Rezension: Grimms Märchen - 16 - Die zertanzten Schuhe / Hans im Glück / Der Geist im Glas
Verfasst: So 14.07.2024, 12:16
Grimms Märchen - 16 - Die zertanzten Schuhe / Hans im Glück / Der Geist im Glas
Zum Inhalt:
Die zertanzten Schuhe:
Ein König möchte gern dahinterkommen, wohin seine 12 Töchter jede Nacht zum Tanzen gehen. Welcher Mann es innerhalb von 3 Tagen schafft, das Rätsel zu lösen, der bekommt eine der Töchter zur Frau und erbt das Königreich. Wer es nicht schafft, verliert sein Leben...
Hans im Glück:
Nach sieben Jahren Dienstzeit bekommt Hans von seinem Meister einen Klumpen Gold geschenkt. Dieser wird ihm schnell zur Last, und so tauscht er ihn gegen ein Pferd ein. Das ist aber erst der Anfang einer Reihe von Tauschgeschäften...
Der Geist im Glas:
Der Sohn eines Holzfällers findet im Wald eine Flasche mit dem Geist Merkurius darin. Als er diesen befreit, droht ihm der Geist mit dem Tode. Doch der junge Mann ist klug und findet einen Ausweg...
Zur Produktion:
Auch diese Folge beinhaltet eine gelungene Mischung aus drei bekannten Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Jacob Grimm (1785–1863) und Wilhelm Grimm (1786–1859), nachfolgend mit dem Kürzel KHM versehen.
Zum Auftakt gibt es "Die zertanzten Schuhe" (KHM 133). Wer die Geschichten gelesen hat, dem wird sofort auffallen, daß Hörspielskriptautor Marc Gruppe hier eine Erklärung dafür liefert, weshalb die Bewerber sich nachts einfach nicht wachhalten können. Damit wird das Märchen zwar ein wenig entzaubert, aber zum Ausgleich kann der Hörer wenigstens nachvollziehen, warum das so ist. Es gibt auch einige neue Dialoge, die das Hörspiel lebendiger bzw. runder machen und immer im Geiste der Grimms gehalten sind. Besonders gut gelungen ist das bei der Figur des Königs, dessen Äußerungen den Hörer mehrmals schmunzeln lassen. Darüber hinaus hat Gruppe den Satzbau und die Sprache ein wenig modernisiert. So ist hier beispielsweise von einem "Laubengang" statt einem "Baumgang" die Rede, aus dem "klarer Demant" wird der Diamant, und der Soldat steckt hier "ein" statt "zu sich". Ansonsten bleibt der Hörspielskriptautor, bis auf eine Ausnahme, dicht bei der literarischen Vorlage. Interessanterweise fehlt hier nämlich der Satz, in dem der Soldat über sich sagt, daß er ja nicht mehr der Jüngste sei und deshalb die älteste Tochter zur Frau wolle. Bei Gruppe überlegt er eine Weile und entscheidet sich dann für die jüngste Prinzessin.
Die mittlere Geschichte "Hans im Glück" (KHM 83) dürfte zwar jedem bekannt sein, aber Marc Gruppe hat hier einige Details abgeändert. So befindet sich in seiner Version Schnaps in der Flasche des Metzgers, bei den Grimms wird auf den Inhalt gar nicht eingegangen, und im Gegensatz zur Vorlage bekommt Hans vom Metzger auch die Schubkarre geschenkt. Der Scherenschleifer wiederum ist noch betrügerischer am Werk als im Märchen. Statt Hans den kaputten Schleifstein und einen Feldstein zu schenken, bekommt er lediglich den wertlosen Feldstein. Wie schon in der vorangegangenen Geschichte, hat der Skriptautor auch hier die Sprache leicht modernisiert. Beispielhaft angeführt sei, daß sich in Gruppes Fassung die Figuren begrüßen statt "einander die Zeit zu bieten", und daß das Pferd "bockt" statt zu "stoßen". Gut gefallen hat mir, daß der Hörspielskriptautor den Begriff "finsteres Loch" nicht einfach ersetzt hat, sondern eine Figur in einem Nebensatz erläutert, daß es sich dabei um das Gefängnis handelt. Sehr gelungen finde ich auch das ein wenig erweiterte Ende, bei dem Hans seiner Mutter alles berichtet und sich der Erzähler abschließend mit einer Frage an das Publikum wendet.
