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Rezension: Sherlock Holmes - 65 - Der Fall Harry Houdini

Verfasst: Do 14.11.2024, 15:48
von MonsterAsyl
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Sherlock Holmes - 65 - Der Fall Harry Houdini

Zum Inhalt:
Als bekannt wird, daß der große Entfesselungskünstler Harry Houdini nach 5 Jahren Pause wieder ins Rampenlicht zurückkehren möchte, wollen Sherlock Holmes und Doktor Watson auch dabei sein und begeben sich nach Berlin zum Zirkus Busch, wo dieser Auftritt stattfinden soll. Houdini plant, seinen berühmten Kannentrick vorzuführen, doch schon am ersten Tag geht etwas schief. Wie sich herausstellt, war die Kanne nicht mit Wasser, sondern Säure gefüllt.
Der Meisterdetektiv und sein Adlatus bieten natürlich ihre Hilfe an, und der weltberühmte Magier hat auch schon einen Verdacht, wer hinter dem Anschlag gegen ihn stecken könnte...

Zur Produktion:
Der Oktober ist bei Titania-Medien "Houdini-Monat", denn auch in der aktuellen Gruselkabinettfolge (Gruselkabinett - 192 - Gefangen bei den Pharaonen) spielt Harry Houdini die Hauptrolle. Daß sein Part und der seiner Frau auch mit denselben Sprechern besetzt sind, finde ich wirklich gut, da man auf diese Weise im gleichen Figurenkosmos bleibt, auch wenn diese Geschichte zeitlich etwas früher angesiedelt ist als die des Gruselkabinetts. Entsprechend sollten diejenigen, welche beide Serien hören, besser mit dem "Fall Houdini" anfangen.
Die Handlung basiert auf dem Heftroman "Aus den Geheimakten des Welt-Detektivs - 101 - Auf den Spuren Hudinis" und erschien erstmals am 22.12.1908. Als Autor wird erneut nur Amy Onn (=Anonym) genannt. Da der Meisterdetektiv in all diesen Erzählungen nicht Dr. Watson, sondern seltsamerweise einen sehr viel jüngeren Mann namens "Harry Taxon" an seiner Seite hat, war der Austausch der Namen die erste Veränderung, die Skriptautor Marc Gruppe auch hier wieder vornehmen musste. Im Anschluss wurden dann alle "modernen" Gegenstände (wie Telephon oder Automobil) mit den entsprechenden Pendants (Telegramm und Kutsche) aus dem Viktorianischen Zeitalter ersetzt. Normalerweise bleibt Gruppe ja immer dicht an der literarischen Vorlage, aber diesmal ist das etwas anders.
Der Heftroman beginnt mit einem "Plakatnachdruck", auf dem Houdinis neue Kannennummer beworben wird und der Leser "geht" anschließend sofort in den Zirkus, wo der weltbeste Entfesselungskünstler gastiert. Gruppe hingegen beginnt das Hörspiel mit einem ca. 14 minütigen launigen Geplänkel zwischen Holmes, Dr. Watson und Mrs. Hudson, dem sich dann auch noch deren Cousine Margery Mapleton anschließt. Um die Information über Houdinis Auftritt und den Kannentrick dennoch an den Hörer weiterzugeben, lässt der Skriptautor Dr. Watson einfach eine Annonce mit entsprechendem Inhalt aus der Zeitung vorlesen. Ehrlicherweise muss ich zugeben, daß ich gut auf dieses neu hinzugekommene Intro hätte verzichten können, zumal mir die Cousine von Mrs. Hudson mittlerweile etwas auf die Nerven geht. Aber das ist natürlich Geschmacksache, viele andere schätzen wahrscheinlich ihre Auftritte. Doch es gibt noch weitere Unterschiede zum Heftroman. So spricht Houdini ganz normal, während er in der Geschichte von "Amy Onn", aus welchen Gründen auch immer, nur radebrecht. Selbstverständlich spielt das ebenso wenig eine Rolle für die Handlung, wie der Umstand, daß hier von 20 Mark und nicht 20 Pfund die Rede ist. Gleiches gilt für die hinzugekommenen Adjektive, den lustig abgewandelten Satz "Hätte hätte, Uhrenkette." und die Rolle von Houdinis Frau Bess, die in der literarischen Vorlage nicht existiert. Was die Sprache selbst angeht, hat Gruppe sie nur wenig modernisiert. Beispielsweise wurde aus "verborgen" das geläufigere "versteckt", und hier wird das Eisen geschmiedet, solange es noch "heiß" ist, und nicht, wie bei Onn, nur "warm". Sehr viel gravierender sind jedoch die restlichen Änderungen. Daß Houdinis Befreiung aus der Milchkanne etwas verkürzt dargestellt wird, aus den zwei konkurrierenden "Inis" gleich drei werden und die rassistische Bezeichnung der Lippen einer Figur natürlich komplett unter den Tisch fällt, mag ja alles noch angehen bzw. verständlich sein, aber Gruppe hat die Geschichte beinahe komplett umgestellt und etliche Teile, wie z.B. Houdinis Gefängnistrick, weggelassen. Wer die Geschichte während des Hörens parallel mitliest, dem wird auffallen, daß der Magier im Heftroman erst an Holmes schreibt, um ihn um Unterstützung zu bitten, während er im Hörspiel direkt da ist. Auch die Tatsache, daß Holmes bei Gruppe an eine Tür klopft, statt, wie bei Onn, seinen Dietrich zu benutzen, um sie zu öffnen, finde ich etwas irritierend bzw. unnötig. Gleiches gilt für das Aufspüren der Kassette, welche der Meisterdetektiv eigentlich in den Schleusen findet und nicht an dem Ort, an dem sie sich im Hörspiel befindet. Auch das Ende des Romans ist stark abgeändert worden. Zum einen ist es extrem verkürzt, zum anderen läuft es auch weit harmloser ab, als in der literarischen Vorlage. Im Gegensatz zu dem ein wenig abrupt erfolgenden Originalschluss, geht die Handlung bei Gruppe noch weiter und endet, wie sie begonnen hat, in der Bakerstreet. Auch wenn sie vielleicht nicht im Sinne der Puristen sind, machen sich fast alle Änderungen positiv bemerkbar, denn die Handlung verläuft so wesentlich flüssiger und weniger sprunghaft. Richtig klasse finde ich, daß es sich Marc Gruppe nicht hat nehmen lassen, die Wette, welche Holmes und Watson bezüglich des Milchkannentricks abgeschlossen hatten, auch aufzulösen. Das ist ein eindeutiger Mehrwert im Vergleich zum Heftroman.
Unterm Strich wäre das Hörspiel sehr gut ohne die lange Eröffnungsszene ausgekommen, hätte dann aber auch nicht eine Laufzeit von ca. 83 Minuten erreicht.
Produktion und Regie von Stephan Bosenius und Marc Gruppe sind auf dem gewohnt hohen Niveau. In der Bakerstreet wird mit der Zeitung geraschelt, ein heulender Wind pfeift durch die Ritzen, die Teekanne wird genauso hörbar auf einem Silbertablett abgesetzt, wie die Tasse auf der Untertasse, und beim Umrühren klimpert der Löffel dezent ans Porzellan. Im Zirkus applaudiert das Publikum mal höflich, mal tosend, während Houdini mit seinen Ketten klirrt. Berlin selbst wird mit entsprechendem Straßenlärm ( Menschengewirr, vorbeifahrende Kutschen etc.) in Szene gesetzt, in der Kneipe herrscht reges Treiben, und durch die Straßen pfeift der Wind. Im Tabakladen wird eine Schublade aufgezogen, im Park hört man einen Vogel rufen und wie Houdini aus dem Wasser auftaucht. In der Fabrik ertönen unterschiedlich laute Maschinengeräusche, und ganz am Schluß knallen noch die Champagnerkorken.
Für die Musik kommen hauptsächlich Klavier und Geige, aber auch ein Synthesizer zum Einsatz. Wie gewohnt hört man zunächst die bekannte Titelmelodie, welche hier sogar etwas verlängert worden ist. Danach folgt eine kurze harmonische Weise, bevor eine typische, mit einer Drehorgel gespielte Zirkusmelodie erklingt. Innerhalb des Zirkusses gibt es einen Trommelwirbel und erste düstere Synthesizersounds. Im Anschluß folgt eine liebliche Geigenweise, die in ein ebenso angenehm zu hörendes Klavierstück überleitet. Bevor es dann zur Sache geht, wird noch kurz die schon sattsam bekannte fröhliche Zwischenmusik eingespielt. Das spannende Finale beginnt mit unheimlich anmutenden dunklen Synthesizertönen, die dann von einer dramatischen orchestralen Weise abgelöst werden. Zum Abschluß des Hörspiels bekommt man dann noch einmal die Titelmelodie zu hören.
Wie sooft beschränkt man sich bei den Effekten auf den Einsatz von Hall. So sind die Sprecher im Zirkus mit leichtem und die Anwesenden in der Künstleragentur mit starkem Hall unterlegt worden.

