marc Gruppe als Ausgangsmaterial für sein Hörspielskript gedient hat, denn eine deutsche Veröffentlichung hat es meines Wissens nach bisher nicht gegeben. Übrigens ist Mason dabei ein Fehler unterlaufen, denn bei ihm heißt es "Bisclavaret", statt richtigerweise, so wie auch im Hörspiel, "Bisclavret".
Dies ist natürlich nicht das erste Titania Hörspiel, das sich mit Werwölfen beschäftigt (siehe u.a Gruselkabinett 20 - Der Werwolf, 49 - Der weiße Wolf & 107 - Der weiße Wolf von Kostopchin), aber es dürfte dasjenige mit der bisher ältesten schriftlichen Vorlage sein.
Obwohl Skriptautor Marc Gruppe die eigentliche Struktur und den Ablauf der Handlung nicht verändert, gibt es doch einige bemerkenswerte Unterschiede zu Marie de Frances Version.
Um den Hörer gleich in den Bann zu ziehen, eröffnet Gruppe das Hörspiel mit der Verwandlung Erics in einen Werwolf. Angenehmerweise verzichtet er dabei auf den Erzähler bzw. eine Beschreibung des Ereignisses, so daß sich jeder Hörer ein eigenes Bild davon machen kann, wie die Metamorphose abläuft. Diese Sequenz und auch die nachfolgende Eröffnung der Handlung durch den Erzähler, ist ebenso neu hinzugekommen, wie der Großteil der Dialoge. So gibt es nur hier die diversen Gespräche zwischen der Kammerfrau "Agnes" und ihrer Herrin "Catherine". Die Einführung der Figur der Zofe dient zunächst einmal dazu, Informationen, statt im Monolog, als Dialog zu präsentieren. Darüber hinaus schafft Gruppe mit ihr sozusagen eine Mittäterin, denn sie ist es, die "Catherine" nicht nur verbal unterstützt, sondern ihr auch aktiv zur Seite steht. Beispielsweise bietet sie ihrer Herrin diverse Tränke an, vom Schlafmittel bis hin zum Gift, und es ist sie, nicht, wie in der Originalgeschichte, "Catherine" selbst, die auf die Idee kommt, den ehemaligen Verehrer zu reaktivieren. Eine weitere, ebenfalls neu hinzugefügte Figur ist der "Abbé". Ein Charakter, der sich, auf Grund der ihm von Gruppe zugeordneten Texte (im Original werden diese von einem nicht näher beschriebenen "Berater" gesprochen), so natürlich in die Handlung einfügt, daß man kaum glauben kann, daß er nicht auch bei de France vorkommt. Gleiches gilt für die Mutter des Königs und den Folterknecht, welche aber in Bezug auf die Handlung nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen.
Auch die zeitliche Verortung in das Jahr 1170 (entspricht dem Entstehungsjahr des Gedichtbandes) und sämtliche Namen der Lokalitäten bzw. Protagonisten stammen aus der Feder von Marc Gruppe. Es würde den Rahmen der Rezension sprengen, auf wirklich alle Unterschiede zur literarischen Vorlage einzugehen, aber drei davon muss ich noch kurz ansprechen. Einmal sind dies heiße Liebesszenen, die allerdings so inszeniert worden sind, daß sie jederzeit jugendfrei bleiben. Das bedeutet aber nicht, daß sie damit an erotischer Wirkung verlieren, denn die Sprecher spielen diese Sequenzen mit eindringlicher Leidenschaft, die beinahe ohne jegliche Worte auskommt. Daß die Geschichte trotz der betagten Vorlage ziemlich modern wirkt, liegt nicht zuletzt an Gruppes Darstellung des Werwolfs, welcher hier zur Abwechslung mal keine tumbe, blutrünstige Bestie ist, sondern ein innerlich wie äußerlich verletzbares Wesen, das sich, im Gegensatz zu de Frances Version, auch noch artikulieren kann. Gerade Letzteres gibt dem Hörspiel allerdings eher den Anstrich eines Märchens, statt einer Gruselgeschichte, zumal der Skriptautor dem Werwolf Sätze in den Mund legt, die erkennen lassen, daß er die Menschen und ihre Absichten bzw. Schwächen durchschaut. Eine den Tieren sehr häufig auch in Fabeln und Märchen zugesprochene Eigenschaft.
Ebenfalls nicht unerwähnt lassen möchte ich den von Marc Gruppe leicht veränderten und erweiterten Schluß des Hörspiels, zu dem ich inhaltlich jedoch noch nichts verraten werde. Doch so viel sei gesagt: Nur im Hörspiel begleitet man Werwolf und König wirklich bis ans Ende.
Wer nun Lust bekommen hat, das für mein Empfinden kurzweilige, ca. 71 Minuten umfassende Hörspiel mit der englischsprachigen Version von Mason zu vergleichen, findet diese im Internet unter https://en.wikisource.org/wiki/Lays_of_ ... _Were-Wolf.
Im besten Sinne des Wortes ist auch die Umsetzung, also die Produktion von Stephan Bosenius und Marc Gruppe, märchenhaft ausgefallen. Jede einzelne Szene wird mit einer üppigen "Kulisse" aus Geräuschen und Musik liebevoll zum Leben erweckt. In der Eröffnungsszene im Wald beispielsweise rascheln die Blätter der Bäume im Wind, nachtaktive Vögel sind zu hören, und ein Pferd kommt mit klirrendem Zaumzeug herangaloppiert, um mit lautem Wiehern, quasi vor dem Hörer, zu scheuen. Dazu erklingt im Hintergund leise eine Melodie, die zwischen melancholisch und dramatisch alterniert, und schon ist man in die ganz eigene Klangwelt von Titania eingetaucht. Ich bin immer wieder begeistert von der ungeheuren Vielfalt der eingespielten Geräusche. Kein Türquietschen klingt gleich, und so bemerkt man durchaus am akustischen Unterschied, ob es sich um die eines Gasthauses oder die innerhalb des Schlosses handelt.
