Seite 1 von 1

Rezension: Grimms Märchen - 4 - Schneewittchen / Von dem Fischer und seiner Frau / Der Wolf und die sieben jungen Geißle

Verfasst: Do 16.09.2021, 10:42
von MonsterAsyl
Bild

Grimms Märchen - 4 - Schneewittchen / Von dem Fischer und seiner Frau / Der Wolf und die sieben jungen Geißlein

Zum Inhalt:
Schneewittchen:
Eine garstige Königin ist derart eifersüchtig auf die Schönheit ihrer Stieftochter, daß sie ihr nach dem Leben trachtet.

Vom Fischer und seiner Frau:
Ein armer Fischer, der zusammen mit seiner Frau in einer heruntergekommenen Kate lebt, fängt eines Tages einen ganz besonderen Butt.

Der Wolf und die sieben jungen Geißlein:
Als die Geißenmutter in den Wald geht, um Futter zu besorgen, versucht ein böser Wolf mit diversen Tricks, in ihr Haus einzudringen.

Zur Produktion:
Anscheinend bin nicht nur ich, sondern sind auch viele andere Hörerinnen und Hörer von Titanias neuer Reihe "Grimms Märchen" sehr angetan, denn inzwischen erscheinen regelmäßig neue Folgen, und die nächsten Geschichten sind bereits angekündigt worden. Auf der vorliegenden CD finden sich diesmal "Schneewittchen"(Kinder- und Hausmärchen 19, nachfolgend abgekürzt mit "KHM"), "Vom Fischer und seiner Frau" (KHM 53) und "Der Wolf und die sieben jungen Geißlein" (KHM 5). Da Titania-Medien im Booklet der CD-Ausgabe bereits eine Übersicht der Märchen mit den dazugehörigen Kapiteln abgedruckt hat, beschränke ich mich an dieser Stelle auf die Kapitelübersicht des Downloads bzw. Streams: "Schneewittchen" 1-30, "Vom Fischer und seiner Frau" 31-50, "Der Wolf und die sieben jungen Geißlein" 51-61". Wie man anhand des Tracklistings sehen kann, ist der größere Teil der ca. 85minütigen Laufzeit für "Schneewittchen" reserviert, während die beiden verbliebenen Geschichten in etwa gleich lang ausfallen. Dies entspricht auch der literarischen Vorlage, bei der das KHM 19 den umfangreichsten Text hat. Nebenbei bemerkt: Da sich im Internet alle sieben Auflagen der jeweiligen Märchen nachlesen lassen, kann ich jedem Interessierten nur empfehlen, selbst einmal die einzelnen Fassungen miteinander und natürlich auch mit dem Hörspiel zu vergleichen.
Normalerweise gehe ich ja nicht auf das Cover oder die graphische Gestaltung ein, aber ich möchte nicht unerwähnt lassen, daß der Coverrücken, welcher bisher aus weißer Schrift auf schwarzem Grund bestand, hier auf einer Seite keinen schwarzen, sondern einen schmalen Teil des Covermotivs (ganz rechts) als Hintergrund hat.
Wie schon bei den vorangegangenen Hörspielskripten, bleibt Marc Gruppe inhaltlich zwar dicht an den literarischen Vorlagen, kommt aber nicht umhin, die Sprache ein klein wenig modernisieren zu müssen, um zu vermeiden, daß das heutige Publikum durch nicht mehr geläufige Begriffe oder Redewendungen aus dem Hörfluß gerissen wird. Beispielhaft angeführt sei hier die "Lung" aus der bei Gruppe dann die "Lunge" wird, "redlich" wird duch "ehrlich" ersetzt, und statt "Lust gebüßt" heißt es jetzt schlicht und ergreifend "gegessen". Die meiste Arbeit dürfte dem Skriptautor aber unzweifelhaft die zweite Geschichte "Vom Fischer und seiner Frau" gemacht haben, da diese eigentlich nur im norddeutschen "Platt" vorliegt. Theoretisch hätte Gruppe den Text zwar auch in dieser Form präsentieren können, aber es gibt gute Gründe, das nicht zu tun. Abgesehen davon, daß nicht jeder den Dialekt versteht (vor allem nicht die anvisierte Zielgruppe der jüngeren Hörer außerhalb Norddeutschlands), wäre es ebenfalls nötig gewesen, Sprecher zu engagieren, die diesen beherrschen, um ein glaubwürdiges Ergebnis zu erzielen. Ich persönlich hätte damit zwar kein Problem gehabt, begrüße jedoch die Entscheidung, auch dieses Märchen auf Hochdeutsch zu präsentieren. In allen Erzählungen finden sich zusätzliche schmückende Adjektive, wie die "böse" Königin, oder etwas "Schönes" aus dem Wald, und auch ein paar neue Mono- bzw. Dialoge sind dazu gekommen. Exemplarisch seien die Selbstgespräche von Schneewittchen und deren Stiefmutter genannt, und nur hier erfährt man, was mit dem Jäger nach der Unterhaltung mit der Königin geschieht. Damit die Hörspiele nicht zu Erzähler-lastig ausfallen, hat Marc Gruppe