Zu den Sprechern:
Das Ermittlerduo Joachim Tennstedt(Sherlock Holmes) und Detlef Bierstedt(Dr. Watson), der auch das Intro übernimmt, zeigen wieder viel Spielfreude.
Tennstedt spricht den Meisterdetektiv zunächst mit Pfeife im Mund. Seine gute Laune verschlechtert sich hörbar, als es mal wieder nicht so läuft, wie er es gern hätte, und diese Verägerung mündet schließlich sogar in Wut. Aber sobald er dann mit dem Doktor in Berlin ankommt, ist er wieder ganz der Alte. Gut gefallen hat mir, daß er sich dem Ort des Geschehens anpasst und sogar auch ein wenig berlinert. Bierstedt geht einmal mehr ganz in seiner Rolle auf. Anfänglich nervt ihn Holmes' Verhalten, und als dieser mal wieder übers Ziel hinausschießt, tadelt er den Meisterdetektiv. Im weiteren Verlauf tut er das, was er am besten kann. Er beruhigt eine aufgebrachte Sängerin, unterstützt Holmes, wo er kann, und ist letztlich auch sehr froh, wieder in der Bakerstreet zu sein. Genau wie Holmes und Watson, erschreckt sich Regina Lemnitz(Mrs. Hudson) bei dem plötzlichen Auftauchen ihrer Kusine, und selbst sie ist ein wenig ungehalten über deren nervige Art. Das hält sie natürlich trotzdem nicht davon ab, ihrer Empörung bezüglich Holmes' Äußerungen Luft zu machen. Auch wenn ich Philine Peters-Arnolds(Margery Mapleton) generell als Sprecherin schätze, war ich doch froh, daß ihr Auftritt relativ kurz gewesen ist. Mit ihrer übertrieben quirligen, unsensiblen Art verdirbt sie Holmes die Überraschung, ist aber, genau wie ihre Kusine, empört, als der Meisterdetektiv entsprechende Kommentare ablässt. Sprecherisches Highlight ist für mich, genau wie in der bereits erwähnten Gruselkabinettfolge, eindeutig Matthias Lühn(Harry Houdini), der den Magier mit amerikanischem Akzent spricht. Sein Schmerzensschrei ist ebenso überzeugend wie seine Begeisterung oder seine Vergnügtheit. Sein enormes Talent kommt vor allem gegen Ende des Hörspiels zum Ausdruck, wenn er seinen Text kältezitternd vorträgt und dabei mit offenenem Mund bibbernd Luft einzieht. Selten hat ein Sprecher für mich so überragend eine frierende Figur dargestellt. Obwohl sie nicht sehr viel Text hat, gelingt es Fabienne Hesse(Bess Houdini) mit ihrer wohlklingenden Stimme dennoch, dem Hörer im Gedächtnis zu bleiben. Souverän spielt sie die verwunderte Gattin, welche Holmes um Hilfe bittet. Wirklich großartig agiert auch Axel Lutter(Herr Paschulke) als jovialer Herausforderer Houdinis, der auf Grund von dessen Leistung verblüfft und ein wenig ratlos zurückbleibt. Dabei berlinert er so gekonnt, das man ihn für einen Einheimischen halten könnte. Ebenfalls richtig gut fand ich auch Sebastian Fitzner(Franz Kukol) als Houdinis Diener, der sich die Schuld für alles gibt. Viel Spaß macht Uli Krohm(Künstleragent), der den Vermittler der Kunstschaffenden mit leicht nasalem Ton spricht. Seine Darbietung erinnert ein wenig an das HB-Männchen früher im Fernsehen. Erst ist er empört, dann wütend, und schließlich rastet er vollkommen aus. Ihm ebenbürtig ist Kristine Walther(Sängerin), die ebenfalls berlinert. Sie ist zunächst verärgert, dann empört, und wegen der harschen Worte, die sie zu hören bekommt, fängt sie sogar zu weinen an. Auch Monika John spricht ihren Text der vulgären, etwas aufdringlichen Animierdame mit rauer, berlinernder Stimme und liefert insgesamt eine ausgezeichnete Performance. In weiteren Nebenrollen sind noch Edward McMenemy als rufender Zeitungsjunge, der mit leicht quäkender Stimme sprechende Willi Röbke als Tabakhändler, Rolf Berg als zunächst ablehnender, aber dann doch hilfreicher Pförtner, sowie David Berton(Bloudini), Jean Paul Baeck(Sulini) und Marc Gruppe(Tippini) als wütende, überaus aggressive Konkurrenten Houdinis zu hören. Unbedingt erwähnenswert ist auch der extrem kurze und vor allem seltene Auftritt von Stephan Bosenius als Kutscher, der sein Gespann antreibt.

Fazit:
Überaus interessanter, spannender Fall, bei dem eine historische und eine fiktionale "Legende" aufeinandertreffen.

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