Rezension: Sherlock Holmes - 23 - Silberblesse
Verfasst: Di 14.06.2016, 10:59
Sherlock Holmes - 23 - Silberblesse
Zum Inhalt:
Im Südwesten Englands, genauer gesagt in Dartmoor, verschwindet eines Nachts das bekannte Rennpferd "Silberblesse" aus den King's Pyland- Stallungen. Der Wache haltende Stallbursche wurde betäubt, den Trainer des Pferdes findet man am nächsten Tag tot im Moor. Da von dem wertvollen Tier weiterhin jede Spur fehlt, wendet sich der verzweifelte Besitzer Colonel Ross an Meisterdetektiv Sherlock Holmes. Doch der Fall eilt, denn Silberblesse soll schon in wenigen Tagen wieder an den Start gehen.
Zur Produktion:
Da Titania-Medien sich das ehrgeizige Ziel gesetzt hat, den gesamten Sherlock Holmes-Kanon chronologisch zu vertonen und die letzte Folge der Reihe (Sherlock Holmes - 22 - Das Haus bei den Blutbuchen) gleichzeitig auch der letzte Fall im Buch: "Die Abenteuer des Sherlock Holmes" war, ist es nur folgerichtig, mit "Silberblesse", der erste Erzählung aus dem Buch: "Die Memoiren des Sherlock Holmes", fortzufahren. Wie üblich wurde "Silver Blaze", so der englische Originaltitel, zunächst im Dezember 1892 vom bekannten Strand Magazine veröffentlicht. Die Story dürfte zu den bekanntesten Holmes-Abenteuern zählen. Zum einen, weil sie bereits viermal verfilmt wurde und zum anderen, weil die Art und Weise, wie hier ein gestohlenes Tier versteckt wird, inzwischen ein in Geschichten häufig verwendeter "alter Hut" ist. Zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung war Letzteres natürlich noch nicht so. Übrigens, Doyle selbst hat diese Kurzgeschichte auf Platz 13 seiner "Top 19" Holmes-Fälle gesetzt.
In den sozialen Netzwerken und Hörspielforen wird immer mal wieder über die Lauflänge eines Hörspiels diskutiert, und es gibt einige Stimmen, die sich kurze, prägnante Adaptionen wünschen. Ruft man sich die Geschichte im Internet unter https://en.wikisource.org/wiki/Silver_Blaze auf, stellt man fest, daß deren hauseigene Lesung knapp 51 Minuten dauert, während es die Hörspielversion von Titania-Medien auf fast 67 Minuten bringt, immerhin eine Differenz von ca. einer Viertelstunde. Wer aber nun meint, das läge an zusätzlichen Szenen und Dialogen durch Drehbuchautor Marc Gruppe, der irrt sich. Bis auf das Intro, welches nur wenige Sätze umfasst, gibt es kaum etwas, das Gruppe hinzugefügt hat. Natürlich wurde der Sprachstil ein wenig an die heutige Zeit angepasst, und so ist beispielsweise vom "fahrenden Volk" die Rede, während Doyle noch den Begriff "Zigeuner" gebrauchte. Darüber hinaus wurden auch die meisten beschreibenden Sequenzen wieder in Dialogform gebracht und einige Geschehnisse, wie die Nacht des Diebstahls, von der bei Doyle eigentlich nur erzählt wird, als Spielszenen aufbereitet. Unterm Strich kann man sagen, daß die Hörspielversion einfach deshalb länger läuft, weil sie anders gemacht ist. Da wäre zunächst die Musik anzuführen, denn es gibt eine Titelmelodie und diverse Stücke zwischen den Szenen. Außerdem verläuft ein gesprochener Dialog anders als ein niedergeschriebener. Da gibt es Redepausen, "stille" Sequenzen, in denen nur Geräusche zu hören sind etc.. So gesehen wäre das Hörspiel nur dann kürzer ausgefallen, wenn man die literarische Vorlage erheblich zusammengestrichen hätte. Apropos Streichungen: Interessanterweise hat Gruppe sich entschlossen, die kleine Szene, in der Holmes anhand der Telegraphenmasten die Zuggeschwindigkeit ermittelt, komplett wegzulassen. Das ist zwar schade, aber sicherlich kein Beinbruch oder gar für das Verständnis der Geschichte notwendig. Wesentlich gravierender, jedenfalls für "Holmes-Puristen", sind die Änderungen in den Details. So findet sich beispielsweise das Geld bei Gruppe unter dem Fenster, bei Doyle in der Brieftasche von Fitzroy Simpson. Außerdem verschweigt Gruppe, im Gegensatz zu Doyle, daß Holmes bei seinen weiteren Untersuchungen auch auf die Fußspuren eines Mannes stößt. Ein Indiz, welches durchaus wichtig für den weiteren Verlauf des Falles ist. Wirklich irritiert hat mich allerdings einer der letzten Sätze im Hörspiel, wo Holmes selbst den Wunsch äußert, die Belohnung zu erhalten. Diesen Satz gibt es nämlich bei Doyle nicht. Warum wird der Meisterdetektiv hier also "geldgieriger" gezeigt als im Original? Für mich will das auch nicht zu der Figur passen.
