Rezension: Grimms Märchen - 13 - König Drosselbart - Die kluge Else - Der treue Johannes
Verfasst: So 15.10.2023, 17:30
Grimms Märchen - 13 - König Drosselbart - Die kluge Else - Der treue Johannes
Zum Inhalt:
König Drosselbart: Eine hochmütige Prinzessin lehnt nicht nur alle Bewerber ab, sondern beleidigt diese auch noch. Als es dem König zu bunt wird, schwört er, seine Tochter mit dem nächsten Bettler, der ins Schloß kommt, zu verheiraten...
Die kluge Else: Hans möchte eine kluge Frau heiraten, und Else scheint eine aussichtsreiche Kandidatin zu sein, da sie sie sich sogar um etwas sorgt und es beweint, was lediglich passieren könnte. Doch nach der Heirat findet Hans schnell heraus, daß seine Else nicht die hellste Kerze auf der Torte ist...
Der treue Johannes: Ein alter König nimmt seinem treuesten Diener Johannes kurz vor seinem Tod das Versprechen ab, seinem Sohn niemals das Gemälde der schönen Königin vom goldenen Dache zu zeigen. Doch leider entdeckt dieser das Bild trotz aller Vorsichtsmaßnahmen und ist daraufhin fest entschlossen, die wunderschöne Regentin zu heiraten...
Zur Produktion:
Obwohl ich bei den Märchen der Gebrüder Grimm eigentlich ganz gut bescheid weiß, bin ich immer wieder erstaunt, wie viele davon mir doch noch unbekannt sind. Von den drei hier präsentierten Erzählungen "König Drosselbart" (Kinder- und Hausmärchen 52, nachfolgend mit KHM abgekürzt), "Die kluge Else" (KHM 34) und "Der Treue Johannes" (KHM 6) war mir nur die erste vertraut. "König Drosselbart" ist natürlich eine sattsam bekannte Geschichte, zumal diese ja auch bereits mehrfach verfilmt worden ist und nicht wenige vor allem die DEFA-Version von 1965 gesehen haben dürften. Wie schon in den vorangegangenen Folgen, hat Hörspielskriptautor Marc Gruppe jedes Märchen liebevoll adaptiert, immer mit viel Respekt vor der literarischen Vorlage.
Neu hinzugekommen sind einige Füllsätze/Wörter, wie beispielsweise der Satz von der Prinzessin:"Ich nehm euch nicht!", dann, daß die Prinzessin davon ausgeht, mit der königlichen Kutsche fahren zu können, oder daß das kleine Häuschen des Spielmannes "außerhalb der Stadt in keiner guten Gegend" liegt.
Ein Großteil des Erzählertextes ist in Dialoge umgewandelt worden, und die Sprache wurde stellenweise leicht modernisiert. So wird aus dem "Gesang" ein "Liedchen" und aus dem "Vorrath" die heutzutage eher üblichen "Vorräte". Das gilt auch für "Die kluge Else", bei der von einem "Vogelnetz", statt wie bei den Grimms, von "Vogelgarn" die Rede ist. Die Erwähnung von "Blut" lässt sich in der Grimmschen Version ebenfalls nicht finden. Das ursprüngliche abrupte Ende hat Gruppe ein wenig erweitert und beschließt das Märchen mit dem versöhnlichen Satz: "Wir müssen uns aber keine Sorgen machen, denn wer so klug ist wie die Else, findet schon seinen Platz auf der Welt." Vermutlich, weil in dieser Geschichte viel geweint und wehgeklagt wird, obwohl es dafür gar keinen Anlass gibt, hat sich der Skriptautor beim dritten und letzten Märchen "Der treue Johannes" dazu entschlossen, die Trauer des Königssohns auszulassen und stattdessen direkt mit der Handlung fortzufahren. Daß sich das Bild der Königin vom goldenen Dache in "der letzten Kammer im langen Gange" befindet, ist neu und dient vor allem dazu, den Aufbewahrungsort noch ein wenig prägnanter zu machen. Sprachlich gibt es ein paar wenige Modernisierungen, die entweder besser klingen oder verständlicher sind, wie zum Beispiel, daß vom nicht von der Stelle "weichen" statt "gehen" gesprochen wird, oder der Begriff "Wild" anstelle des ursprünglichen "Gewild" eingestzt wird. Die auffallendste Änderung betrifft eine Szene, die nicht nur heutzutage, sondern vermutlich schon zur Zeit der Gebrüder Grimm für ein gewisses Stirnrunzeln gesorgt hat. Dabei geht es darum, daß der Königin drei Tropfen Blut aus der rechten Brust entnommen werden müssen. In der schriftlichen Vorlage wird in diesem Zusammenhang von "ziehen" gesprochen, während im Hörspiel der Begriff "saugen" fällt, was für den Hörer nachvollziehbarer ist. Kinder werden sich wohl nichts dabei denken, aber für Erwachsene hat das, in unserer übersexualisierten Welt, wohl noch mehr als damals einen gewissen Unterton. Das wird außerdem mit der Reaktion des Gemahls verdeutlicht, der den "Sauger", seinen treuen Diener Johannes, umgehend ins Gefängnis werfen lässt. Da dies jedoch nur ein Satz innerhalb der drei Märchen ist, sollte sich niemand davon abhalten lassen, diese wundervollen Geschichten mit einer Laufzeit von insgesamt fast 75 Minuten zu hören.
Nicht nur inhaltlich, sondern auch klanglich gelingt es den Produzenten und Regisseuren Stephan Bosenius und Marc Gruppe, den Hörer unmittelbar in die Märchenwelt der Gebrüder Grimm zu versetzen. So wird "König Drosselbart" mit einer an das Mittelalter erinnernden fröhlichen Melodie eröffnet, bei der entsprechende Instrumente, wie Laute, Drehleier oder Schalmei zum Einsatz kommen. Alle Weisen innerhalb dieser Geschichte haben einen heiteren, aber manchmal auch leicht treibenden Unterton, je nachdem, was die jeweilige Szene gerade erfordert. Daß bei "Die kluge Else" ausgerechnet auch orchestrale Stücke zu hören sind, hat mich ein wenig überrascht, da man diese eher bei höfischen Szenen erwarten würde. Aber unter dem Strich passt das auch hier, zumal mit der Fanfare, als alle außer Hans im Keller sind, ein lustiger Akzent gesetzt werden kann. Am besten hat mir jedoch die Musik bei "Der treue Johannes" gefallen. Hier gibt es anfangs eine tragende Melodie, welche die Sterbeszene des alten Königs adäquat unterstreicht, begleitet von einem Gänsehaut erzeugenden Chorgesang. Im weiteren Verlauf wird ein sehr populäres klassisches Stück eingespielt, welches ich aus Unkenntnis zwar nicht benennen kann, das aber jedem Hörer bekannt sein dürfte. Abgerundet wird die musikalische Untermalung mit einer fröhlichen Bläsermelodie, die zum Ende des Hörspiels zu hören ist. Ebenso überzeugend wie die Musik ist auch die Geräuschkulisse. Bei "König Drosselbart" sind deutlich die anwesenden Höflinge und Freier zu hören, als der König sich erhebt, verrückt er seinen Thron ein wenig, und es ist akustisch klar unterscheidbar, ob die Agierenden durch einen Thronsaal schreiten, sich auf einem Waldweg befinden oder in dem Häuschen auf und ab gehen. In selbigem knistert ein Feuer, und es wird mit den Töpfen geklappert. Highlight ist für mich aber wieder einmal ein kleines, eigentlich unwichtiges Geräusch, und zwar der absolut realistisch klingende Kaminabzug. Die Marktatmosphäre mit den geschäftig hin und her wuselnden Menschen und den Kaufleuten, die ihre Waren feilbieten, ist genauso gekonnt inszeniert, wie der rücksichtslos reitende Husar, der das Geschirr zerschmettert. Nicht ganz so gut gefallen hat mir das Geräusch der herunterfallenden Töpfchen aus dem Kleid der Prinzessin, bzw. das Verschütten von deren Inhalt, denn der Ton der auslaufenden Suppe hört sich von der Menge her an, als hätte sie den gesamten Topf dabei gehabt.
