Rezension: Grimms Märchen - 5 - Rotkäppchen / Einäuglein, Zweiäuglein, Dreiäuglein / Tischlein deck dich
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Rezension: Grimms Märchen - 5 - Rotkäppchen / Einäuglein, Zweiäuglein, Dreiäuglein / Tischlein deck dich
Grimms Märchen - 5 - Rotkäppchen / Einäuglein, Zweiäuglein, Dreiäuglein / Tischlein deck dich
Zum Inhalt:
Rotkäppchen: Ein kleines Mädchen (genannt Rotkäppchen) soll seine kranke Großmutter besuchen. Doch auf dem Weg dorthin lauert Gefahr, denn der Wolf ist ebenfalls unterwegs...
Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein: Weil sie anders ist, als die anderen, behandeln ihre Schwestern und die Mutter Zweiäuglein schlecht, doch das arme Mädchen bekommt Hilfe...
Tischlein deck dich: Weil eine bösartige Ziege immer lügt, verstößt der Vater seine drei Söhne, die daraufhin in die Welt hinausziehen, um ihr Glück zu machen...
Zur Produktion:
Da Titania Medien seit Folge 4 dazu übergegangen ist, die Tracks der jeweiligen Märchen innerhalb des Booklets aufzulisten, beschränke ich mich auf die Streamingtrackliste: "Rotkäppchen 1-15", "Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein 16-37", "Tischlein deck dich 38-62". Die unterschiedliche Trackanzahl ergibt sich aus den verschieden langen Textvorlagen der einzelnen Kinder- und Hausmärchen, nachfolgend mit KHM abgekürzt.
Den Anfang macht "Rotkäppchen" (KHM 26), das wohl bekannteste Märchen in der Sammlung der Gebrüder Grimm. Diese Erzählung ist so beliebt, daß es eigentlich kaum noch eine Kunstrichtung gibt, in der sie nicht vertreten ist. Neben den zu erwartenden Theater- und Puppenspielfassungen, findet sich noch eine Oper, ein Musical, und selbst in die Popkultur hat die Geschichte des kleinen Mädchens mit der roten Kappe Einzug gehalten. Darüber hinaus existieren seit 1922 über 20 verschiedene Verfilmungen, Comicadaptionen, Briefmarken, Gedenkmünzen, Werbeauftritte, ein Computerspiel und natürlich unzählige Hörspieladaptionen. Da die Grimms das Märchen bereits 1812 veröffentlichten, wirkt der Duktus auf heutige Leser etwas umständlich und eignet sich nicht wirklich zur wörtlichen Wiederholung bzw. Verwendung. Aus diesem Grund hat Skriptautor Marc Gruppe die Sprache behutsam modernisiert, was Kennern der Geschichte bereits im ersten Satz auffallen wird, in dem Rotkäppchen im Original als "Dirne" bezeichnet wird. Das war damals ein durchaus üblicher Begriff für ein junges Mädchen, heutzutage jedoch verbindet man damit eigentlich nur noch eine Prostituierte. Ebenfalls geändert wurde der Begriff "Sammet", das alte Wort für "Samt". Daß Gruppe aus dem einfachen "Bett" ein "Himmelbett" macht, ist vor allem der Dramaturgie geschuldet, da Rotkäppchen auf diese Weise nicht sofort erkennen kann, ob da überhaupt jemand auf der Schlafstätte liegt. Realistisch ist es allerdings nicht, denn damals hatten nur die höheren Stände solche luxuriös ausgestatteten Schlafplätze. Neben der Wandlung von Teilen des Erzählertextes in Dialoge und der Tatsache, daß der Skriptautor manche Sätze anderen Figuren zuordnet, gibt es (außer wenigen neuen Attributen, wie z.B. "zähe, ausgemergelte" Alte) so gut wie keine Veränderungen gegenüber der literarischen Vorlage. Bis auf eine, die ich wirklich bedaure. Nur die wenigsten dürften wissen, daß die Handlung nach dem sattsam bekannten Ende noch einmal forgeführt wird und Rotkäppchen erneut auf einen Wolf trifft. Warum Marc Gruppe die Chance nicht wahrgenommen hat, auch dieses "erweiterte" Ende in sein Skript zu integrieren, kann eigentlich nur daran liegen, daß auf der CD, die mit einer Laufzeit von insgesamt ca. 89 Minuten daherkommt, einfach kein Platz mehr dafür war.
