Rezension: Die weisse Lilie - Staffel 3 - Zeitenwende
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Rezension: Die weisse Lilie - Staffel 3 - Zeitenwende
Die weisse Lilie - Staffel 3 - Zeitenwende
Zum Inhalt:
Ende der 1990er Jahre sind noch immer amerikanische Soldaten im ehemaligen Jugoslawien stationiert. Darunter auch die Freunde Jerry Finnegan und Daniel Porter, als Angehörige der Spezialeinheit "Seals". Während dieser Zeit verliebt sich Daniel in die OSZE-Mitarbeiterin Lynn Adams, und als diese schwanger wird, scheint ihr junges Glück perfekt. Nachdem sich Daniel während einer Mission schwere Verletzungen zuzieht, beschließt er, sich in den Innendienst versetzen zu lassen, um sein Leben nicht weiter zu gefährden. Er beschwört seine Freundin, es ihm gleich zu tun, aber diese hat beschlossen, zuerst noch eine bereits begonnene Untersuchung zu Ende zu führen...
Zur Produktion:
Nachdem im Januar 2018 die zweite Staffel der Hörspielserie "Die Weisse Lilie - Krieg in Boston" des Labels "Lily Sound" als CD-Box erschienen ist, veröffentlicht Folgenreich nun zum Ende des Jahres die dritte Staffel "Zeitenwende", ebenfalls in Box-Form mit drei CDs.
Während die ersten beiden Folgen bereits im Sommer als Download verfügbar waren, erscheint die dritte Folge zeitgleich mit der Box. Auf diese Weise ist man denjenigen entgegengekommen, die unbedingt schon vorher wissen wollten, wie es weitergeht, aber das Finale erleben nun alle gemeinsam.
Da ja doch ein längerer Zeitraum zwischen den CD-Veröffentlichungen liegt, denkt sicher so mancher, es sei am günstigsten, zunächst nochmals die ersten beiden Staffeln zu hören, um Handlung und Akteure wieder genau im Gedächtnis zu haben. Das ist jedoch überhaupt nicht notwendig, denn "Zeitenwende" behandelt quasi die Vorgeschichte, welche erst zu den Ereignissen der Staffeln 1 und 2 führt. Ich finde das sehr geschickt gemacht, denn so können auch diejenigen bedenkenlos zugreifen, die noch gar keine Berührung mit der Serie hatten.
Nun könnte man natürlich argumentieren, daß es doch eigentlich sinnvoller wäre, diese Staffel zuerst zu hören und dann die beiden anderen, aber das wäre meiner Meinung nach kontraproduktiv, da der Reiz dieser Serie ja gerade darin liegt, daß man die Hintergründe erst nach und nach erfährt.
Auf den Inhalt dieser Staffel möchte ich nicht näher eingehen, um nicht zu viel zu verraten, aber es sei gesagt: Die beiden Drehbuchautoren Benjamin Oechsle und Timo Kinzel beantworten hier so manche offene Frage. Unter anderem erfahren wir, wie Daniel Porter zu dem Menschen wurde, der er jetzt ist, und auch das Geheimnis um "Die weisse Lilie" wird zumindest teilweise gelüftet.
Besonders gefallen hat mir die Art und Weise, wie die beiden Autoren die Eröffnungssequenz am Ende nochmals vertiefend aufgreifen und auf diese Weise ihren erzählerischen Kreis schließen.
Aufgrund der Vielzahl von Akteuren und Handlungssträngen, ist das hier kein Hörspiel zum "Nebenbei-Hören", denn man muss schon genau aufpassen, um sämtliche Zusammenhänge zu verstehen. Wer dem Ganzen aber die absolut verdiente Zeit gibt, bekommt eine derart spannende und aufregende Geschichte präsentiert, daß man sich förmlich gezwungen sieht, im Anschluß sofort die nächste Folge zu hören. Teilweise fühlte ich mich wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange: Man weiß um die Gefahr, in der sich die liebgewonnenen Figuren befinden, kann aber nichts tun, um das Unvermeidliche abzuwenden. Da hier die Greueltaten und Verbrechen während und nach dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien thematisiert und akustisch durchaus drastisch dargestellt werden, kann ich auch dieses Mal die Altersempfehlung ab 12 Jahren nur eingeschränkt bestätigen, denn so manches Kind in diesem Alter wird mit Sicherheit überfordert sein.