In der Geschichte "Die kluge Else" wird vor allem mit Geschirr geklappert, die Stühle gerückt, und im Keller tropft es von der Decke. Als Else aufs Feld geht, dringt Vogelgezwitscher ans Ohr, und das Korn raschelt leise. Für große Erheiterung sorgen dann die Schellen, welche Hans seiner Frau umlegt.
Da "Der treue Johannes" die meisten Handlungsorte zu bieten hat, sind auch die verschiedenen Töne besonders abwechslungsreich. Innerhalb des Schlosses prasselt ein Kaminfeuer, das Schlüsselbund klimpert, und selbstverständlich dreht sich auch der Schlüssel im Schloß der knarrenden Tür. Am Ufer des Landes der Königin vom goldenen Dache angekommen, hört man Möwen schreien und Wellen ans Ufer schwappen. Innerhalb des Landes zirpen die Grillen und singen die Vögel, und als der verkleidete König mit seiner Angebeteten den Laderaum des Schiffes aufsucht, knarren die Stufen der steilen Stiege, während die Wellen sich am Schiffsrumpf brechen. Die hinzukommenden Raben schlagen mit ihren Flügeln, und als man wieder an Land ist, bekommt man das Hufgetrappel und das Wiehern des angekündigten Pferdes zu hören. Sehr gut umgesetzt ist auch das Aufflackern des Brauthemdes im Feuer, die krächzenden Raben am Galgenhügel und der heulende Wind im zugigen Schloss. Highlight ist hier für mich das Abfallen der Versteinerung, als Johannes erlöst wird.
Für die Effekte beschränken sich Bosenius und Gruppe auf einen Filter, der die Stimmen hinter der Tür dumpf klingen lässt. In der freien Natur werden die Akteure etwas leiser eingespielt, weil sich der Schall dort nirgends brechen kann, und bei der Szene mit dem steinernen Bild kommt ein wenig Hall zum Einsatz.
Zu den Sprechern:
Der leider inzwischen verstorbene Peter Weis(Erzähler) übernimmt diesen Part in allen drei Geschichten. Wie man es von ihm gewohnt ist/war, betont er punktgenau und vergisst nicht, dabei auch die jeweils passenden Emotionen in seinen Text einfließen zu lassen. Seine einzigartige Stimme wird immer in Erinnerung bleiben, und es ist mehr als erfreulich, daß man ihn auch in den nächsten Folgen noch hören kann.
König Drosselbart:
Rolf Berg(König) überzeugt als geplagter Monarch, dem das hochmütige Verhalten seiner Tochter so peinlich ist, daß ihm schließlich der Geduldsfaden reißt und er sie vor die Tür setzt. Reinhilt Schneider(Prinzessin) ist hier ein wenig gegen den Strich besetzt. Zwar verkörpert sie einmal mehr die schöne Prinzessin, darf aber diesmal eine eher unsympathische Figur spielen. Sie nutzt ihre einzigartige Stimme, um die Bewerber mit beißendem Spott zu überziehen, und einmal singt sie ihre Tiraden geradezu. Es macht schon viel Spaß, ihr dabei zuzuhören, wie sich die "Spottdrossel" später selbst bemitleided, sich dann aber fügt und sich selbst eine Gardinenpredigt hält. Mindestens ebenso gelungen ist auch die Darstellung von Pascal Breuer(König Drosselbart) als freundlicher, höflicher Regent, der die arrogante Prinzessin mit viel Geduld antreibt und schließlich einen besseren Menschen aus ihr macht. Abgerundet wird die Sprecherriege mit Tim Schwarzmaier, Willi Röbke, Marc Gruppe, Louis Friedemann Thiele, Patrick Stanke(alle Freier) als beleidigte und empörte Bewerber um die Hand der Prinzessin.