dessen Text teilweise in Dialoge umgeschrieben oder einfach einer Figur in den Mund gelegt. Das wird vor allem bei den Sieben Zwergen deutlich, deren Reden und Taten auf diese Weise noch lebendiger und authentischer wirken. Darüber hinaus gibt es einen weiteren kleinen Unterschied zur literarischen Vorlage. Bei den Grimms öffnet Schneewittchen, trotz der eindringlichen Warnung der Zwerge, für die Kammverkäuferin erneut die Tür, während sie hier lediglich das Fenster aufmacht, um mit ihr zu sprechen. Dieses Verhalten ist nicht nur logischer, sondern auch vom pädagogischen Effekt her für die kleinen Hörer zu bevorzugen.
Trotz all meiner lobenden Worte, gibt es doch einen inhaltlichen Punkt, der mich gestört hat. Als Schneewittchen die Betten der Zwerge inspiziert, um festzustellen, in welchem sie am besten schlafen kann, heißt es im Hörspiel, eins davon sei ihr zu groß. Im Umkehrschluß würde das ja bedeuten, Schneewittchen wäre kleiner als einer der Zwerge. Das erscheint mir, auch im Hinblick auf das Cover, wenig glaubwürdig.
Nichts, aber auch gar nichts habe ich dagegen an Produktion und Regie von Stephan Bosenius und Marc Gruppe auszusetzen, denn der dichtgewobene Klangteppich, der hier präsentiert wird, sucht seinesgleichen. Jede Szene ist mit einer Vielzahl immer natürlich klingender Geräusche angefüllt, und die zusätzlich eingeschobenen Töne und Melodien schaffen bzw. unterstreichen noch die jeweils von den Machern angestrebte Atmosphäre. Unter anderem bekommt man bei "Schneewittchen" pfeifenden Wind, im Wald zwitschernde Vögel, im Vorübergehen raschelnde Büsche und selbstverständlich das Abbeißen vom Apfel zu hören. Besonders angetan bin ich vom Aufflammen des Kaminfeuers, als einer der Zwerge etwas hineinwirft, und vom Herantreten der Königin an ihren Zauberspiegel. Ganz dem Titel "Vom Fischer und seiner Frau" entsprechend, sind es vor allem maritime Geräusche, die dort das Geschehen akzentuieren. Am Himmel schreien die Möwen, es braust ein ordentlicher Wind, die Meeresbrandung bricht sich an der felsigen Küste, und man meint beinahe, die schäumende Gischt im Gesicht zu spüren. Bemerkenswert finde ich auch den geräuschlichen Aufbau bzw. die dramaturgische Steigerung der Spannung in der Geschichte "Der Wolf und die sieben jungen Geißlein". Zunächst ist alles friedlich, man hört die Vögel zwitschern, und die Gräser wiegen sich leise im Wind. Dann ist es mit der Idylle vorbei, und Geschirr und Mobiliar gehen lautstark zu Bruch. Herausragend sind für mich hier aber die extrem realistisch klingende Geflügelschere und das "Rumpeln", welches beim Aneinanderreiben der Steine entsteht.
Die Musik ist überwiegend mit klassischen Instrumenten, wie beispielsweise unterschiedlichen Streich- und Blasinstrumenten eingespielt worden, aber auch Glocken und sogar eine Spieluhr kommen zum Einsatz. Die düsteren Sounds sind dem Synthesizer vorbehalten, wobei vor allem das unheilvolle Brummen, welches beim Zauberspiegel zu hören ist, in Erinnerung bleiben dürfte. Der im Laufe der Hörspiele ertönende Choral mit seinem harmonischen Gesang, gleicht das aber mehr als wieder aus, und es sind eigentlich eh die wohlklingenden, fröhlich anmutenden Melodien, die hier vorherrschen. Je nachdem, was die jeweilige Szene gerade verlangt, sind diese entweder dezent in den akustischen Hintergrund gelegt, oder sie erschallen pompös im Vordergrund.
Genauso durchdacht wie der Einsatz von Musik und Geräuschen, sind auch die Effekte. So ist bei "Schneewittchen" beispielsweise der Zauberspiegel leicht verhallt, um dessen "sphärisches" Wesen zu betonen, während das dämonisch anmutende Gelächter der Königin eine stärkeren Hall aufweist, um die Reich- und Tragweite ihrer Macht zu unterstreichen. Bei der Geschichte "Vom Fischer und seiner Frau" ist es die Darstellung des Wetters, welche für Dramatik sorgt. Erst weht ein laues Lüftchen, welches in einen kräftigen Wind übergeht, der sich dann über ein Gewitter, bis hin zum tosenden Sturm steigert. Im Märchen vom "Wolf und den sieben jungen Geißlein", klingt, als sich das jüngste Geißlein aus dem Uhrkasten meldet, seine Stimme etwas dumpf, um zu zeigen, daß dieser geschlossen ist.