Von den drei vorhandenen Märchen ist die Geschichte von "Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein" (KHM 130) wohl die unbekannteste. An dieser Stelle muss ich unbedingt erwähnen, das die Erzählung bereits 1816 in Johann Gustav Büschings Zeitschrift "Wöchentliche Nachrichten für Freunde der Geschichte, Kunst und Gelahrtheit des Mittelalters" veröffentlicht wurde, bevor die Gebrüder Grimm diese 1819 in ihre berühmte Sammlung mit aufnahmen. Wie schon bei "Rotkäppchen", gibt es auch hier nur wenige zusätzliche Dialoge. Neu ist z.B. die genauere Beschreibung von Zweiäugleins Essen ("verschimmelte Kartoffelschalen") und die Erwähnung des Todes der Mutter, auf den die Grimms gar nicht eingehen. Ebenfalls neu hinzugekommen ist der Satz vom "glücklichen und zufriedenen Leben bis an das selige Ende", welcher meiner Meinung nach zu einem Märchen einfach dazugehört. Umso verwunderlicher ist es, daß dieser in der literarischen Vorlage nicht vorkommt.
Zum Abschluß gibt es dann noch die Geschichte "Tischlein deck dich" (KHM 36), die ursprünglich "Tischlein deck Dich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack" heißt. Wie schon bei den beiden anderen Märchen, hat Gruppe hier kaum Änderungen vorgenommen. So ist sinnvollerweise davon die Rede, daß die Ziege sich nicht mehr unter "ehrbaren Artgenossen sehen lassen kann", statt wie im Original "unter ehrbaren Schneidern". Ausserdem ist es im Hörspiel die Wirtin und nicht ihr Gatte, welche die Idee zum Tausch des Tisches hat, und die Warnung an die Wirtsleute hat der Skriptautor etwas ausführlicher als im Orignal gestaltet. Daß die Verwandschaft des Schneiders fehlt und nicht zu den jeweiligen Präsentationen eingeladen wird, ist wohl aus budgetären Gründen geschehen, spielt aber für die Handlung auch keine Rolle. Zum Ausgleich für meine Enttäuschung über das Weglassen des erweiterten Endes bei "Rotkäppchen", hat mich Marc Gruppe an dieser Stelle mehr als entschädigt, denn meines Wissens nach ist dies die erste Hörspielfassung mit dem kompletten Ende, in dem man erfährt, was aus der bösartigen Ziege geworden ist.
Die Produktion und Regie von Stephan Bosenius und Marc Gruppe fällt hier tatsächlich regelrecht märchenhaft aus. Für die musikalische Untermalung der einzelnen Szenen greifen die beiden nur auf klassische Instrumente wie Klavier, Geige, Oboe und diverse Arten von Flöten (Blockflöte, Piccoloflöte und sogar eine Panflöte) zurück. Den Einsatz eines Synthesizers konnte ich nicht feststellen oder habe diesen überhört. Die einzelnen Melodien passen haargenau zu dem jeweiligen Geschehen und sind mal fröhlich bzw. beschwingt, dann wieder getragen und ernsthaft. Besonders gut gefallen hat mir der Einsatz von Beethovens 5. Symphonie bei "Rotkäppchen". Das passt so gut, daß man fast den Eindruck bekommt, der großartige Komponist habe bei der Erschaffung an diese Erzählung gedacht. Gleiches gilt auch für die Einspielung des Walzers bei "Tischlein deck dich", der dem Geschehen eine besonders schwungvolle Note verleiht.
Genauso passend wie die Musik, ist auch die Geräuschkulisse. Vögel zwitschern, Blätter und Gräser rauschen im Wind, Kuckuck und Käuzchen sind zu hören, Kühe muhen, Hühner gackern, Krähen krächzen, Grillen zirpen, und die Pferde erkennt man am Hufgetrappel und Wiehern. Highlight ist für mich aber das Geräusch, das zu hören ist, als der Esel seinen Haufen macht. Nicht unbedingt appetitlich, aber in Zusammenhang mit den Reaktionen der Sprecher äußerst amüsant.
