Rezension: Gruselkabinett - 186 - Der Ghoul
Verfasst: So 05.11.2023, 12:12
Gruselkabinett - 186 - Der Ghoul
Zum Inhalt:
Nach ausgedehnten Reisen kehrt Graf Hyppolit auf das Stammschloss seiner Familie zurück und lässt dieses umfangreich renovieren. Eines Tages steht eine alte Baroness vor dem Tor und bittet um Einlass. Obwohl sein Oheim ihm berichtet, dass sein Vater diese Frau verabscheut habe, ist der Graf ihr gegenüber gastfreundlich. Zwar kommt ihm die Baroness unheimlich vor, aber da sie sich in Begleitung ihrer hübschen Tochter Aurelie befindet, in die er sich umgehend verliebt, verdrängt er seine Gefühle. Am Tag, an dem beider Hochzeit stattfinden soll, findet man die alte Dame tot auf. Doch das ist erst der Beginn grauenvoller Ereignisse...
Zur Produktion:
Nach "Gruselkabinett - 42 - Der Sandmann" ist dies erst die zweite Vertonung eines Werks von E.T.A. Hoffmann (24.01.1776 - 25.06.1822). Die drei Buchstaben stehen für Ernst Theodor Amadeus (letzteren Namen wählte er aus Verehrung für den Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart), obwohl der Autor eigentlich Ernst Theodor Wilhelm mit Vornamen hieß. Hoffmann war nicht nur ein bedeutender Schriftssteller, sondern arbeitete auch als Jurist, Komponist, Kapellmeister, Musikkritiker, Zeichner und Karikaturist. Seine Novellen wurden von den Gespenstergeschichten des 18. Jahrhunderts, der englischen Schauerliteratur und frühromantischen Märchen maßgeblich beeinflusst. Ab 1818 verschlechterte sich dann leider seine Gesundheit, und er begann unter einer damals unerklärlichen Lähmung zu leiden, die dazu führte, daß er nicht mehr schreiben konnte und darauf angewiesen war, seine Ideen und Werke anderen zu diktieren. Am Vormittag des 25.06.1822 verstarb Hoffmann aufgrund einer Atemlähmung.
Die literarische Vorlage für das Hörspielmanuskript stammt aus einer Sammlung von Erzählungen und Aufsätzen, die von 1819 bis 1821 als vierbändiges Werk unter dem Titel "Die Serapionsbrüder" erschien. Zwar waren die darin enthaltenen Werke größtenteils schon bekannt, doch Hoffmann fügte noch einige neue hinzu und verband die einzelnen Geschichten mit Hilfe einer Rahmenhandlung. "Vampirismus" so der eigentliche Titel dieser Geschichte, entnahm Skriptautor Marc Gruppe dem achten Abschnitt des vierten Bandes. Interessanterweise gab es zwar bereits 2006 eine Vertonung der "Serapionsbrüder" vom Bayrischen Rundfunk, doch "Vampirismus" hatte man ausgelassen. Umso schöner ist es, daß sich Titania-Medien nun diesem vernachlässigten Kapitel in Form eines Hörspiels widmet. Gruppe hat sich zunächst der Sprache angenommen und diese, sowie den Satzbau, behutsam modernisiert. Dehalb ist hier beispielsweise nicht von "befangen", sondern "verstrickt" die Rede, aus "Atzung" wurde "Nahrung" und aus "Hülfe" wurde das heutzutage gebräuchliche "Hilfe". Darüber hinaus hat er einige schmückende Adjektive wie "knochendürr" statt nur "dürr", oder "unheimlich", im Zusammenhang mit der Baroness, hinzugefügt.
Der ursprüngliche Monlog wurde in Dialoge umgeschrieben, und es gibt neue Sätze, um einen Übergang zu den einzelnen Szenen zu schaffen.
Daß sich hier der Oheim und nicht, wie bei Hoffmann, der Graf selbst an die Baroness erinnert, oder statt dem alten Diener auch der Oheim berichtet, ist für den Verlauf der Handlung unerheblich. Gleiches gilt für die Umbennung der Figur Bernardo, die bei Hoffmann Urian heißt.