Zu den Sprechern:
Allen voran ist natürlich Peter Weis(Erzähler) zu nennen. Nicht nur, weil er in allen drei Märchen in dieser Funktion tätig ist, sondern weil er auch mit seinem stets gefühlvollen Vortrag Einleitung und Grundton für die jeweilige Szene setzt.

Nachfolgend nun die Sprecher der einzelnen Märchen:

(KHM 53) Schneewittchen und die sieben Zwerge:
Obwohl ihr Auftritt recht kurz ausfällt, gelingt es Antje von der Ahe(Schneewittchens Mutter), mit ihrem mitreißenden Spiel beim Hörer einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Einen ebensolchen, wenn auch mit einer sehr gegensätzlichen Figur, macht Arianne Borbach(Königin) als erhaben agierende Regentin, die ihr gegenüber stimmlich entweder schmeichelt oder droht.
Die vertraute Stimme von Lutz Mackensy(Zauberspiegel) passt hervorragend zu der verzauberten reflektierenden Glasoberfläche, die stets eine Spur von Schalk im Vortrag hat. Gleiches gilt für die einzigartige Reinhilt Schneider(Schneewittchen), welche die titelgebende Figur des jungen, fröhlichen Mädchens spricht. Ob himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt, Frau Schneider kann jede dieser Gefühlsregungen perfekt spielen. Sprecherischer Höhepunkt sind für mich aber Willi Röbke(Zwerg), Martin May(Zwerg), Christoph Jablonka(Zwerg), Bernd Kreibich(Zwerg), Michael Pan(Zwerg), Benedikt Weber(Zwerg) und Louis Friedemann Thiele(Zwerg) mit ihrer Darstellung der freundlichen, kleinen Männer, die alles für ihr geliebtes Schneewittchen tun würden. Es ist jedesmal ein Heidenspaß, wenn diese sieben Gesellen auftreten. Das liegt zum einen an dem clever geschriebenen Skript, zum anderen an dem lustvollen Spiel der Truppe, welche derart gut harmoniert, daß sie eine echte Konkurenz für die berühmte Zeichentrickfilmversion von Walt Disney darstellt. Christian Stark(Prinz) weiß als äußerst sympathisch klingender, gegenüber der Königin unnachgiebiger Thronfolger zu begeistern, und auch Jonas Minthe(Jäger) überzeugt mit seinem Portrait des überraschten Waidmanns, den der Befehl der Königin in einen entsetzlichen Gewissenskonflikt bringt. In den Nebenrollen sind noch Marlene Bosenius(Schneewittchen als Baby) als zufrieden vor sich hin glucksender Säugling und Marc Gruppe(Tollpatschiger Diener) als unglücklich agierender Bediensteter zu hören.

