Rezension: Gruselkabinett - 189 - Heimlich
Verfasst: Fr 17.05.2024, 14:48
Gruselkabinett - 189 - Heimlich
Zum Inhalt:
Zufällig begegnet Tante Marylin Merriweather einem alten Schulfreund ihres Neffen Colin Hargreaves, dem erfolgreichen Unternehmer Maurice Kelly. Dieser hat, verdächtig günstig, ein Jahrhunderte altes Haus außerhalb der Stadt gekauft. Nachdem er mit seiner Frau Katherine und Tochter Patricia dort eingezogen ist, wird den dreien schnell klar, warum das Anwesen zu einem so niedrigen Preis zu haben war. Jede Nacht spukt dort ein geisterhaftes Wesen, das sie nur den "Mann in Grün" nennen. Da sie deswegen kaum noch ein Auge zubekommen, bittet Maurice Colin und Alwyne Hargreaves, sich der Sache anzunehmen...
Zur Produktion:
Nach den Gruselkabinettfolgen 83, 89, 109, 147, 161 und 169 ist dies bereits die siebente Vertonung einer Geschichte rund um das erfolgreiche Geisterjäger-Ehepaar Hargreaves. Während das erste Abenteuer noch aus der Feder von Allen Upward stammte, wurden alle nachfolgenden von Per McGraup, alias Marc Gruppe, verfasst. Der Skriptautor hat sich dabei die Figuren einfühlsam zu eigen gemacht, ihren Kreis leicht erweitert und den Charakteren schrittweise immer mehr Tiefe und Individualität gegeben. In allen Erzählungen geht es durchaus gruselig zu, aber auch der Humor kommt nicht zu kurz, meist im Zusammenhang mit der ziemlich schrägen, spleenigen Tante Marylin. Somit eignen sich die Hörspiele für die ganze Familie, und ich war wieder entsprechend gespannt auf den neuesten Fall der Geisterjäger.
Der fängt diesmal wirklich gekonnt gruselig an: zur Eröffnung gibt es für den Hörer nämlich bereits eine erste und überaus gelungene Begegnung mit dem "Grünen Mann". Doch damit nicht genug, denn gleich darauf schließt sich die inhaltlich noch viel bestürzendere zweite Szene an. Leider ist diese aber für meinen Geschmack bereits viel zu lang geraten und hat dann außerdem eine ziemlich überraschende "Auflösung". Das ist einerseits zwar beruhigend, aber andererseits haben solche Sequenzen, egal in welchem Hörspiel sie auch vorkommen, sehr viel von bloßer Effekthascherei. Doch das ist natürlich nur mein persönliches Empfinden. Zu meinem großen Bedauern, kann das anfängliche Tempo danach nicht mehr annähernd gehalten werden. Das liegt unter anderem daran, daß Maurice Kellys längerer Bericht, welche im Anschluß bei einem Essen mit Colin im "Savoy" stattfindet, eben auch nur das ist: eine ausführliche Erzählung. Normalerweise bemüht sich das Titania-Team, selbige als Spielszenen zu präsentieren, um die Dynamik möglichst zu halten. Die kehrt leider auch nicht in die Handlung zurück, als die beiden Hargreaves Familie Kelly in ihrem Spukhaus besuchen und dort eine Séance abhalten, um mit dem Geist in Kontakt zu treten. Eine Szene, die durchaus Potential gehabt hätte, selbiges aber, u.a. durch zwei "Fehler", verschenkt. Zum einen liegt es am Datum. Zum Hörspielauftakt fällt der 25.11.1935 als aktueller Handlungszeitraum, aber die Séance findet dann angeblich am 20.07.1935 statt, was drei Monate früher gewesen wäre. Eigentlich bin ich in solchen Dingen nicht weiter pingelig, aber hier hat sich die Unlogik schier aufgedrängt. Zum anderen heißt der Geist "Charles Edward Henley" und nicht, wie im Booklet angegeben, "John Edward Henley". Letzterer wäre nämlich der Sohn, der im Hörspiel gar nicht auftritt, weil er seinerseits längst nicht mehr lebt. Regelrecht irritierend finde ich, daß die Erscheinung, nachdem sie ins "Licht" getreten ist, also eigentlich ihren ewige Ruhe gefunden haben müsste, tatsächlich noch einmal wiederkehrt. Der Grund dafür wird zwar erklärt, passt für mich aber nicht zu allen vorangegangenen Geschichten mit ähnlicher Thematik, bei denen dieser Schritt ins erlösende Jenseits und die Akzeptanz des eigenen Todes, normalerweise auch das endgültige Ende der Spukerei bedeutet. Die Begründung für das seltsame Verhalten des "Mann in Grün" ist nicht nur insgesamt zu lang geraten, sondern wirkt für mich ziemlich unwahrscheinlich. Der eigentliche Kernpunkt ist ein für die damalige Gesellschaft noch eher heikles Thema, das auch die Kellys zunächst nicht wirklich gegenüber Colin und Alwyne ansprechen wollen, dessen Verschweigen hier aber zu einer Reihe sich