Neben diesen "Tönen der Natur", gibt es aber auch noch eine Unzahl an "menschengemachten" Sounds. Es wird mit Besteck geklappert, das Mühlrad dreht sich mit Hilfe eines Flüßchens träge, die Tischbeine scharren über den Boden, und wie gewohnt sind es die kleinen, scheinbar nur nebenher "eingestreuten" Töne, die das Hörspiel zum Erlebnis werden lassen. Besonders deutlich wird das bei "Rotkäppchen". Da ist das Durchladen des Gewehrs (und nicht etwa einer Pistole) noch das am wenigsten zu beachtende Geräusch. Geradezu meisterhaft in Szene gesetzt ist jedoch das Aufschneiden des Wolfsbauches. Ich weiß nicht, wie man das Geräusch gemacht hat, aber die Schere klingt wirklich so, als würde sie durch Fleisch schneiden. Geradezu gruselig fällt aber der kleinste Ton aus, den man nur bei voller Konzentration mitbekommt. Während dieser Prozedur ist nämlich auch das heruntertropfende Blut zu hören. Mindestens ebenso gelungen sind aber auch das vergleichsweise harmlose Rumpeln der Steine im Wolfsbauch und die extrem realistisch klingenden Peitschenhiebe bei "Tischlein deck dich".
Um die kleinsten Hörer nicht zu sehr zu erschrecken, gibt es wenige, aber stimmig eingesetzte Effekte. So sind Rotkäppchens Gedanken ebenso mit einem leichten Hall unterlegt, wie die Ziege in der Höhle, und immer wenn etwas "Magisches" geschieht, erklingen helle Töne, um das "Wunder" adäquat hervorzuheben.
Zu den Sprechern:
Wie schon bei meinen anderen Rezensionen zu dieser Reihe, beginne ich mit dem großartigen Peter Weis(Erzähler), der diesen Part in allen Märchen übernimmt. Es macht einfach ungeheuren Spaß, ihm zuzuhören, und oftmals sind es seine Betonung und die Emotionen, die er mit einfließen lässt, welche bei einzelnen Szenen entweder für zusätzliche Spannung oder auch Entspannung beim Hörer sorgen.
Nachfolgend nun die Sprecher der einzelnen Märchen:
(KHM 26) Rotkäppchen:
Gerlinde Dillge(Großmutter) überzeugt als liebevolle ältere Dame, die das Schicksal des Wolfes amüsiert, und auch Eva Michaelis(Mutter) weiß als fürsorgliche Mama Akzente zu setzen. Gleiches gilt auch für Martin May(Jäger) in der Rolle des kernig auftretenden Weidmannes, der seinen Text auch mal flüstert, ohne dabei an Volumen zu verlieren. Sprecherisches Highlight sind für mich aber eindeutig Marlene Bosenius(Rotkäppchen) und Christoph Jablonka(Wolf). Ich glaube, es ist das erste Mal, daß die Rolle der Titelfigur in einem Hörspiel auch tatsächlich von einem altersmäßig passenden kleinen Mädchen gesprochen wird.
Marlene macht ihre Sache einfach großartig. Ihre Darstellung des lustigen, unschuldig-naiven Rotkäppchens ist absolut goldig und klingt jederzeit natürlich.
Mal ist sie von den Ermahnungen der Mutter leicht genervt, dann singt sie fröhlich vor sich hin. Selbst herausfordernde Szenen, in denen sie ängstlich oder erschreckt wirken muss, meistert sie mit Bravour. Ihr zur Seite gestellt ist Christoph Jablonka(Wolf) als verschlagener Isegrim, der sich köstlich über das leichtgläubige Kind amüsiert. Den überwiegenden Teil seines Textes intoniert er mit zur Rolle passender heiserer Stimme, aber wenn es notwendig wird, spricht er entweder ganz hoch, um das kleine Mädchen zu imitieren, oder er hebt seine Stimme nur ein wenig an, um die Großmutter zu "spielen". Am besten haben mir aber seine wohligen, gutturalen Laute während des Fressens und das sich anschließende kleine Bäuerchen gefallen, die nochmal eindrücklich verdeutlichen, wie sehr sich der Sprecher mit der Rolle identifiziert hat.
