Rezension: Sherlock Holmes - 66 - Der Frauenmörder von Boston

Sherlock Holmes, Jerry Cotton - Kommissare und Detektive ermitteln Psychopaten im Ohr.
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MonsterAsyl
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Rezension: Sherlock Holmes - 66 - Der Frauenmörder von Boston

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Sherlock Holmes - 66 - Der Frauenmörder von Boston

Zum Inhalt:
Ein Bostoner Inspektor hat an Sherlock Holmes geschrieben und ihn und seinen "Assistenten" gebeten, nach Amerika zu kommen, um ihm bei der Auffindung von 10 verschwundenen Damen der feinen Gesellschaft zu helfen. Selbstverständlich machen sich der Meisterdetektiv und sein Freund und Chronist Dr. Watson umgehend auf den Weg, nicht ahnend, welches Grauen ihnen bevorsteht...

Zur Produktion:
In der Vergangenheit habe ich meine Rezensionen dieser Serie ja immer mit einem Vergleich von Hörspielskript und literarischer Quelle begonnen. Da die Skripte jedoch nicht auf den mir vorliegenden Originalromanheften, sondern auf einer Bearbeitung beruhen, die ihrerseits noch einmal bearbeitet wurde, ist eine solche Gegenüberstellung sinnlos. Dementsprechend begnüge ich mich mit dem Hinweis, daß dieses Hörspiel lose auf dem Roman "Aus den Geheimakten des Welt-Detektivs - 42 - Der Mädchenmörder von Boston" basiert, der am 05.11.1907 erstmals erschienen ist. Nach dem üblichen "Eröffnungsscharmützel" zwischen Sherlock Holmes und Mrs. Hudson nimmt der Fall ziemlich schnell Fahrt auf. Ich muss allerdings schon sagen, daß ich es eher unwahrscheinlich finde, daß ein Inspektor die finanziellen Mittel hätte, Holmes und Watson die Schiffspassage, inklusive der Kutschfahrt zum Hotel, zu bezahlen, damit sie ihm bei der Aufklärung seines Falles helfen könnten. Der Meisterdetektiv und Dr. Watson logieren im Bostoner "Parker House Hotel", was insofern interessant ist, als daß dort bereits zuvor der weltberühmte Komponist Jaques Offenbach zu Gast war und den ihm servierten Brötchen mit dem Stück "Parker Roads" ein musikalisches Denkmal gesetzt hat. Dessen Melodie wurde später das Hauptmotiv seiner "Hoffmanns Erzählungen". Eine Modernisierung der Sprache durch Skriptautor Marc Gruppe ist mir nicht aufgefallen, ganz im Gegenteil. So bezeichnen beispielsweise der Professor, wie auch Mrs Fox, Frauen gern als "Geschöpfe", so als ob es keine richtigen Menschen wären. Das passt natürlich zur Entstehungszeit der Geschichte, mutet aber heutzutage seltsam fremd und diskriminierend an. Was mich hingegen wirklich überrascht hat, ist die Tatsache, daß der Begriff "vegetarisch" in England und Schottland bereits recht früh bekannt war und in London schon 1801 der erste Vegetarierverein gegründet wurde. Ich habe dieses Phänomen bisher immer ins 20. Jahrhunderts verortet. Der Fall an sich ist nachvollziehbar aufgebaut. Holmes und Watson befragen das nähere Umfeld einer der verschwundenen Damen und finden so relativ zügig eine Spur. Krimiaffine Hörer werden allerdings bereits zu Beginn der zweiten CD wissen, wohin diese Indizien führen und was es mit der ganzen Sache auf sich hat. Gleiches gilt für den Code, der nicht sonderlich schwierig zu entschlüsslen ist, da die "Machart" beinahe auf der Hand liegt. Wie es Holmes jedoch gelingt, diesen zu knacken, ist schon mehr als ein großer Zufall, aber eben auch dichterische Freiheit. In diesem Zusammenhang möchte ich noch kurz auf den Titel eingehen. Ich finde, selbiger verrät einfach schon viel zu viel. Meiner Meinung nach wäre es besser gewesen, ihn eher so umzubennen, wie es Conan Doyle wahrscheinlich getan hätte. Also etwas in der Art von: "Das Geheimnis der verschwundenen Ladies", "Lady Edith Remington", oder "Der Fall Remington". Natürlich werde ich die Auflösung nicht spoilern, aber eine Anmerkung dazu habe ich dennoch. Titania Medien hätte hier durchaus noch mehr mit einer ihrer "Kernkompetenzen", also Grusel- bzw. Horrorelemente, arbeiten können, was atmosphärisch sehr passend gewesen wäre. So oder so finde ich das Hörspiel aber wirklich kurzweilig und war überrascht, wie schnell doch ca. 97 Minuten vergehen können.
