Rezension: Gruselkabinett - 170 - Eine wahre Vampir-Geschichte
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Rezension: Gruselkabinett - 170 - Eine wahre Vampir-Geschichte
Gruselkabinett - 170 - Eine wahre Vampir-Geschichte
Zum Inhalt:
Die adlige Familie Wronski, Vater Baron Alexander, seine beiden Kinder Carmela und Gabriel und das belgischstämmige Kindermädchen Mademoiselle Vonnaert, leben den Großteil des Jahres unbeschwert auf einem abgelegenen Schloß in der Steiermark. An einem Abend im Jahr 1894 bringt der Vater eine zufällige Zugbekanntschaft mit nach Hause. Alle bis auf Carmela verfallen umgehend dem Charme dieses Besuchers, des Grafen Grigori Vardalek. Sie allein bleibt misstrauisch, und es dauert nicht lange, bis sich ihr zunächst unbegründeter Argwohn gegenüber dem Grafen bestätigt...
Zur Produktion:
Mit der hier vorliegenden Folge präsentiert "Titania Medien" den Hörern einmal mehr einen Autor, der heute so gut wie unbekannt ist. Graf Eric Stanislaus Stenbock, geboren als Erik Magnus Andreas Harry Stenbock (12.03.1860-26.04.1895) war der Sproß einer schwedischen Adelsfamilie. Sein Vater starb, als Eric erst ein Jahr alt war, und sein Großvater Magnus verwaltete das Erbe bis zu seinem Tod 1866. Danach übernahm Stenbock die Geschäfte selbst. Er studierte in Oxford, ohne jedoch sein Studium zu beenden. Während seines Aufenthalts an der Universität lernte er Simeon Solomon kennen, einen homosexuellen Künstler und Illustrator, der ihn nachhaltig beeinflusste. Im Sommer des Jahres 1887 begann Stenbock, langsam in eine fatale Alkohol- und Drogensucht abzugleiten. Er galt als exzentrisch, da er sich Schlangen, Eidechsen und Kröten in seinem Zimmer und einen Rehbock, einen Fuchs und einen Bären in seinem Garten hielt. Regelrecht bizarr wurde es jedoch, als er von einer Reise eine lebensgroße Puppe mitbrachte, jedem erklärte, daß dies ab jetzt sein "Sohn" sei und sogar soweit ging, einen Jesuiten anzustellen, der mit dessen "Erziehung" beauftragt wurde. Im Laufe seines Lebens publizierte Stenbock diverse Gedichtbände (u.a. "Love, Sleep and Dream" [1881] und "Rue, Myrtle and Cypress" [1883]). Kurz vor seinem Tod veröffentlichte er 1894 eine Sammlung von Kurzgeschichten unter dem Titel "Studies of Death", aus der auch die Vorlage für dieses Hörspiel stammt. 1895 beendete eine Leberzirrhose sein Leben und damit auch seine Laufbahn als Schriftsteller von dekadenter, makaberer Poesie und Belletristik. Erst rund 80 Jahre nach seinem Tod begann man, sein Werk neu zu editieren.
Die hier verwendete Erzählung "The true Story of a Vampire" erschien in Deutschland erstmals 1973 in dem vom Heyne-Verlag herausgegebenen Sammelband "14 Horror-Stories" unter dem Titel "Wie uns ein Vampir besuchte". Übrigens findet sich in diesem Band auch die Geschichte "Denn das Blut ist das Leben" (Gruselkabinett 160). Im April 1999 folgte in dem Buch "Studien des Todes" der "Edition Metzengerstein" ein Nachdruck, diesmal "Die wahre Geschichte eines Vampirs" benannt. Selbst wenn sich Skriptautor Marc Gruppe dazu entschlossen hätte, den schon im Vorfeld sehr verräterischen Titel abzuändern, wären Fans der Reihe schnell darauf gekommen, wer bzw. was hier für den Grusel verantwortlich ist. Daß man als Hörer trotzdem gebannt der Handlung lauscht, liegt einzig und allein an Gruppes Talent, die Abfolge so zu gestalten, daß die Geschichte nicht nur in sich schlüssig ist, sondern auch diverse Höhepunkte bietet. Da Stenbock das Geschehen als Rückerinnerung der alt gewordenen Carmela erzählt und diese hauptsächlich monologisiert, musste Gruppe die Monologe in Dialoge umschreiben, damit das Hörspiel nicht zum Hörbuch wurde. Darüber hinaus hat er etliche Passagen erweitert sowie ein