Wie bereits erwähnt, lautet der ursprüngliche Titel ja "Vampirismus" und nicht "Der Ghoul". Wer die Geschichte gelesen hat, wird wissen, daß es bei Hoffmanns Erzählung tatsächlich nicht um irgendwelche Vampire geht, sondern um Ghoule. Dementsprechend hat sich Marc Gruppe die Freiheit genommen, dieses Thema noch zu verstärken bzw. in den Vordergrund zu stellen. Da man damals den Begriff "Ghoul" nicht kannte und so natürlich nicht wusste, woher ein solches Wesen stammen könnte, nutzt der Skriptautor den zu dieser Zeit weit verbreiteten Glauben an Flüche und den Teufel. Zwar wird der "gefallene Engel" durchaus auch bei Hoffmann erwähnt, jedoch ohne direkten Zusammenhang mit den Figuren bzw. deren Schicksal. Das ist hier anders. So hat einer der Protagonisten dem Teufel ein Versprechen gegeben und ein anderer einen Fluch ausgesprochen. Doch das sind nicht die einzigen Ergänzungen. So gibt es bei Gruppe unter anderem die "Auferstehung von den Toten", und der Leichnam wurde "frisch ausgegraben". All das passt, auch nach heutigen Maßstäben, sehr viel besser zu einem Ghoul als zu einem Vampir. Bei Hoffmann und auch im Hörspiel gibt es eine Szene, in der die Baroness einen Polizisten auffordert, sich den Rücken einer anderen Person anzusehen, woraufhin diese dann verhaftet wird. Eine Sequenz, die heutzutage unverständlich bliebe, wenn Marc Gruppe nicht so freundlich gewesen wäre, darauf hinzuweisen, daß sich dort ein Brandzeichen befindet, welches denjenigen als Verbrecher ausweist. Ebenfalls neu hinzugekommen ist ein allerletzter Satz, bei dem es um den Tod einer der Figuren geht. Ohne all diese Veränderungen und Erweiterungen wäre die Geschichte wesentlich spannungsärmer ausgefallen. Daß man sich beim Hören immer wieder gruselt, ist aber nicht zuletzt auf die ausgezeichnete Produktion des knapp 58minütigen Hörspiels zurückzuführen.
Für Produktion und Regie sind wie üblich Stephan Bosenius und Marc Gruppe verantwortlich. Mit viel Gefühl für das Geschehen haben die beiden jede einzelne Szene mit passender Musik unterlegt. Die Melodien alternieren dabei zwischen tragend, treibend und bedrohlich, doch es gibt auch ein fröhliches Stück, als die Schwangerschaft verkündet wird. Besonders beeindruckend finde ich die Streicher-Kakophonie, welche an Horrorfilme erinnert, und die Trauermusik am Schluß, die so geschickt komponiert ist, daß sie über die Geschichte hinaus noch weiteres Unheil andeutet. Der Großteil der Stücke ist mir unbekannt, aber eine Melodie, die ich leider mal wieder nicht benennen kann, war mir durch den Soundtrack des Films "Uhrwerk Orange" vertraut. Neben dem Synthesizer, mit dem die düsteren und unheimlichen Töne eingespielt wurden, kommen hier vor allem klassische Instrumente wie Kontrabass, Geige, Trommeln, Mandolinen, eine Kirchenorgel und außerdem ein Choral zum Einsatz. Ebenso sorgfältig wie die musikalische Untermalung, werden auch die unterschiedlichsten Geräusche eingesetzt, um eine möglichst realistische Darstellung zu erzielen. Im Schloß klappert man mit dem Geschirr, der Wind pfeift durch das Gemäuer, und im Hintergund prasselt leise ein wärmendes Kaminfeuer. Wie es sich für eine Gruselgeschichte gehört, gibt es natürlich auch ein Unwetter mit Donner und Regen. Nachts streift der Wind durch die Gräser und diverse Nachtvögel sind zu hören. Etwas vermisst habe ich den schon legendären Käuzchenruf, der auch hier gut gepasst hätte. Mit welcher Akribie die beiden Produzenten und Regisseure arbeiten, erkennt man unter anderem daran, daß man als Hörer klar unterscheiden kann, auf welchem Untergrund (Kies, Gras oder Steinboden) sich die Protagonisten gerade bewegen. Am meisten hat mich aber die unglaublich dynamische Szene beeindruckt, bei der erst an der Türklinke gerüttelt wird, bevor die Tür geräuschvoll zersplittert und anschließend einer weiblichen Figur die Kleider heruntergerissen werden. Das hätte man visuell nicht besser hinbekommen können.