(KHM 19) Vom Fischer und seiner Frau:
Ich glaube, es ist das erste Mal, daß ich dieses Märchen absolut ungeschnitten zu Gehör bekommen habe. Michael Pan(Fischer) ist klasse in der Rolle des gutmütigen Anglers, den die Habgier seiner Frau erst nervt, dann verärgert und schließlich wütend macht, der jedoch so unter ihrem Pantoffel steht, daß er lieber allen anderen Gefahren trotzt, als sich ihren Unmut zuzuziehen. Wie es ihre Figur vorgibt, spricht Sabina Trooger(Ilsebill) ihren Text mit stets kiebigem Unterton in der Stimme, und je unersättlicher ihre Wünsche werden, desto mehr scheint sie innerlich zu verhärten. In diesem Hörspiel agieren wirklich alle drei Hauptakteure auf Augenhöhe, denn auch Bernd Kreibich(Butt) gelingt eine überragende Darstellung des großen Fisches, dessen sanfte Stimme im Laufe der Zeit immer verärgerter klingt. In einer klitzekleinen Nebenrollen tritt noch Marc Gruppe(Diener) als vom Verhalten des Fischers befremdeter Lakai auf.

(KHM 5) Der Wolf und die sieben jungen Geißlein:
Ingeborg Kallweit(Geißenmutter) spielt die liebevolle Ziegenmutter, die ihren Nachwuchs zur Vorsicht mahnt, mit genau soviel Herzblut, wie James McMenemy(Geißlein), Christopher McMenemy(Geißlein), Edward McMenemy(Geißlein), Clara Fischer(Geißlein), Frieda Fischer(Geißlein), Marvin Fischer(Geißlein) und als jüngstes sowie auch am lieblichsten klingendes siebtes Zicklein Marlene Bosenius(Geißlein). Ähnlich wie schon bei den Sieben Zwergen machen auch deren Interaktionen viel Spaß, denn alle "meckern" ihren Text genußvoll, und wenn sie durcheinander reden, wirken sie tatsächlich wie eine kleine, fröhliche Ziegenherde. Am meisten angesprochen hat mich in diesem Hörspiel aber Michael-Che Koch(Wolf) mit seinem Portrait des verschlagenen Isegrims. Koch hat hörbares Vergnügen, diese Figur zu intonieren, und es ist schon beeindruckend, daß er in der Lage ist, seine Stimme zunächst sehr rau und später dann geradezu weich klingen zu lassen. In weiteren Nebenrollen kommen noch Louis Friedemann Thiele(Krämer),Benedikt Weber(Bäcker) und Christoph Jablonka(Müller) als gegenüber dem Wolf furchtsam und unterwürfig agierende Händler zu Wort.

Fazit:
Titania Medien nimmt seine Hörerinnen und Hörer erneut auf einen wunderschönen Ausflug in die phantasievolle Welt der Grimms Märchen mit.

Das Hörspiel Grimms Märchen - 4 - Schneewittchen / Von dem Fischer und seiner Frau / Der Wolf und die sieben jungen Geißlein
gibt es als CD bei
POP.de
oder als Download bei
Amazon.de