neues Intro bzw. Outro verfasst. Außerdem wurde die Reihenfolge diverser Beschreibungen, bzw. Ereignisse leicht geändert, was dem flüssigen Ablauf nur zum Vorteil gereicht. Sämtliche von Gruppe vorgenommenen Kürzungen dienen lediglich zur Straffung der Handlung. So fehlt beispielsweise die Schilderung der Militärerlebnisse des Vaters und die Reaktion des Grafen darauf, ebenso wie die bei Stenbock geradezu ausufernde Beschreibungen von Gabriels Tierliebe. Im Gegenzug bekommt der Hörer dafür diverse neue Szenen präsentiert. So wird beispielsweise die Sequenz, bei der alle außer dem Vater und Carmela musizieren, sehr viel ausführlicher geschildert, als bei Stenbock, und auch die Verführung des Kindermädchens mit all ihren Konsequenzen ist neu hinzugekommen. Interessantewrweise hat es sich Marc Gruppe nicht nehmen lassen, ein weiteres Detail hinzuzufügen, welches Kennern und Liebhabern von Vampirgeschichten bekannt vorkommen dürfte: alle Opfer des Vampirs beginnen nach dessen erstem Besuch einen Schal zu tragen, um die Bisswunden zu verdecken. Bemerkenswert finde ich außerdem, daß Gruppe, im Gegensatz zu Stenbock, zu dessen Zeit das einfach nicht möglich war, die homoerotische Komponente sehr viel stärker betont und darüber hinaus noch einem Charakter den Satz: "Gebete werden hier kaum helfen." in den Mund legt. Letzteres interpretiere ich als milde formulierte Kritik an der katholischen Kirche und deren unreifem Umgang mit dem Thema Homosexualität. Trotz all der vorgenommenen Ergänzungen, kam mir die Laufzeit von 59 Minuten und 06 Sekunden wesentlich kürzer vor, was haupsächlich Gruppes ausgefeilter und, im Gegensatz zur literarischen Vorlage, wesentlich spannender daherkommenden Fassung zuzuschreiben ist. Selbstverständlich kann man auch diese Geschichte im englischen Original unter http://gutenberg.net.au/ebooks06/0606601h.html im Internet nachlesen.
Nicht unerheblich zum Erfolg des Hörspiels trägt aber auch die Regie und Produktion von Seitens der beiden "Titania"-Chefs Stephan Bosenius und Marc Gruppe bei. Schon die Eröffnung ist ungewöhnlich. Statt, wie üblich, den Hörer mit einer lauten bzw. aktionsreichen Szene zu begrüßen, ist der Anfang leise gehalten, und die Lautstärke wird erst langsam hochgefahren. Auf diese Weise hat man als Hörer das Gefühl, in die Handlung hineinzugleiten, statt in selbige "geworfen" bzw. damit direkt konfrontiert zu werden. Ich empfinde das als eine durchaus interessante Abwechslung, von der man hoffentlich ab jetzt öfter an passender Stelle Gebrauch machen wird.
Wie gewohnt orientiert sich die musikalische Untermalung am historischen Rahmen der Geschichte, und so bekommt man vor allem die damals gebräuchlichen Instrumente wie Geige, Cello, diverse Blasinstrumente und das Klavier zu hören. Vor allem Letzteres ist diesmal recht prominent vertreten, denn statt, wie sonst meist, den Synthesizer für düstere Töne zu verwenden, ist es hier das Klavier, welches entsprechende Akzente setzt. Das soll aber nicht heißen, daß man vollständig auf das elektronische Keyboard verzichtet, denn selbiges findet bei den unheimlichen Gruselmelodien seinen Einsatz, die im besten Sinne an die Filmmusik eines Horrorstreifens erinnern. Highlight der Musik ist aber eindeutig das bereits von mir erwähnte "Kammerkonzert" der Familie, bei dem die niederländische Musicaldarstellerin Wietske van Tongeren ihr großes Können unter Beweis stellt. Beinahe ebenso beeindruckend fand ich aber auch die "Geigen-Kakophonie", die zum Höhepunkt des Hörspiels eingespielt wird. Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch die harmonische Spieluhrmelodie, die quasi das verbindenene Element zwischen Vergangenheit und Gegenwart der Erzählerin darstellt.
