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Rezension: Gruselkabinett - 177 - Furia Infernalis

Verfasst: Mi 30.03.2022, 16:59
von MonsterAsyl
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Gruselkabinett - 177 - Furia Infernalis

Zum Inhalt:
Auf Schloß Krementschuk in der Ukraine gehen seltsame Dinge vor. Die Leiche des zu Tode gepeitschen Nikolay verschwindet, und sein Mörder stirbt unter geheimnisvollen Umständen. Doch wer steckt hinter dem unheimlichen Geschehen? Ist das Schloß tatsächlich verflucht, oder gibt es eine andere Ursache für die grausigen Ereignisse?

Zur Produktion:
Es mag den einen oder anderen verwundern, daß Titania Medien ausgerechnet eine Geschichte von Ludwig Bechstein (24.11.1801 - 14.05.1860) innerhalb der Reihe "Gruselkabinett" veröffentlicht, denn der Mehrheit der Hörer dürfte er vor allem als Sammler von Märchen bekannt sein. Doch Bechstein, der nicht nur Schriftsteller, Bibliothekar, Archivar und Apotheker war, schrieb auch phantastische Geschichten. Zu diesen Werken gehören die Bücher "Erzählungen und Phantasiestücke" [13 Novellen in 4 Bänden. Hallberger, Stuttgart 1831], "Novellen und Phantasiegemälde" [2 Bände. Kesselring, Hildburghausen 1832], "Novellen und Phantasieblüthen" [2 Theile. Leo, Leipzig 1835] und "Hexengeschichten" [1854, Georg Olms Verlag]. Letzteres wurde rund 130 Jahre später (1984) nachgedruckt und damit einem breiten Publikum wieder zugänglich gemacht. Aus diesem Band stammt auch die hier zugrundeliegende Geschichte "Furia Infernalis".
Um es direkt vorwegzunehmen: So sehr mir das von Ralf Nievelstein gestaltete Cover auch gefällt, suggeriert es doch fälschlicherweise, daß es sich hier um ein riesiges Monster handelt. Tatsächlich entspricht die titelgebende Kreatur zwar vom Aussehen her der Illustration, ist jedoch wesentlich kleiner. Hörspielskriptautor Marc Gruppe bleibt zwar wie gewohnt dicht an der literarischen Vorlage, hat aber dennoch einige Änderungen vorgenommen. Um den Ablauf möglichst kompakt zu gestalten, wurden etliche Passagen teilweise drastisch gekürzt. Bereits zu Beginn fehlt das in der Novelle vorhandene Kapitel "Die bösen Spinnen", in dem der Leser bereits Bekanntschaft mit der unheimlichen Kreatur macht. Dieser Teil ist jedoch für die eigentliche Geschichte nicht von Belang und durch seine "Aussparung" bleibt das Geschehen sehr viel spannender und unheimlicher, als es bei Bechstein der Fall ist.
Des Weiteren sind diverse Landschaftsschilderungen, die Szene des Festschmauses, die ausufernde Beschreibung Agaphonikas und die verschiedenen Methoden der Wolfsjagd der Schere zum Opfer gefallen. Dies alles ist jedoch ebenso irrelevant für die Handlung, wie das zuvor genannte "Spinnen"-Kapitel.
Man mag die Kürzungen zwar vielleicht bedauern, doch letztlich sorgen gerade sie dafür, daß eine lupenreine Gruselgeschichte übrigbleibt.
Natürlich hat Gruppe auch die heutzutage doch an vielen Stellen altertümlich wirkende Sprache behutsam modernisiert. So wurde beispielsweise aus "Kutschelchen" die "Knöchelchen" und aus "Mühe Deine Lunge nicht ab", das uns vertrautere "Spar Dir Deine Reden". Die gravierendste Veränderung erfährt jedoch die Figur der "Mataphka". Bei Bechstein liest man, daß sie bei "Mohammed" schwört, während sie bei Marc Gruppe "alle bösen Engel des Abgrunds" anruft. Vermutlich gibt es diese Veränderung, um muslimische Hörer nicht vor den Kopf zu stoßen oder gar zu stigmatisieren.
Gleiches gilt wohl auch für die Streichung der "polnischen Juden", deren Erwähnung bei Bechstein recht befremdlich anmutet, da diese in der Geschichte überhaupt keine Rolle spielen und sich der Leser fragt, warum sie überhaupt genannt werden.
Interessanterweise hat der Skriptautor die Gewaltszenen aus Bechsteins Vorlage zwar teilweise einerseits entschärft, indem er beispielsweise Theophiliy lediglich den Mund Mataphkas zuhalten lässt, während diese in der Novelle brutal geschlagen wird, andererseits ist aber nur bei Gruppe die Rede vom "blutgetränkten Schnee". Außerdem hat er zum Schluß hin die Reihenfolge etwas abgewandelt. So verschwindet Metaphka hier wesentlich früher als bei Bechstein. Diese Änderung kommt aber der Handlung zu Gute, da sich die Geschichte ganz auf die "Furia Infernalis" konzentrieren kann.
Zum Abschluß des knapp 62minütigen Hörspiels, lässt das Titania-Team noch einmal die unheimliche Kreatur auftreten und sorgt damit für einen letzten wohligen Schauer beim Hörer.
Zurecht ist man bei Titania besonders stolz auf die atmosphärische Inszenierung der Hörspiele. Stephan Bosenius und Marc Gruppe, die beiden Produzenten und Regisseure, haben einen ganz eigenen Stil, an dem man ihre "Handschrift" sofort erkennt. Da wäre zunächst die perfekt ausgesuchte Musik zu nennen, mit der ein Großteil der Szenen unterlegt wird. Passend zum Ort des Geschehens dominieren hier Geige und Ziehharmonika, welche sofort Assoziationen mit der Ukraine wecken. Während die Geige vor allem für Dramatik und düstere Stimmung sorgt, wird die Ziehharmonika überwiegend für fröhliche Melodien eingesetzt. Musikalisches Highlight sind für mich aber die gelegentlich erklingenden ukrainischen Choräle, welche mich besonders berührten. Vielleicht liegt es daran, daß ich der Sprache nicht mächtig bin, oder an der tragend anmutenden Weise, wie diese intoniert werden. So oder so sind sie es, die mir noch eine Extraportion "Gruselgefühl" gegeben haben.
Ebenso präzise wie der Einsatz der Musik, ist auch Geräuschuntermalung. Bereits am Anfang wird der Hörer mit erbarmungswürdigem Gewimmer, dem eigentümlichen Geräusch der Kreatur, welches an ein übergroßes Insekt erinnert, und dämonischem Lachen auf die unheimliche Geschichte eingestimmt.
Im weiteren Verlauf werden gurrende, mit den Flügeln schlagende Tauben, eine Pferdekutsche mit wiehernden Rössern und klapperndem Zaumzeug, ein leise knisterndes Kaminfeuer und ein prasselndes Feuer im Wald, pfeifender Wind und eine leise tickende Taschenuhr eingespielt. Am beeindruckendsten ist natürlich das Geräusch, welches die "Furia Infernalis" von sich gibt. Eine Mischung aus einer Art Rascheln und Schaben, das ausgezeichnet zu diesem Wesen passt.
Da die Handlung für sich sprechen soll, verzichtet Titania beinahe komplett auf Effekte. Lediglich die Briefe, welche von den Autoren vorgetragen werden, sind mit einem leichten Hall unterlegt. Auch das Jammern von Mataphka ist mit dieser Eigenschaft versehen worden, um auch beim Hörer sprichwörtlich "nachzuhallen".