Die dritte und letzte Geschichte ist "Der Geist im Glas" (KHM 99). Im großen und ganzen folgt Gruppe hier der Märchenvorlage, doch es gibt ein paar geringfügige Unterschiede. So hat er beispielsweise den für uns heute geradezu lächerlich anmutenden Satz: "Als er ein paar Schulen durchgelernt hatte..." einfach komplett gestrichen. Im Gegenzug gibt es einige schmückende Adjektive, wie etwa "gewaltig" im Zusammenhang mit dem plötzlichen Reichtum.
Die Sprache wurde ebenfalls leicht überarbeitet, und so heißt es hier nicht "nach dem Leben gestrebt", sondern "nach dem Leben getrachtet".
Daß Marc Gruppe das vom Geist überreichte Läppchen nicht wie die Gebrüder Grimm "Pflaster" nennt, sondern "Zauberläppchen", passt wesentlich besser zu diesem magischen Gegenstand, der eben nicht nur heilen, sondern auch Stahl und Eisen in Silber verwandeln kann.
Neben den wundervoll erzählten Geschichten, sind es die Produktion und Regie von Stephan Bosenius und Marc Gruppe, welche die Märchen zu einem wahren Hörgenuss machen. Da wäre zunächst die musikalische Untermalung zu nennen. Bei allen drei Geschichten dominieren die Streichinstrumente wie Geige und Bass, die allerdings ganz unterschiedlich zum Einsatz kommen. "Die zertanzten Schuhe" werden mit einem Walzer eröffnet, um dann von einer dramatischen Weise abgelöst zu werden. Danach folgen ein Orchesterstück und eine düster anmutende Bläsermelodie. Besonders gut gefallen hat mir die Einbindung von Paul Dukas "Zauberlehrling", welches auch das einzige Stück ist, das ich erkannt habe. Die Musik bei "Hans im Glück" ist, passend zu der heiteren Geschichte, immer leicht und fröhlich gehalten, und "Der Geist im Glas" wird größtenteils mit unheilvoll anmutenden, beklemmenden Weisen untermalt.
Technisches Highlight war für mich aber einmal mehr die Geräuschkulisse. Im Märchen "Die zertanzten Schuhe" kann man der Tür zum Schlafsaal anhören, wie schwer sie ist, und im Kamin prasselt ein wärmendes Feuer. Im Wald zwitschern die Vögel, nachts zirpen die Grillen, und am frühen Morgen kräht der Hahn.
Am beeindruckendsten ist für mich aber die Szene mit der öffentlichen Hinrichtung, bei der das herabsausende Fallbeil und die davon begeisterte Menschenmenge zu Gehör kommen. Mindestens ebenso opulent ist auch "Hans im Glück" in Szene gesetzt worden. Fröhliches Vogelgezwitscher wird gefolgt von klappernden Hufen, sowie dem Schnauben und Wiehern eines Pferdes. Die muhende Kuh ist mit der erwartbaren Kuhglocke ausgestattet, die Gans schnattert aufgeregt, und der Schleifstein dreht sich ächzend und scharrend. Besonders gut gefallen hat mir das Geräusch des auf den Boden fallenden Goldklumpens und das anschließende Schaben über den Boden. Egal was das Titania-Team da für einen Gegenstand genommen hat: er klingt so schwer, wie man sich das bei Gold vorstellt.
"Der Geist im Glas" punktet vor allem mit dem Rascheln von Gräsern, einer leichten Brise im Wald und zirpenden Grillen. Akustisches Highlight ist aber der Besuch in der Stadt, die mit einer Vielzahl an sich unterhaltenden Menschen, diversen Tieren und anderen Tönen zum Leben erweckt wird.
Die Effekte, sofern ich sie nicht überhört habe, beschränken sich auf "Der Geist im Glas", dessen Stimme so verzerrt wurde, daß man glaubt, der Sprecher spräche wie aus einer Tröte.
Zu den Sprechern:
Wie gewohnt meistert Peter Weis(Erzähler) seinen Part in allen drei Geschichten souverän. Er wusste einfach, wie und wann man etwas betonen muss, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Wenn es dramatisch wird, spricht er lauter, wenn es eine eher ruhige Szene ist, senkt er dagegen seine Stimme.