Die kluge Else:
Antje von der Ahe(Else) ist geradezu brilliant in der Rolle des von sich selbst überzeugten Mädchens, das ein wenig schräg singt und sich die schrecklichsten Dinge ausmalt. Ihr vollkommen überzogenes Wehklagen und das ständige Greinen, wenn sie unsicher ist, verleihen ihrer Darstellung etwas unglaublich Komisches und sorgen für viel Heiterkeit beim Hörer. Thomas Balou Martin(Vater) agiert zunächst ungeduldig und dann verärgert, bis auch er sich von seiner Tochter anstecken lässt und ebenfalls in das Klagelied einstimmt. Gleiches gilt für Luise Lunow(Mutter), auch sie schluchzt herzergreifend. Hörspielurgestein Bernd Kreibich(Hans) macht viel Spaß als selbstbewusster Mann, der sich anfangs von Elses "Klugheit" beeindruckt zeigt, dann aber merkt, daß seine Angetraute nicht mal annähernd so schlau ist, wie zu Beginn gedacht. Auch die Dienerschaft, Herma Koehn(Magd) und Claus Thull-Emden(Knecht) erliegt schließlich Elses Lamentieren und schließt sich dem Jammerchor an.
Der treue Johannes:
Die dritte und letzte Geschichte wird von einer weiteren Hörspielsprecherlegende eingeführt, dem unnachahmlichen Eckart Dux(Alter König) als greiser Herrscher, der auf dem Sterbebett liegt und seinem treuen Diener Johannes ein letztes Versprechen abringt. Mit Jürgen Thormann(Johannes) ist auch dieser Part hochkarätig besetzt. Thormann ist schlichtweg ausgezeichnet als der alte Domestik, der alles tut, damit es dem Königssohn gutgeht, auch wenn sein eigenes Wohl darunter leidet. Louis Friedemann Thiele(König) liefert eine erstklassige Performance als frischgebackener König ab, der geradezu außer sich ist vor Liebe und nichts auf den treuen Johannes kommen lässt, bis dieser etwas tut, was der junge Regent nicht nachvollziehen kann. Doch nach Johannes' Ableben ist er völlig aufgelöst und bereit, wirklich alles für dessen Wiederbelebung zu tun. Auch wenn sie hier nicht viel Text hat, so gelingt es Reinhilt Schneider(Schönes Mädchen) doch, als beeindruckte Kammerjungfer der Königstochter einen positiven Eindruck beim Hörer zu hinterlassen. Ebenso gelungen ist auch der Auftritt von Kristine Walther als begeisterte Königstochter, die vom Anblick der mitgebrachten goldenen Prachtstücke so hingerissen ist, daß sie den jungen König heiratet und ihn selbst dann unterstützt, als es um das Leben ihrer Kinder geht. Bernd Kreibich, Claus Thull-Emden und Thomas Balou Martin(Raben) krächzen geradezu ihren Text, rollen das "R" und fügen immer wieder ein "Krah" ein, während sie sich gegenseitig mit ihrem Wissen übertrumpfen.
Marc Gruppe und Joachim Tennstedt(Diener) intonieren die missgünstigen Hausangestellten, die immer nur schlechte Worte für Johannes übrig haben und schadenfroh versuchen, ihn in Misskredit zu bringen. Nicht unerwähnt lassen möchte ich noch Marlene Bosenius und Edward McMenemy(Zwillinge) als fröhliche Geschwister, die Fangen spielen und sich dabei königlich amüsieren.
Fazit:
Eine bunte Zusammenstellung von schönen Geschichten, die mal spannend, mal lustig, mal dramatisch, aber immer höchst unterhaltsam sind.
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