Dieselbe Sorgfalt, die man bei der Auswahl der Musikstücke hat walten lassen, wird natürlich auch der Geräuschkulisse zuteil. Schon die Eröffnungsszene ist voll von den unterschiedlichsten Tönen. Mehrere Katzen maunzen um Futter, es wird mit Geschirr geklappert, ein Paketband aufgeschnitten und selbst das Geräusch, welches beim Aufziehen einer Spieluhr entsteht, nicht vergessen. Natürlich dürfen auch die zu erwartenen akustischen "Zutaten", wie schwere oder quietschende Schloßtüren, heulender Wind, ein prasselndes Kaminfeuer, knarrende Treppenstufen bzw. Bohlen und ein ordentliches Gewitter mit grollendem Donner und Regen, nicht fehlen. Wie üblich sind es aber die Töne, welche man als so gegeben hinnimmt, daß sie kaum noch auffallen, die die Produktionen von "Titania Medien" zum Hörerlebnis machen. Dazu zählt u.a. das Rücken von Stühlen beim Aufstehen oder Hinsetzen, die Kette, an der Carmelas Kruzifix hängt sowie das extrem realistisch gestaltete Geräusch, das beim Einschenken eines Heißgetränks entsteht. Effekte werden sparsam, aber geschickt eingesetzt. So spielt man weiter entfernte Stimmen leiser ein, innerhalb des Schloßvorraumes bekommen die Stimmen einen leichten Hall, um dessen Dimension angemessen widerzugeben, und das Klavierspiel des Vampirs erklingt lauter bzw. kräftiger, nachdem er sich gestärkt hat.
Zu den Sprechern:
Arianne Borbach(alte Carmela), die gleichzeitig als Erzählerin fungiert, ist zwar großartig als ältere Baronin Wronski, die sich schmerzvoll an die tragische Vergangenheit erinnert, verblasst aber beinahe gegenüber ihrem jüngeren Pendant Luisa Wietzorek(junge Carmela), in der Rolle der jugendlichen, ausgelassenen und fröhlichen Adelstochter, die von Anfang an großes Misstrauen gegenüber dem Gast hegt. Es ist einfach toll, ihre Wandlung vom unbeschwerten Mädchen hin zur verängstigten jungen Frau zu lauschen, und als sie anfängt, verzweifelt zu schluchzen, hat man als Hörer sofort das Bedürfnis, sie zu trösten. Ebenfalls gut gefallen hat mir Bene Gutjan(Gabriel) mit seinem Portrait des eigentlich scheuen Jungen, der geradezu abhängig von der Gesellschaft des Grafen Vardaleck wird und dessen lustvolles Keuchen, als er mit dem Vampir zusammen ist, absolut authentisch klingt. Auch Christoph Jablonka(Baron Alexander Wronski) kann in seinem Part des alten Adligen, der den Neuankömmling zunächst ebenso verehrt wie sein Sohn, in jeder Beziehung überzeugen.
Es ist geradezu erschütternd, seinen Verfall mit anzuhören, und sein letzter Auftritt, in dem er mit bereits brüchiger Stimme bedauert, den Grafen ins Haus gelassen zu haben, zählt für mich zu den sprecherischen Highlights des Hörspiels. Mit der Besetzung von Wietske van Tongeren(Mademoiselle Vonnaert) als das belgischstämmige Kindermädchen, ist "Titania-Medien" ein besonderer Coup gelungen. Vermutlich auch auf Grund ihrer Herkunft, ist sie in der Lage, den notwendigen französischen Akzent vollkommen realistisch in ihr Portrait der zunächst nur um die Kinder besorgten Amme einfließen zu lassen. Als geübte und überaus begabte Musicaldarstellerin kann sie natürlich auch das "Kammerkonzert" angemessen begleiten. Darüber hinaus ist sie aber ebenfalls eine ausgezeichnete Sprecherin, von der wir hoffentlich noch mehr zu Gehör bekommen. Vollkomen zu Recht hat man ihrer Figur hier mehr Raum gegeben, als es Stenbock in seiner Kurzgeschichte getan hat. Ganz auf Augenhöhe der zuvor Genannten, ist auch Martin May(Graf Grigori Vardalek) als mysteriöser Gast der Familie. Schon seine ersten, mit weicher Stimme vorgetragenen Sätze nähmen nicht nur die Familie, sondern auch den Hörer ganz für ihn ein, wenn da nicht gleichzeitig dieser gefährliche, düstere Unterton in seinem Vortrag wäre. In weiteren Nebenrollen treten noch das Sprecher-"Urgestein" Bernd Kreibich(Arzt) als gelassener, aber rat- und machtloser Doktor sowie in einer Doppelrolle Marc Gruppe(Postbote/Priester) als ungeduldiger Briefträger bzw. abgeklärter Geistlicher auf.
Fazit:
Trotz einer gewissen durch den Titel bedingten Vorhersehbarkeit, gelingt es der tadellosen Inszenierung, den Hörer bis zum Schluß bestens zu unterhalten.
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