(KHM 130) Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein:
Monika John spricht die Rolle der hartherzigen Mutter mit so viel Gusto, daß einem als Hörer schon fast angst und bange werden kann. Jeder Satz von ihr trieft geradzu vor Häme gegenüber Zweiäuglein, und sie wirkt schon fast ein wenig sadistisch im Umgang mit ihm. Ihre beiden anderen Töchter, Ingeborg Kallweit(Einäuglein) und Herma Koehn(Dreiäuglein), stehen der boshaften Mutter in nichts nach. Ständig lästern sie und tragen ihren Neid und den Missmut gegenüber Zweiäuglein offen zur Schau. Koehn setzt noch einen drauf, indem sie an einer Stelle ihre Stimme so verstellt, als spräche ein arglistiger Kobold statt einer Frau. Sprecherisches Highlight ist für mich aber die unvergleichliche Reinhilt Schneider(Zweiäuglein) in ihrem Part der von allen geschundenen Tochter bzw. Schwester. Ihre Trauer über das eigene Schicksal und die Ungerechtigkeiten sind herzergreifend und stehen im starken Kontrast zu ihrer lieblichen Stimme. Einen kleinen Wermutstropfen gibt es aber doch. An einer Stelle klingt es für mich, als ob sie "Du kannst gut hütten" statt "Du kannst gut hüten" sagen würde. Diese "Ungenauigkeit" hätte der Regie eigentlich auffallen müssen. Ursula Sieg(Weise Frau) spielt die freundliche, wegen der Misshandlungen an Zweiäuglein entsetzte gute Fee, und Michael Che-Koch(Ritter) ist mit seiner sympathisch klingenden Stimme geradezu die Inkarnation eines edlen Kämpfers für die Gerechtigkeit. Der fröhlich meckernden Geiß leiht Marc Gruppe(Zicklein) seine Stimme.
(KHM 36) Tischlein deck dich:
Bodo Primus(Schneider) darf hier seine große Wandlungsfähigkeit zeigen. Zunächst erscheint er als fröhlicher, gegenüber seinen Söhnen freundlicher älterer Mann, nur um wenig später als wütender, brutaler Hitzkopf aufzutreten. Primus zeigt die ganze Bandbreite seines Könnens, von hocherfreut bis tieftraurig, von stolz bis enttäuscht, aber der Höhepunkt seiner Darbietung ist für mich die Art und Weise, wie er auf das "Geschäft" des Esels reagiert.
Benedikt Weber(Johann) spielt seinen ältesten Sohn, der als Erster in die Fremde zieht und dessen Großzügigkeit und Offenherzigkeit übelst ausgenutzt wird. Den Part des zweitältesten Sohnes übernimmt Louis Friedemann Thiele(Kurtchen), der genauso freundlich und hilfsbereit ist, wie sein älterer Bruder und der, genau wie dieser, ebenfalls reingelegt wird. Aus diesem Grunde ist es an Bene Gutjan(Anton), dem bescheidensten und jüngsten Sohn des Schneiders, die Angelegenheit wieder in Ordnung zu bringen. Da man Gutjan auf Grund seiner angenehm klingenden Stimme sofort sympathisch findet, ist es umso schlimmer, seine ausgezeichnet gespielten Schmerzensschreie hören zu müssen. Arianne Borbach(Ziege) in der Rolle der bösartigen Geiß, spricht ihre Figur mit absichtlich zitternder Stimme, um deren Meckern so nahe wie möglich zu kommen, während sich Marc Gruppe(Goldesel) auf inbrünstig vorgetragene Rufe des Grautiers beschränkt. Auch wenn sie nur relativ kurze Auftritte haben, gelingt es Michael Pan(Schreiner), Martin May(Müller) und Bernd Kreibich(Drechsler) doch, als gutgesinnte, freigiebige Lehrmeister einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Manfred Liptow(Wirt) tritt mit seiner Interpretation des jovialen Gaststättenbetreibers, der es faustdick hinter den Ohren hat, genauso souverän auf, wie die ihm zur Seite gestellte Marion Hartmann(Wirtin), die noch geldgieriger und ausgekochter ist als ihr Gatte. Unbedingt noch zu erwähnen sind drei weitere Tierrollen, die von den Sprechern mit viel Liebe dargestellt werden. Tom Raczko(Fuchs) ist der fesche Reineke, der auf einmal vor seinem eigenen Bau Angst bekommt, Thomas Balou Martin(Bär) spricht Meister Petz zwar mit tiefer brummiger Stimme, um die Größe des Tieres angemessen rüberzubringen, doch auch er hat Angst, den Bau zu betreten. Erst ein kleines, hilfsbereites Insekt in Form von Luisa Wietzorek(Biene), deren Stimme hochgepitcht wurde, um "summender" zu klingen, ist mutig genug, das Rätsel für die beiden Hasenfüße zu lösen.
Fazit:
Herausragende Umsetzung der beliebten Märchen der Gebrüder Grimm.
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