Ach ja, die Vorlage für die Illustration, welche sich immer auf den CDs befindet (Holmes & Watson in einem Zugabteil), stammt übrigens aus dieser Geschichte. Gestaltet wurde sie von Sidney Paget (1860-1908), dem Zeichner, der für das Strand Magazine die Holmes Geschichten illustrierte.
Produktion und Regie von Stephan Bosenius und Marc Gruppe können wie gewohnt überzeugen. Neben der schon bekannten Titelmelodie, wechseln sich düstere, unheimlich klingende Stücke mit leichteren, fröhlicheren Weisen ab, bei denen, neben Geige, Klavier und Synthesizer, auch eine Harfe zum Einsatz kommt. Die Musik wird einerseits zur Akzentuierung von Ereignissen eingesetzt und zum anderen zur Überleitung auf die nächste Szene. Im Großen und Ganzen passen die eingesetzen Melodien auch zum Geschehen, lediglich gegen Ende des Hörspiels gibt es ein Stück, das für mich zu wuchtig klang. Die Geräuschkulisse ist ebenfalls sehr aufwendig gestaltet. Da knarrt die Stalltür, Büsche und Blätter rauschen im Wind, Pferde wiehern, das Stroh raschelt, und in der Ferne bellt ein Hund oder singen die Vögel. Daß viele dieser Töne gleichzeitig eingespielt werden und sich lediglich in der Lautstärke unterscheiden, sorgt für ein noch realistischeres Klangbild, denn schließlich hört man in der Natur auch mehr als nur ein oder zwei Geräusche.
Zu den Sprechern:
Joachim Tennstedt(Sherlock Holmes) darf hier zwar sehr viel emotionaler agieren als bei Doyle, so ist er in dieser Geschichte teilweise freundlich und zuvorkommend, aber im Endeffekt bleibt er der sachliche, leicht überhebliche Meisterdetektiv. Detlef Bierstedt(Dr. Watson), ist, wie üblich, souverän in seinem Part als treuer Freund. Auch wenn Holmes die eigentliche Hauptfigur darstellt, sollte man Bierstedts Leistung keinesfalls geringer achten. Es liegt einzig und allein an ihm, die richtigen Emotionen hervorzubringen und so seine Rolle, die stellvertretend für den Leser bzw. Hörer steht, auch passend zur Situation zu gestalten. Ein großer Teil des Vergnügens an den Holmes-Geschichten liegt ja gerade darin, daß sich der Leser bzw. Hörer oft genauso verständnislos vorkommt wie Dr. Watson. Jürgen Thormann(Colonel Ross) ist mit seiner leicht rau klingenden Stimme eine ausgezeichnete Wahl für die Verkörperung des recht snobistischen Stallbesitzers, der sich nicht gerade höflich gegenüber dem Ermittlerduo verhält. Ebenfalls sehr gut besetzt sind Claus Thull-Emden(Inspektor Gregory) als dienstlich korrekter, zuvorkommender Polizeibeamter und Julia Stoepel(Edith Baker) als resolutes, junges Dienstmädchen. Zu meiner Überraschung spricht Marc Gruppe(Fitzroy Simpson) diesmal einen größeren Part, und ich muss sagen, daß er den professionellen Sprechern nicht nennenswert nachsteht. Er gibt Simpson mit freundlicher, ein wenig schmierig klingender Stimme, was perfekt zu seiner Rolle als Rennspion passt. Pascal Breuer(Stallbursche Hunter) hat relativ wenig Text und kommt auch nur kurz zum Einsatz, aber es gelingt ihm trotzdem mit wenigen Worten, das Bild eines freundlichen Arbeiters entstehen zu lassen. Anita Lochner(Mrs. Straker) liefert das ausgezeichnete Portrait einer älteren Frau, die zunächst nur besorgt und dann durch den Tod ihres Mannes vollkommen aufgelöst ist. Bei Johannes Raspe(Stallbursche Dawson) und Matthias Lühn(Silas Brown) hat man als Hörer das Gefühl, die beiden wollten einander in Unhöflichkeit gegenüber Holmes & Watson übertreffen. Raspe hält sich, entsprechend des sozialen Standes seiner Figur, noch etwas zurück, aber Lühn poltert sofort mit harter Stimme los, und es bereitet diebische Freude, dabei zuzuhören, wie Holmes ihm den Wind aus den Segeln nimmt. In weiteren Nebenrollen agieren Florian Jahr(Stallbursche Craig) als netter Stalljunge und Louis Friedemann Thiele(Jockey Jimmy) als dankbarer Reiter. Die Auftritte von Herbert Schäfer(Renn-Ansage) und Eckart Dux(Kutscher) fallen so kurz aus, daß man schon genau hinhören muss, um sie nicht zu verpassen.
Fazit:
Ansprechende Hörspielumsetzung, welche sich kleinere Freiheiten gegenüber der Vorlage erlaubt.
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