Bei der Musik kommen im Verlauf des Hörspiels so unterschiedliche Instrumente wie Geige, Klavier, Gitarre, Trompete, Synthesizer und Orgel zum Einsatz, aber auch ein Choral. Besonders gut gefallen haben mir die mittelalterlich klingende Melodie während des Festes und die teilweise schon episch wirkende Weise gegen Ende des Hörspiels.
Wie gewohnt dienen die Effekte nur dazu, das Geschehen realer bzw. plastischer darzustellen. So sind beispielsweise die Stimmen der Sprecher innerhalb des Schlosses mit leichtem Hall unterlegt, der Deckenhöhe und Ausmaß des jeweiligen Raumes adäquat abbildet. Um die Weitläufigkeit des gesamten Gebäudes zu zeigen, wird kräftig heulender Wind eingespielt. Sehr gelungen finde ich auch die leichte Verfremdung der Stimme des Werwolfs, um den Sprecher "tierhafter" wirken zu lassen.
Zu den Sprechern:
Peter Weis(Erzähler) ist eine sehr gute Wahl für diesen Part. Seine Betonung ist punktgenau und die leicht angeraute Stimme unterstreicht den märchenhaften Charakter des Hörspiels noch zusätzlich. Jean Paul Baeck(Eric de Bisclavret) spielt die Rolle des aufrechten Edelmannes nicht nur, er lebt sie geradezu. Egal ob er in lustvoller Umarmung mit Catherine mehr keucht als spricht oder in Wolfsgestalt seine Sätze quasi knurrt, dank seines engagierten Spiels bleibt die Sympathie des Hörers auch dann noch bei ihm, wenn er für das ihm angetane Unrecht Rache an seinen Peinigern übt. Ähnlich intensiv ist auch die Darbietung von Antje von der Ahe(Catherine de Bisclavret) als seine Ehefrau. Es ist schon genial, wie sie innerhalb weniger Szenen von der leidenschaftlich verliebten Ehefrau zur regelrechten Furie mutiert. Auf Grund ihrer überzeugenden Interpretation der Figur, hat man dann auch wenig Mitleid mit ihr, selbst wenn ihr späteres Wimmern, Weinen und Schreien den Hörer durchaus mitnehmen kann. Eine für mich überraschende Entwicklung macht auch Sabine Trooger(Kammerfrau Agnes) als "Catherines" Zofe durch. Zunächst hatte ich den Eindruck, bei ihr handele es sich lediglich um eine besorgte, hilfsbereite Dienerin, doch es stellte sich bald heraus, daß sie in Wahrheit, bei aller Treue gegenüber ihrer Gebieterin, eine skrupellose Intrigantin ist. Rolf Berg(Florent de Honfleur) ist klasse im Part des freundlichen, aber naiven Edelmannes, der für seine Angebetete alles tun würde.
Gleiches gilt auch für Sascha von Zambelly(Julian, ein Freund des Königs) als Vasall des Herrschers, der dem Verhältnis zwischen dem Regenten und der Bestie mit Argwohn begegnet. Doch von allen Nebenrollen hat mir der kurze, prägnante Auftritt von Marc Gruppe(Folterknecht) in der Rolle des in seiner Arbeit aufgehenden, sadistisch veranlagten Peinigers gefallen. Trotz der Ernsthaftigkeit der Situation, musste ich doch lächeln, als er mit merkbarem Bedauern seine Tätigkeit einstellt.
Die verbleibenden drei Sprecher, die in der Vergangenheit für das Label Europa tätig waren, möchte ich besonders herausstellen, da ich mit deren Stimmen aufgewachsen bin. Da wäre zunächst Ursula Sieg(Mutter des Königs) zu nennen, die mich schon 1978 mit ihrer Verkörperung des von "Heidi" und mir gleichermaßen gehassten "Frl. Rottenmeier" überzeugen konnte. Hier spielt sie die mit ihrem Sprößling unzufriedene, überaus besorgte Mutter von König Charles. Etwas später, Mitte der 1980er Jahre, lernte ich dann auch Christian Stark(Charles, König von Frankreich) als Sprecher kennen, der mich mit seiner Darstellung des "Tschang" in den "Tim und Struppi"-Hörspielen begeistern konnte. Ich finde, seine Stimme hat sich in der ganzen Zeit wenig verändert, und er klingt hier noch fast genauso jugendlich wie damals. Er liefert ein stimmiges Portrait des freundlichen Monarchen, der dem Werwolf völlig vertraut, seine Beziehung zu ihm gegenüber allen anderen verteidigt und fast zugrundegeht, als sich die Bestie von ihm fernhält.
Einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen hat jedoch Bernd Kreibich(Abbé), der in meinem Lieblingshörspiel "Invasion der Puppen" den Part des "Rore Kalmat" intonierte. Eine Darbietung, die mir für den Rest meiner Tage im Gedächtnis bleiben wird. Auch in diesem Hörspiel kann er mich mit seiner tadellosen Performance als älterer Geistlicher, der als Einziger den Werwolf durchschaut und versteht, begeistern. Auch wenn er einerseits ernst und getragenen spricht, so ist doch andererseits auch immer ein warmer, gütiger Unterton in seiner Stimme zu hören.
Fazit:
Ungewöhnliche Werwolfgeschichte, die an ein Märchen erinnert und fast ebenso gut in die Reihe "Titania Special" gepasst hätte.
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