Ihm gelingt das besondere Kunststück, den Hörer nachhaltig zu beeindrucken, ohne sich dabei selbst in den Vordergrund zu drängen.
Die zertanzten Schuhe:
Bodo Primus(König) ist einfach klasse als wütender, aufgeregter Monarch, der endlich wissen will, wo sich seine Töchter nachts herumtreiben. Ihm zur Seite steht Helmut Zierl(Minister) in der Rolle des hohen Beamten, der leicht affektiert dem König nach dem Mund redet, auch wenn er zunächst entsetzt über dessen Plan ist. Die Prinzessinen Ingeborg Kallweit(Älteste Tochter), Eva Michaelis(Mittlere Tochter), Regine Lamster(Zweitjüngste Tochter), Silke Horvath(weitere Tochter) und Dana Fischer(weitere Tochter) wirken verwundert, als sie ihr Vater aus dem Schlaf reißt, doch ihr amüsiertes Kichern lässt den Hörer schon ahnen, daß sie es faustdick hnter den Ohren haben. Die einzige Ausnahme bildet Reinhilt Schneider(Jüngste Tochter), die den erfolglosen Königssohn bedauert und Zweifel am eigenen Tun hat. Zurecht ahnt sie Schlimmes und ist überrascht, daß doch noch alles gut ausgeht. Jonas Minthe(Königssohn) spielt den müden, glücklosen Prinzen mit passender Tranigkeit, während Christian Stark(Soldat) dem aufgeweckten, freundlichen Armeeanghörigen seine Stimme leiht. Ursula Wüsthof(Alte) klingt mir fast ein wenig zu jung für ihren Part als neugierige, überaus freundliche Greisin.
Hans im Glück:
Leon Reichert(Hans) hat die passende Stimme für die freundliche, aber intellektuell leicht unterbelichtete Hauptfigur. Man glaubt ihm sofort, daß ihm der Aufstieg auf das Pferd nicht ganz geheuer ist, und man bekommt Mitleid mit ihm, wenn er unter dem Gewicht seiner diversen Lasten stöhnt und keucht.
Horst Naumann(Meister) hat nur einen kurzen aber prägnanten Auftritt als sein freundlicher, überaus großzügiger Lehrherr. Patrick Bach(Reiter), Manfred Liptow(Bauer) und Bernd Kreibich(Metzger) agieren gegenüber Hans zwar alle kameradschaftlich, amüsieren sich aber insgeheim über seine Einfältigkeit und freuen sich jeweils über das für sie gute Geschäft. Jonas Minthe(Bursche mit Gans) setzt sogar noch einen drauf, indem er Hans Angst macht und ihn so endgültig zu dem Geschäft überredet. In weiteren Rollen kommen noch Helmut Zierl(Scherenschleifer) als angeberischer Wanderschleifer und Gerlinde Dillge(Mutter) als Hans verblüffte, gar nicht so von seinem Glück überzeugte Mama zu Gehör.
Der Geist im Glas:
Seine leicht heiser wirkende, brummelige Stimme ist ideal für Horst Naumanns(Holzhacker) Figur, den schwer arbeitenden Holzfäller, der sich liebe- und sorgenvoll um seinen Sohn kümmert. Jean Paul Baeck(Sohn) spielt seinen Part als dankbarer, hilfsbereiter und aufgeweckter Filius, der hastig spricht, wenn er bedrängt wird. Sprecherisches Highlight ist für mich aber ganz klar Hans Bayer(Merkurius), dessen raue Stimme ausgezeichnet zu dem boshaften Flaschengeist passt. Sein diabolisch klingendes Lachen ist das Tüpfelchen auf dem i. Umso mehr ist man als Hörer erstaunt, wie sanft er sprechen kann, als er sich bei seinem Retter bedankt. Manfred Liptow(Goldschmied) hat zwar nur eine kleine, aber dafür feine Rolle als freundlicher Juwelier, der dem Sohn einen fairen Preis zahlt.
Fazit:
Ca. 65 Minuten voller Magie und Wunder, die Jung und Alt verzaubern.
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