Rezension: Gruselkabinett - 183 - Die andere Seite

Neongrüne Riesenspinnen jagen Frankensteins Monster durch Draculas Schloß!
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MonsterAsyl
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Rezension: Gruselkabinett - 183 - Die andere Seite

Beitrag von MonsterAsyl »

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Gruselkabinett - 183 - Die andere Seite

Zum Inhalt:
In der Nähe eines Örtchens, irgendwo in der Bretagne, gibt es einen kleinen Fluß, der von allen Dorfbewohnern gemieden wird. Auf der gegenüberliegenden Seite ist es nie grün, selbst tagsüber herrscht eine eigentümliche Düsternis, und nachts heulen die Wölfe. Eine Tages sieht der kleine Gabriel dort jedoch eine wunderschöne blaue Blume, deren Duft ihn so betört, daß er den Sprung ans andere Ufer wagt...

Zur Produktion:
Das vorliegende Hörspiel ist, nach "Gruselkabinett 170 - Eine wahre Vampirgeschichte", die zweite Erzählung aus der Feder von Graf Eric Stanislaus Stenbock, geboren als Erik Magnus Andreas Harry Stenbock (12.03.1860-26.04.1895), die Titania Medien als Hörspiel umgesetzt hat. Obwohl er eigentlich Este war, lebte er den größten Teil seines nur recht kurzen Lebens in Großbritannien und verfasste auch seine Geschichten ausschließlich auf Englisch. "The other Side - A Breton Legend", so der Originaltitel der hier zu Grunde liegenden Story, erschien erstmals am 06.06.1893. In Deutschland musste man einmal mehr über hundert Jahre warten, bis "Die andere Seite" im April 1999 in der "Edition Metzengerstein Nummer 10" in deutscher Sprache veröffentlicht wurde. Wie man bereits am Cover des Hörspiels erahnen kann, handelt es sich um eine Werwolfgeschichte, die jedoch anders als üblich verläuft und neue Aspekte (wie z.B. die blauen Blumen) in den Mythos einbringt. Wer das Original gelesen hat, dem wird auffallen, daß Skriptautor Marc Gruppe einige Veränderungen vorgenommen hat, ohne sich allerdings allzu weit von der literarischen Vorlage Stenbocks zu entfernen. So ist beispielsweise das Erzählerintro neu, und der eigentliche Beginn der Handlung wird in Form eines Dialoges präsentiert. Darüber hinaus hat Gruppe alle französischen und lateinischen Sätze ins Deutsche übertragen, damit auch diejenigen, die beider Sprachen nicht mächtig sind, problemlos dem Geschehen folgen können. Neben einigen kurzen neuen Dialogen und der zeitlichen Verortung in das Jahr 1837, gibt es noch folgende Änderungen gegenüber Stenbocks Version: Während dieser einige der Kreaturen als Wesen, deren Oberkörper wie schwarze Katzen ausehen, beschreibt, redet der Skriptautor hier passenderweise von "wolfsähnlichen Oberkörpern". Neu ist auch, daß Lilith nackt agiert und ihr Name wesentlich früher fällt, als in der Kurzgeschichte. Zudem fragt Lilith hier nicht, wer sie geschlagen hat, sondern warum. Das fand ich gut, denn es ist wesentlich logischer, da sie ja genau weiß, wer es gewesen ist. Daß Gabriel nicht in der Mitte der Wölfe sitzt, sondern liegt, und er, statt nach Kaffee, neutral nach etwas zu Trinken fragt, spielt für den Ablauf keine Rolle. Ein bisschen schade finde ich hingegen, daß Gruppe komplett auf die seltsame Phantasiesprache verzichtet, in der die Wolfswesen kommunizieren und singen. Deren Inklusion hätte meiner Meinung nach die gruselige Grundstimmung noch verstärkt. Andererseits kann ich die Entscheidung aber nachvollziehen, denn für die Sprecher wäre es wohl eine Tortur geworden, Texte wie "Ma zála liral va jé Cwamûlo zhajéla je Cárma urádi el javé Járma, symai,--carmé-- Zhála javály thra je al vú al vlaûle va azré Safralje vairálje va já? Cárma serâja Lâja lâja Luzhà!" sprechen oder gar singen zu müssen. Mir hat diese ungewöhnliche und spannende Werwolfgeschichte so gut gefallen, daß mir die ohnehin relativ straffe Laufzeit von ca. 46 Minuten noch kürzer vorkam.
Das Hörspiel wurde von den beiden Titania-Chefs Stephan Bosenius und Marc Gruppe wieder einmal sehr üppig inszeniert. Allein die Auswahl der Instrumente ist so vielseitig, wie sonst kaum irgendwo. Neben dem Klavier, dem Synthesizer oder diversen Streich- und Blasinstrumenten, kommt auch eine Kirchenorgel zu sinnvollem Einsatz. Eröffnet wird das Hörspiel mit einer melancholisch anmutenden Klavierweise, bevor dann düstere Synthesizerklänge ertönen. Letztere sorgen für eine angemessen unheimliche Atmosphäre und werden vor allem im Zusammenhang mit den Wolfskreaturen eingespielt. Als es dann etwas "actionlastiger" wird, hört man eine entsprechend rasante orchestrale Melodie, und in der Kirche ertönt natürlich Orgelmusik. Zum Abschluß erklingt noch eine harmonische Flötenmelodie, welche die aufregende Handlung sanft ausklingen lässt.
So wie die musikalische Untermalung, lässt auch die Geräuschkulisse keinen Wunsch offen. Das zu Beginn dargebotene Wolfsgeheul zieht den Hörer sofort in seinen Bann, und jede nachfolgende Szene wird ebenfalls mit vollkommen natürlich klingenden Lauten atmosphärisch unterstrichen. Im Kamin prasselt leise ein Feuer, draußen ist Vogelgezwitscher und das Murmeln eines kleinen Flusses zu hören. In einiger Entfernung läuten die Kirchenglocken, und die Gräser rascheln sanft im Wind. Ganz außerordentlich finde ich auch den Sprung Gabriels hin zum anderen Ufer, bei dem man deutlich mitbekommt, daß er etwas zu kurz ausfällt und einer seiner Füße im Wasser landet. Nachts stimmt eine Nachtigall ihr Lied an, und als Gabriel mit Carmeille am Ufer des Baches sitzt, bekommt man den akustischen Eindruck, daß die beiden ihre Füße darin kühlen. Das Bett Gabriels knarrt ein wenig, als er es verläßt, und die Feuersbrunst gegen Ende ist sicherlich das Sound-Highlight des Hörspiels. Um einige Szenen noch effektiver zu gestalten, wird unterschiedlicher Hall eingesetzt. Beim Wolfsgeheul ist er eher verhalten, um die Entfernung der Wesen vom Hörer zu verdeutlichen, während er in der Kirche sehr dominant wirkt, damit deren Größe auch klanglich adäquat dargestellt ist. Um Liliths unheimliche Präsenz noch zu steigern, werden ihr Gelächter und ihre Stimme, bei der Zusammenkunft der Wolfswesen, ebenfalls mit Hall unterlegt.