Wie gewohnt wurde auch auf die kleinsten Töne geachtet, mit denen man eine Szene noch lebendiger gestalten kann. Da wird hörbar ein Briefumschlag geöffnet und der Inhalt entfaltet, das Bett knarrt beim Verlassen, und selbst ein Kerzenhalter, der leicht an den Nachttisch schlägt, kommt zu Gehör.
Während andere Labels sich häufig mit immer demselben Türgeräusch zufriedengeben, hat hier jede der drei vorkommenden Türen einen eigenen Klang.
Der Einsatz von Effekten ist stark eingeschränkt. Ein wichtiger Satz wird nochmals wiederholt und mit Hall unterlegt, um diesem einerseits zusätzliche Gewichtung zu geben und andererseits herauszustellen, daß er bereits in der Vergangenheit gesagt wurde. Ausserdem wird der Tumult vor der Tür, also die aufgeregte Menschenmenge, leiser eingespielt, um die Entfernung zum Hörer zu verdeutlichen.
Zu den Sprechern:
Obwohl er der Erzähler ist, hat Thomas Balou Martin nur sehr wenig Text. Doch wenn er zu hören ist, nehmen einen seine ausdrucksstarke Stimme und die sorgfältige Betonung direkt gefangen. Hauptdarsteller Jesse Grimm(Graf Hyppolit) ist großartig als sympathischer Mann mittleren Alters, der im Laufe der Handlung auch mal wütend wird und fest entschlossen ist, das ganze Drama irgendwie durchzustehen. Insbesondere sein geradezu wahnsinnig anmutendes Gelächter auf dem Höhepunkt des Hörspiels geht einem durch Mark und Bein. Die raue Stimme von Jürgen Thormann(Oheim) passt hervorragend zu seiner Rolle als freundlicher älterer Onkel mütterlicherseits, der Hyppolit liebt, sich um ihn sorgt und ihn für seine Konsequenz bewundert. Genau wie Thomas Balou Martin, hat auch Tom Raczko(Diener) als ergebener Bediensteter nur wenig Text, hinterlässt aber bei jedem Auftritt, mal aufgeregt und mal bedauernd, einen positiven Eindruck. Eine besonders beeindruckende Darbeitung liefert auch Arianne Borbach(Baroness) mit ihrem Portrait der strengen, mehr als undurchsichtigen Adligen, die gegenüber ihrer Tochter boshaft und absolut skrupellos agiert, solange es zu ihrem Vorteil ist. Uschi Hugo(Aurelie), im Part der Tochter der Baroness, kann einem schon fast leid tun, denn ihre Rolle verlangt ihr so einiges ab. Ihre harmonisch klingende Stimme lässt sie dabei noch verlegener und schüchterner wirken, und es ist für den Hörer schon fast schmerzlich, sie später so oft weinen und schluchzen zu hören. Zum Ende des Hörspiels darf sie sich jedoch auch noch einmal von einer ganz andere Seite zeigen. Dieser Kontrast fällt so stark aus, daß man als Hörer schon fast glaubt, eine andere Sprecherin vor sich zu haben. Absolut großartig agiert auch David Berton(Bernardo) als einerseits schleimiger, andererseits lüsterner Liebhaber der Mutter. Besonders die Szene, in der er angetrunken herumbrüllt, immer mehr in Rage gerät und sich wie von Sinnen benimmt, hallt beim Hörer noch lange nach. In weiteren Nebenrollen agieren noch Ferdi Ötzen(Polizei-Sergeant) als hocherfreuter Gendarm, der später auch noch die Menge zur Ordnung ruft, Katharina von Keller(Babette) als aufgeregte und dann verlegene Plaudertasche, sowie Lutz Reichert(Medicus) als überheblicher Mediziner, der die Ereignisse bewusst herunterspielt, bis er nicht mehr weiter weiß. Nicht unerwähnt lassen möchte ich den starken Auftritt von Dana Fischer und Marc Gruppe(Leichenfresser/innen) als Ghouls, die ihr herzhaftes Schmatzen nur durch diabolisches Gelächter unterbrechen.
Fazit:
Es dauert etwas, bis die Geschichte an Fahrt aufnimmt, aber dann wird man mit einem gelungenen Gruselhörspiel belohnt.
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