Die insgesamt ca. 3 1/2 Stunden Spielzeit (CD 1 ca. 74 Minuten, CD 2 ca. 65 Minuten und CD 3 ca. 62 Minuten) vergehen durch die sich bis zum Schluss ständig steigernde Spannungskurve wie im Flug und hinterlassen einen regelrecht atemlosen Hörer.
Der Begriff "Ohrkino" wird heute ja etwas inflationär eingesetzt, aber wenn eine Produktion dieses Prädikat tatsächlich verdient, dann ist es die von "Lily Sound".
Ich weiß ja nicht, auf welches Archiv die beiden zurückgreifen oder ob sie die einzelnen Sounds womöglich selbst aufgenommen haben. In jedem Fall ist die Geräuschkulisse perfekt. Egal, wo das Geschehen auch angesiedelt ist, ob im Inneren eines "Apache"-Hubschraubers oder draußen vor dem Bauernhof, die Produzenten setzen den jeweiligen Handlungsort geradezu ultrarealistisch in Szene. Dabei spielt die Detailverliebtheit, mit der jede einzelne Sequenz zum Leben erweckt wird, ein große Rolle. So sind beispielsweise Raben und Krähen deutlich unterscheidbar, und auch die Fahrzeuge, wie Jeep oder LKW, haben nicht nur das für sie spezifische Motorengeräusch, sondern unterscheiden sich darüber hinaus auch im Ton, den die Reifen auf den unterschiedlichen Straßen und Feldwegen verursachen. Um die Folterungen für den Hörer so unerträglich wie möglich zu gestalten, greifen Oechsle und Kinzel jedoch auf einen anderen Kniff zurück. Statt die schrecklichen Taten mit erklärenden Beschreibungen zu versehen und somit einordnenbar zu machen bzw. zu relativieren, lassen sie die Geräuschkulisse einfach für sich sprechen. Auf diese Weise bekommt die eigene Phantasie Raum und der Hörer kann bzw. muss sich die grausamen Details nach individuellem Empfinden selbst ausmalen.
Ebenso raffiniert fällt auch der Einsatz der Effekte aus. Mal stehen sie im Vordergrund, wie der über dem Kopf des Hörers hinwegfliegende Hubschrauber, mal sind sie nur hintergründig zu hören, wie beispielsweise die räumliche Aufteilung der Stimmen im Stall und davor. Akustisches Highlight ist für mich aber die Szene, in der Lynn in Daniels Armen liegt und Jerrys Stimme nur ganz leise eingespielt wird, ganz so, als ob David diese nur aus weiter Ferne hören würde, obwohl Jerry relativ nah bei ihm ist und immer wieder laut nach ihm ruft. Intensiver hätte man diese ergreifende Szene nicht gestalten können. Ein weiteres Highlight dieser Produktion bildet auch die von Jochen Mader und Johannes Arzberger eigens komponierte, Musik. Passend zum tragischen, oftmals dramatischen Geschehen, ist diese tragend und düster gehalten. Das beginnt schon mit der Titelmelodie, bei der das Klavier im Vordergrund steht, und dieser Tenor zieht sich durch das ganze Hörspiel. Dunkle, lange Synthesizertöne gehen in traurige Melodien über, und manche Stücke wirken geradezu archaisch, als solle dies die Barbarei des Krieges noch einmal zusätzlich unterstreichen. Im Gegensatz zu vielen anderen Hörspielproduktionen, ist nicht jede Szene musikalisch hinterlegt worden, und das Produzententeam geht sogar soweit, regelrechte Pausen zwischen einzelnen Sequenzen zu machen. Diese ermöglichen es dem Hörer, die Ereignisse kurz zu verarbeiten, bevor die Handlung fortgesetzt wird.
Nur zum Ausklang gibt es nochmals ein längeres Musikstück, das sich nahtlos in die vorangegangenen Kompositionen einreiht.