immer weiter aufstauender, teils massiver Probleme geführt hat. Zu "lässig" und überdreht für 1935, fand ich in diesem Zusammenhang allerdings das abschließende Telephonat zwischen Tante Marylin und den Hargreaves, welches letztere regelrecht mit Schnappatmung zurücklässt. Den ständigen Gebrauch eines ganz bestimmten Wortes konnte ich vor diesem zeitlichen Hintergrund auch nicht als amüsant ansehen, zumal es damals doch wohl in der Regel mit beleidigender Absicht benutzt wurde. Von allem anderen abgesehen, gibt es aber einen Punkt, der mir gut gefallen hat, da ich etwas gelernt habe. Während des Hörspiels fällt der mir bis dahin unbekannte Begriff "Witching Hour" bzw. "Devil's Hour". Dabei handelt es sich um den Zeitraum zwischen 03:00 und 04:00 Uhr morgens, der als Höhepunkt übernatürlicher Ereignisse angesehen wird. Er gilt als spöttische Umkehrung der Stunde, zu der Jesus gestorben sein soll, nämlich 15:00 Uhr nachmittags). Im Deutschen bezeichnet man ihn übrigens auch als "Wolfsstunde", was aber nichts mit Werwölfen zu tun hat, sondern die Zeit war, in der keiner ausser dem Wolf noch wach war.
Unterm Strich empfinde ich den Plot mit ca. 76 Minuten einfach als zu lang.
Auch wenn ich umfangreiche Kritik an der Handlung übe, ist das Hörspiel ansonsten genauso souverän und auf hohem Niveau produziert, wie man es von dem Label gewohnt ist, was einmal mehr an der sorgfältigen Produktion und Regie von Stephan Bosenius und Marc Gruppe liegt. Für die musikalische Unermalung kommt eine Vielzahl unterschiedlichster Instrumente, vom Synthesizer über die Geige und diverse andere Streichinstrumente, bis zu Klavier und Harfe zum Einsatz. Wie gewohnt dient der Synthesizer hauptsächlich dazu, düster wabernde, unheilverkündende Sounds zu produzieren, während Klavier und Geige für kleine, harmonische Weisen zuständig sind. Besonders beeindruckend klingen das Tremolo der Geigen oder die Töne, welche direkt aus einem Horrorfilm stammen könnten. Selbstverständlich sind die Melodien immer an die jeweilige Szene angepasst, mal traurig und tragend, mal fröhlich und heiter. Zum Abschluß des Hörspiels wird noch eine wohlklingende Streichermelodie, unterstützt von einer Harfe, eingespielt.
Was die Geräuschkulisse angeht, gibt es kaum ein Label, das in diesem Bereich mit Titania Medien mithalten kann. Auch dieses Hörspiel ist mit einer Vielzahl an unterschiedlichen, immmer natürlich klingenden Tönen versehen. In der Eröffnungsszene knarren die Dielen, ein Feuer prasselt gemütlich im Kamin, und unheimliches Klopfen ist zu hören. Auf dem Friedhof schlägt die Kirchturmuhr, Krähen krächzen, aber es zwitschern zusätzlich auch andere Vögel. Diese friedliche Idylle wird nur von einem wild hupenden Leichenwagen getrübt. Im Haus von Colin und Alwyne Hargreaves brennt ebenfalls ein Kaminfeuer, im Hintergruns spielt man dezent Straßenlärm ein, das Telephon wird hörbar abgehoben und später wieder aufgelegt. Die akustische Gestaltung im Nobelrestaurant erscheint stimmlich zwar ein wenig dünn, passt aber wieder, wenn man davon ausgeht, daß sich Collin und Maurice in einem abgeschirmten Séparée befinden. Es wird mit dem Besteck geklappert, und die Stühle werden gerückt, eine Flasche wird geöffnet, und man kann deutlich das Eingießen einer perlenden Flüssigkeit hören. Die Champagnergläser werden ntaürlich auch irgendwann wieder abgestellt, und einer der Charaktere schiebt seines von sich weg. Während der Séance ist in einiger Entfernung Donnergrollen zu vernehmen, die Standuhr tickt leise vor sich hin, und wie zu erwarten knarrt eine der Türen. Akustisches Highlight sind für mich die whiskytrinkende Tante und das Glas, welches aus der Hand auf den Boden fällt.
Die Effekte werden zwar sparsam, aber immer passend eingesetzt. So ist beispielsweise Tante Marilyns Stimme ausschließlich am Telephon zu hören. Im Haus der Hargreaves sind die Stimmen mit leichtem Hall unterlegt, um dessen Größe anzudeuten, der Kellner wird leiser eingespielt, um den Abstand zu den Gästen zu demonstrieren. Die Stimme der Spukerscheinung hat man ein wenig verfremdet, und sie verblasst dann regelrecht, bzw. wird langsam ausgeblendet. Am beeindruckendsten finde ich den Abgang des Geistes, welcher mit Hall versehen und wie langgezogen wirkt.