Wie immer tragen Regie und Produktion von Stephan Bosenius und Marc Gruppe erheblich zum Gelingen bei. Musikalisch setzen die beiden vor allem auf zeitgenössische Instrumente des Viktorianischen Zeitalters, beispielsweise Geige, Klavier, Trommeln und diverse Blasinstrumente wie Flöte oder Oboe. Der Synthesizer kommt zwar auch zum Einsatz, ist aber hauptsächlich auf düstere, dramatische Töne beschränkt. Die Auswahl an Musikstücken fällt sehr abwechslungsreich und immer passend zum Geschehen aus. Die Intromusik wir diesmal fortgeführt und leitet in die erste Szene über. Die Schiffsreise nach Amerika wird mit einer Flöten- und Geigenmelodie untermalt, während die Ankunft in dem berühmten Hotel von einer Streicherweise begleitet wird. Besonders gut gefallen haben mir die zarte Melodie und der Choral gefallen, welche bei der Untersuchung von Ediths Zimmer eingespielt werden. Ebenfalls gefreut hat mich das Wiederhören mit der fröhlichen Zwischenmusik, die man bereits aus anderen Folgen kennt und die hier nach dem Gespräch mit dem Kutscher zu hören ist. Zu Beginn der zweiten CD ertönt ein tragendes Geigenstück, welches, passend zur Entwicklung der Geschichte, von den bereits erwähnten unheimlich klingenden Synthesizersounds abgelöst wird. Bis zum Ende der Geschichte steigert sich die Musik kontinuierlich in Tempo und Dramatik, bevor das Hörspiel mit einem schönen "Krimistück" endet. Um das Ganze aufregender für die Ohren der Hörerschaft zu gestalten, kommt ein schier unglaublicher Klangteppich aus den unterschiedlichsten Geräuschen zum Einsatz. In der Bakerstreet wird mit dem Teegeschirr geklappert, der Zeitung geraschelt, und man kann deutlich vernehmen, wie das Papier des Briefes knistert. In der Bostoner Polizeistation ist einiges los. Im Hintergund hört man das Gemurmel vieler Menschen, und das Telephon klingelt scheinbar unablässig. Das hat mich anfangs ein wenig irritiert, da genau dieses Geräusch bisher vermieden wurde, weil es eigentlich nicht in die Viktorianische Ära passt. Dadurch, daß keine Angabe gemacht wird, wann die Geschichte spielt, und wir uns ja in einem amerikanischen Polizeirevier befinden, konnte ich das Geräusch jedoch schnell akzeptieren. Im gut situierten Haus des Professors gibt es, neben der Standuhr in seinem Arbeitszimmer, im Zimmer von Mme Dubois eine tickende Wanduhr, welche sich deutlich von der Standuhr abhebt. In der Kammer von Mme Dubois ist es darüber hinaus auch recht zugig, und der Wind pfeift. Ich bin ja immer besonders begeistert von den kleinen, eher unscheinbaren Tönen, die man als Hörer schon als selbstverstädnlich hinnimmt. Dazu gehört unter anderem das Klimpern der Dietriche am Ring, sowie das Entzünden des Streichholzes und anschließende Paffen an der Pfeife. Besonders beeindruckend finde ich das Geraschel mit den Photos, bei dem eindeutig herauszuhören ist, daß es sich dabei um Photopapier handelt. Ansonsten gibt es noch jede Menge Töne, die das Geschehen adäquat akzentuieren und für die richtige Atmosphäre sorgen. Im Salon des Hotels herrscht geschäftiges Treiben, bei dem man sogar hört, wie ein Besteckteil aus Versehen herunterfällt. Die Soundkulisse in dem billigen Gasthaus entspricht dem, was man als Hörer von so einer Kaschemme erwartet: Laute Gäste, ein altes, verstimmtes Klavier und viel ausgelassenes Gelächter. Auf der Straße sind vorbeifahrende Kutschen zu vernehmen, komplett mit Hufgetrappel und wiehernden Pferden, und in der Ferne heult ein Hund. Sämtliche Türen knarren oder quietschen ganz individuell, und auf der Polizeistation werden sie auch schon mal zugeschlagen. Highlight im Gasthaus sind für mich aber das von Mabel regelrecht auf den Tisch geknallte Besteck und das leise "Plinggeräusch", welches wenig später erfolgt und Holmes endgültig auf die richtige Spur bringt. Richtig gut haben mir auch der schmatzende und hechelnde Hund, das von den Wänden laufende und tropfende Wasser im Keller, sowie die herabsausende Stahlplatte gefallen. Bei so viel Licht gibt es natürlich auch ein wenig Schatten. So empfand ich das Stuhlrücken etwas inflationär eingesetzt, während ich das vielzitierte Klopfgeräusch leider trotz größter Anstrengung nicht hören konnte. Großartiger Effekte bedarf es hier nicht, und so beschränkt man sich auf ein wenig Hall im Hof des Gasthauses, und einer der Charaktere wird immer leiser, um akustisch darzustellen, daß er sich vom Hörer entfernt.