Zu den Sprechern:
Die leicht rau klingende Stimme von Peter Weis(Erzähler) passt ideal zu dieser Funktion, und obwohl er schon beinahe sachlich nüchtern klingt, gelingt es ihm dennoch, immer einen Hauch von Gefühl in seinen Vortrag zu legen. Bodo Primus(Polykarpow Simeonowitsch Kalugin) verkörpert das herrische, strenge Familienoberhaupt. In seiner leicht heiseren Stimme schwingt viel Liebe und Stolz auf seinen Sohn mit, und sein Tonfall, wenn er wütend oder ungeduldig wird, lässt keinen Widerspruch zu. Ebenso überzeugend agiert auch Louis Friedemann Thiele(Basiliy Polykarpowitsch) als sein dickköpfiger, ein wenig leichtsinniger Sohn. Komplettiert wird die "Familie" durch die wunderbar spielende Uschi Hugo(Agaphonika Polykarpowna) als taubenliebende Tochter bzw. gutherzige Schwester. Hugos Darbietung ist einfach immer auf den Punkt, egal ob sie mitleiderregend schluchzt, voller Inbrunst ihren Brief vorträgt oder im Fieber phantasiert. Ihr zur Seite steht Ingeborg Kallweit(Aniuschka Isidorowna) als zuvorkommende, durch die Ereignisse um Nikolay traurige Zofe. Sprecherisches Highlight dieser Folge ist für mich aber ganz klar die unverwechselbare Regina Lemnitz(Mataphka) in der Rolle der alten Kinderfrau der Polykarpows und Mutter Nikolays. Ihr Portrait der liebenden Mutter, der brutal der Sohn genommen wird, ist einfach großartig. Ihr Spiel kann man nicht anders als furios nennen. Während ihr Sohn malträtiert wird, spricht sie mit gebrochener Stimme, und ihr Wimmern geht einem durch Mark und Bein.
Aber wirklich herausragend ist sie, als sie sich mit zittriger Stimme bei Agaphonika "bedankt". Ebenfalls wirklich gekonnt interpretiert Bert Stevens(Paul Michaylow) seinen Part als alter Haushofmeister, dem seine Affaire mit Mataphka so peinlich ist, daß er einen unmenschlichen Hass auf sie und ihren Sohn entwickelt hat. Die Boshaftigkeit seiner Figur kommt bei jedem Satz zum Ausdruck, und es wird wohl niemanden geben, der ihm sein Schicksal nicht gönnt. Absolut gelungen ist auch Tom Razcos(Nikolay) Portrait des jungen Leibeigenen, der seinen Herrn Basiliy abgöttisch liebt und alles tun würde, um in seiner Nähe zu sein. Seine Wandlung zum harten, abgeklärten Mann ist schon ein regelrechtes Stück Schauspielkunst. In weiteren Rollen kommen noch Hans Bayer(Theophiliy Nikodemonow) als alter Wolfsjäger, der um Gnade für Nikolay bittet und in dem mehr steckt, als man zunächst meinen würde, sowie Marc Gruppe als Kutscher zu Wort.

Fazit:
Eindrucksvoller Beweis, daß Bechstein nicht nur Märchen erzählen konnte. Ein würdiger Vertreter der großartigen "Gruselkabinett"-Reihe.

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