Zu den Sprechern:
Auf den Sprecherphotos wirkt Jean Paul Baeck(Gabriel als Erzähler) ja immer so jung. Umso erstaunlicher ist es, daß er hier auch durchaus wie ein älterer Mann klingen kann. Seine leicht raue Stimme eignet sich hervorragend für die Beschreibung der zu hörenden Töne und der Umgebung aus Sicht eines betagten Herrn. Mit ihrer Interpretation der redseligen und trinkfreudigen Freundin von Mère Yvonne setzt sich Ursula Wüsthof(Mère Pinquèle) regelrecht selbst ein Denkmal. Es ist einfach großartig, wie es ihr gelingt, mit nur wenigen Sätzen einerseits wie eine freundliche ältere Dame zu klingen, andererseits wie eine unheimliche Frau, hinter der noch mehr stecken muss. Mindestens ebenso überzeugend agiert auch Kathryn McMenemy(Mère Yvonne) als Gabriels Mutter, die ihren Sohn auch schon mal zur Ordnung rufen muss. Ihr Entsetzen und die Wut darüber, daß ihr Sohn auf der anderen Seite war, sind so intensiv gespielt, daß man auch als Hörer unwillkürlich den Kopf einzieht. Daß der (Sprecher-)Apfel nicht weit vom Stamm fällt, zeigt eindrucksvoll Edward McMenemy(Gabriel als Knabe) mit seinem Portrait des aufgeregten, von Mère Pinquèles Geschichte faszinierten Jungen. Trotz seiner Jugend ist er in der Lage, so unterschiedliche Emotionen wie Angst, Ärger oder Verblüffung absolut natürlich darzustellen. Highlight seiner Performance ist aber sicherlich das Unwohlsein, welches er plötzlich gegenüber dem Priester empfindet. Die Stimme von Marlene Bosenius(Carmeille) scheint vielleicht noch ein wenig zu jung für die Rolle von Gabriels Freundin zu klingen, aber auch sie meistert souverän alle darzustellenden Gefühle. Mal gluckst sie vor Freude, dann ist sie maßlos erstaunt, und auch ihr eindringliches Rufen nach Gabriel wird keinen Hörer unberührt lassen. Bodo Primus(Abbé Félicien) ist perfekt besetzt als gütiger Geistlicher, der auf Gott vertraut, Gabriel tröstet und ihm seine Hilfe anbietet. Ähnlich eindrucksvoll fällt auch Marc Gruppes(Wolfswärter) Darstellung des Isegrim-Hüters aus. Sein mal finsteres, mal spöttisches Gelächter, und vor allem das Wolfsbellen und -grollen, sind einfach top gelungen. Noch besser ist er aber, wenn er mit ultrarauer, geradezu kehlig klingender Stimme seinen Text spricht. Da könnte man fast meinen, der Leibhaftige säße vor einem. Geradezu magisch spielt Antje von der Ahe(Lilith) eine Art Succubus, der Gabriel bedingungslos liebt. Ihre verführerische, eindringliche Stimme dürfte wohl jedes Männerherz erobern, aber das Besondere daran ist, daß sie zugleich unheimlich und liebevoll wirkt. Besser kann man diese Figur nicht darstellen.

Fazit:
Ungewöhnliche Werwolfgeschichte perfekt inszeniert.

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Keeper of the Monsters

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