Zu den Sprechern:
Joachim Tennstedt(Sherlock Holmes) und Detlef Bierstedt(Dr. Watson) agieren mal wieder mit viel Spiellaune. Tennstedt lässt den Meisterdetektiv ausgesprochen höflich auftreten, egal ob er mit hochgestellten Persönlichkeiten oder Menschen aus der Unterschicht spricht. Natürlich hat er auch diesmal Gelegenheit, seinen Freund Watson zu tadeln und sich darüber zu amüsieren, daß dieser das "Offensichtliche" nicht sieht. Ungewöhnlich, weil es sonst eigentlich nie passiert, finde ich, daß Holmes hier eine andere erwachsene Figur "duzt". Highlight seiner Darbeitung ist für mich die Szene, in der er geradezu säuselt, da mich das wirklich erheitert hat. Mindestens ebenso gut spielt auch Detlef Bierstedt(Dr. Watson) seine Rolle. Als Erzähler ist er natürlich für die Beschreibungen von Handlungsorten und ähnlichem zuständig, aber so richtig Spaß macht er, wenn er seiner Figur Leben einhaucht. Er schimpft mit Holmes wegen seines Verhaltens gegenüber Mrs. Hudson, grummelt öfter vor sich hin, und hat ein offenes Auge für Ungerechtigkeiten und Fehlverhalten, wie beispielsweise die Scheinheiligkeit von Mrs. Fox, die Geldgier des Kutschers und dessen Gebaren gegenüber seinem Pferd. Highlight seiner Performance ist aber sicherlich die Szene, in der ihm so furchtbar übel wird, und die Sequenz, in der er wahre Todesängste ausstehen muss. Bei Regina Lemnitz(Mrs. Hudson) muss ich immer an einen Dampfkessel denken, in dem das Wasser leise vor sich hin blubbert, um beim geringsten "feurigen" Anlass direkt überzukochen. Sie tritt eingangs noch ein wenig verlegen auf, aber sobald Holmes mit seinen Sticheleien loslegt, wird sie erst ärgerlich und dann regelrecht wütend. Die kernige Stimme von Axel Lutter(Marshal Percy Morlock) passt perfekt zu seiner Rolle als amerikanischer Inspektor, der seine ganze Hoffnung auf den Meisterdetektiv setzt und dessen Verkleidungskünste bewundert. Auch wenn er nicht allzu viel Text hat, bleibt einem Sebastian Fitzner(Polizist Byde) als junger, diensteifriger und aufgeweckter Beamter im Gedächtnis, was nicht zuletzt an seiner ausgezeichnet gespielten Verärgerung gegen Ende des Hörspiel liegt. David Berton(Prof. Remington) agiert anfangs mit einem Hauch Herablassung, bevor er realisiert, wer ihm da helfen will, seine Frau wiederzufinden. Dann aber ist er stets freundlich und auskunftsbereit. Wirklich beeindruckt hat mich Luise Lunow(Madame Dubois) als ältere, sehr nervöse Kammerzofe, die ihren Part mit französischem Akzent spricht und peinlichst darauf bedacht ist, sich, wenn überhaupt, möglichst neutral auszudrücken. Gleiches gilt für Kristine Walther(Liddy) als abgehalfterte Dirne, die nicht davor zurückschreckt, gekünstelt zu husten, um Holmes zu animieren, ihr einen weiteren Drink zu spendieren. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um andere geht, und je mehr Alkohol sie erhält, desto lauter wird sie auch. Jean Paul Baeck(Wirt) leiht dem kurz angebundenen Kneipier seine Stimme und beschränkt sich auf zu erwartende Sätze wie: "Hier, der doppelte Brandy". Auch Willi Röbke(John Snubbs), der Kutscher mit der rauen Stimme, hat mir gut gefallen. Zwar tritt er zunächst sehr zuvorkommend auf, aber seine extreme Geldgier und die damit verbundenen Äußerungen lassen ihn schnell verschlagen wirken. Dazu kommt noch, daß auch er dem Alkohol nicht abgeneigt ist, was eine Erklärung für seine Stimmungsschwankungen sein könnte. Ingeborg Kallweit(Mrs. Fox) brilliert als kurz angebundene, intrigante Hauswirtin, die großzügig über das Fehlverhalten ihrer Bewohner hinwegsieht.
Die raue, heisere Stimme von Peter Reinhardt(William "Bill" Wilkins) passt punktgenau auf seine Rolle als brummeliger, extrem abweisender Gasthausinhaber, dessen Häme und Überheblichkeit ihn nicht nur beim Hörer äußerst unsympathisch rüberkommen lässt. Ebenfalls alles andere als sympathisch wirkt Rolf Berg(Walther Wilkins) als dessen Bruder, der eine sadistische Ader zu haben scheint und aus seiner Verachtung gegenüber seiner Frau keinen Hehl macht.
Selbige wird von Claudia Urbschat-Mingues(Mabel Wilkins) eindrucksvoll gesprochen. Ihre harte, abweisende Art, gepaart mit Misstrauen gegenüber Dritten, ist das bestmöglichste Abbild einer verhärmten, vom Leben enttäuschten Frau. In einer Nebenrolle ist noch Regine Lamster(Edith Remington) als Frau des Professors zu hören, die, den Umständen geschuldet, zwar etwas zittrig spricht, aber ihrer Dankbarkeit und Erleichterung trotzdem Ausdruck zu verleihen weiß.

Fazit:
Für mich der bisher interessanteste "Amy Onn"- Fall, der trotz seiner umfangreichen Laufzeit nie langweilig wird.

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