Zu den Sprechern:
Seit dem ersten Abenteuer der Hargreaves, werden deren Rollen kontinuierlich mit den gleichen Sprechern besetzt. Die schöne Stimme von Stephanie Kellner(Alwyne Hargreaves) passt hervorragend zu ihrem Part der liebevollen Ehefrau und Mutter, die darüber hinaus noch als Trancemedium fungiert. Trotz ihrer Freundlichkeit, kann sie auch sehr entschlossen oder gar skeptisch agieren. Highlight ihrer Darbietung ist ihre Art, die Trance, in der sie sich befindet, akustisch umzusetzen. Ihr zur Seite steht Benedikt Weber(Colin Hargreaves) als ihr Gatte, der Freude beim Anruf seiner Tante heuchelt und zwischendurch sogar mal ein wenig "berlinert". Weber deckt mit seiner Performance eine ganz Bandbreite von unterschiedlichen Gefühlen ab, von Aufgeregtheit über Entsetzen, bis hin zum Erstaunen. Besonders amüsant ist seine Verblüffung gegen Ende des Hörspiels, bei der er sich gekonnt verschluckt. Die großartige Ursula Sieg(Tante Marilyn Merriweather) ist ganz die exzentrische Alte, als die man sie schon lange kennt. Sie schwatzt unverblümt drauf los und lässt es sich nicht nehmen, Colin und Alwyne mit dem beruflichen Erfolg von Maurice zu ärgern. Aber vor allem ihr ausdrucksstarkes, um nicht zu sagen flammendes Schlussplädoyer dürfte wohl zurecht keinen Hörer unbeeindruckt lassen. Ein bisschen schade fand ich, daß man sie "nur" als Telephonstimme hört, aber das ist halt dem Skript geschuldet. Ein weiterer sprecherischer "Stammgast" ist Louis Friedemann Thiele(Captain George Howard Raymond) als hilfsbereiter "Kontrollgeist" von Alwyne, der hier auch die komplette Erklärung für das Auftreten und die Rückkehr der Spukgestalt liefert. Jonas Minthe(Maurice Kelly) ist einfach toll. Als der Geist erscheint, zittert und friert er hörbar, denn dieses Ereignis sorgt bei ihm für Angst und Irritation. Es gelingt ihm scheinbar mühelos, so unterschiedliche Gefühle wie Enttäuschung und Beunruhigung innerhalb eines Satzes in seine Stimme zu legen, und als er merkt, daß die Erscheinung immer noch nicht verschwunden ist, wird er hörbar wütend. Sprecherisches Highlight ist für mich aber ganz klar Katharina von Keller(Katherine Kelly). Zunächst dachte ich, die Regie hätte hier nicht aufgepasst, da sie in der Eröffnungszene so abgeklärt, regelrecht unbeteiligt und leicht hochmütig klingt, was gar nicht recht zu der Rückkehr ihres Mannes nach mehrtägiger Abwesenheit oder dem Schrecken darüber, ein Gespenst zu sehen, passen will. Doch im Laufe des Hörspiels verändert sie sich merklich, wirkt verängstigt und beunruhigt. Da später auch erklärt wird, warum sie sich anfangs so anders verhält, hat sich mein ursprünglicher Eindruck komplett relativiert und wird ihre Performance auf eine besonders hohe Stufe gehoben. Stimmlich nicht ganz so gut gefallen hat mir Frieda Fischer(Patricia Kelly) als 16jährige Tochter, denn dafür klingt sie noch ein bisschen jung. Ihr Spiel an sich ist jedoch tadellos, und egal ob ihre Figur verängstigt, aufmüpfig oder beleidigt wirken soll, es hört sich bei ihr immer vollkommen natürlich an. Michael Pan(John Edward Henley) überzeugt in seiner Rolle des "Grünen Mannes", dem in der Vergangenheit sehr übel mitgespielt wurde. Mit rauer Stimme keucht und stößt er seinen Text hervor, so daß man ihm seine Verzweiflung und Ungeduld förmlich anhören kann. Sein Sehnen nach Erlösung wird beinahe greifbar, und er liefert ein äußerst gekonntes, überzeugendes Portrait einer tragischen Figur. Viel Spaß macht auch Leon Reichert(Priester) als junger Geistlicher, der zunächst verlegen herumdruckst, bevor ihr die Ereignisse völlig irritieren und verwirren. In einer Nebenrolle tritt noch Marc Gruppe(Kellner) als äußerst zuvorkommender Ober auf.
Fazit:
Nach einem beeindruckenden Auftakt verliert das Hörspiel leider extrem an Fahrt und kann die anfangs geweckten Erwartungen bis zum Schluss nicht mehr erfüllen.
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