Zu den Sprechern:
Mark Bremer(Erzähler) kommt nur dann zum Einsatz, wenn es unbedingt nötig ist. Er übernimmt die Zeit-, Orts-, oder Wetterangaben sowie die dazugehörigen Beschreibungen der Landschaften und Örtlichkeiten. Seine Betonung ist absolut sauber, bleibt aber unaufdringlich und damit eher im Hintergrund. Eine wahre Tour de Force hingegen durchläuft Hauptdarsteller Martin Sabel(Daniel Porter) mit seinem Portrait des vom Schicksal gebeutelten Soldaten, der alles verliert und aufgrund seiner Trauer fast wahnsinnig wird. Er legt viel Emotion in seine Vortrag, und sein verzweifeltes Weinen und Schluchzen dürfte wohl niemanden kaltlassen. Mindestens ebenso gut ist Tim Knauer(Jerry Finnegan) als sein etwas undurchsichtiger Freund und Kamerad, der durch seine Naivität und das damit verbundene Fehlverhalten eine Mitschuld an dem Drama trägt. Jennifer Böttcher(Lynn Adams) ist klasse in der Rolle der ambitonierten OSZE-Mitarbeiterin, die zwar sehr verliebt, aber nicht bereit ist, von ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen. Sehr überzeugend sind auch Achim Buch(Sean Mitchell) als eiskalter, skrupelloser und extrem brutaler Mafiaboss von Pristina und Ulrike Johannson(Iris Tišma) als einerseits abgeklärte, manipulative und zu allem entschlossene Botschaftsmitarbeiterin, die aber andererseits mit ihrem Schicksal und dem erlittenen Unrecht hadert. Gleiches gilt für Erich Räuker(General Jones), der sehr sachlich auftritt und hinter dessen väterlicher Fassade mehr steckt, als man vermuten würde. Jacob Weigert(Pavli Bakaj) spielt den extrem beunruhigten Polizeikommissar, der tiefer in die ganze Angelegenheit verwickelt wird, als ihm lieb sein kann. Jürgen Holdorf(Qerim Shoqaj) leiht seine Stimme dem gesuchten Kriegsverbrecher, der seine Taten bitter bereut und der sein schlechtes Gewissen mit einer Flucht in die Religiösität zu beruhigen versucht.
Erik Schäffler(Adnan Beqiri) intoniert den örtlichen Gangsterboss mit der nötigen Härte in der Stimme, und auch seine "Familienmitglieder" Uve Teschner(Fatmir Beqiri) als verunsicherter Ziegenhirte und Marc Schülert(Mergim Beqiri) als hilfloses Opfer, können auf ganzer Linie überzeugen. Christian Rudolf(Major Lynch) gefällt in seinem Part als überheblicher, skrupelloser Vorgesetzter, genau wie Wolf Frass(Pater Jelincic), dessen Stimme einfach gut zu dem trostspendenden Geistlichen passt. Fabian Harloff(Harjid Suresh) spricht den sympathischen, gutgläubigen Informatiker und Matthias Klimsa(Edward Keppler) den skeptischen Mitarbeiter des Außenministeriums am Telephon, der es vorzieht, neutral zu bleiben und nichts zu tun.
In weiteren Nebenrollen treten Peter Lontzek(Robert Welsh) und André Beyer(Michael Howard) als Mitglieder der Spezialeinheit "Seals", Constantin von Westphalen(Boško) und Dirk Hardegen(Goran) als Seans treu ergebene Leibwächter und Wolfgang Riehm(Fußball-Fan 1) und Wolfgang Berger(Fußball-Fan 2) als hörbar angeheiterte Fußballfreunde auf. Außerdem bekommt man noch Wolfgang Berger(Draško) und Wolfgang Riehm(Dragan) als sich zuprostende Verbrecher, Pero Radicic(Wirt) als abweisender Kneipier, Nina Witt(Mädchen) als verängstigtes Mädchen und Simona Pahl(Frau/Nachrichtensprecherin) als tröstende, aber ratlose Mitgefangene bzw. sachliche Moderatorin zu hören. Ebenfalls doppelt besetzt sind Robert Levin(Ansager/Amir) und Ron Matz(Soldat/Mann), was aber nicht weiter auffällt, da sie in beiden Parts nur sehr kurz zu hören sind.
Nicht unerwähnt bleiben sollen auch die Kleinstrollen von Nico Klaukien(Stadionbesucher), der nach dem Sitzplatz fragt, Lino Böttcher(Junge), der eifrige Bote, Daniel Welbat(Nexhet), der verachtungswürdige Verräter, Benjamin Oechsle(Funkgerät), der sachliche Funker und Marc Schülert(Soldat) als unterster Armeeangehöriger.
Fazit:
Wer Hörspiele liebt, kommt einfach an der weissen Lilie nicht vorbei.
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