Die Stadt der verlorenen Kinder (Frankreich / 1995)
Genre: Fantasy
Einleitung:
Nun auf Jean-Pierre Jeunet bin ich das erste Mal in Zusammenhang mit dem vierten Alien Film aufmerksam geworden. Diesen sehe ich zwar als bisher schlechtesten Vertreter der Reihe, doch konnte er hinsichtlich Action und Effekte durchaus überzeugen und angenehm kurzweilig unterhalten.
Als ich nun erfuhr, dass er einen Fantasyfilm mit Namen „Die Stadt der verlorenen Kinder“ gedreht hatte, der ebenfalls mit Ron Perlman in einer tragenden Rolle aufwartet war ich sogleich interessiert. Vorsichtshalber griff ich aber erst einmal zur Leih-DVD um nicht enttäuscht zu werden, da mir der Look auf einigen Filmbildern doch recht experimentell erschien.
Es war ungerechtfertigt, wie ich jetzt weiß, denn „Die Stadt der verlorenen Kinder“ ist ein absolut herrliches und fesselndes Fantasyspektakel mit einer wirklich beeindruckenden Optik, die dem Ganzen etwas sehr besonderes verleiht.
Covertext:
Auf einer ausrangierten Plattform im Meer haust Krank mit seinen geklonten Brüdern, Mademoiselle Bismuth und Irvin, dem Gehirn. Krank altert rasend schnell, weil er nicht träumen kann. Unterstützt von den Zyklopen entführt er die Kinder aus der Hafenstadt, um sich ihre Träume einzuverleiben. Doch als er das Baby Denrée entführt, machen sich der unglaublich starke One und die neunjährige Miette auf die Suche.
Kritik:
Ich muss sagen ich hatte leichte Mühe dem ganzen Geschehen richtig folgen zu können, denn der Erzählstil von Jeunet ist nicht wirklich geradlinig und seine filmischen Erklärungen sehr spärlich. Man muss schon genau aufpassen, um alles in Gänze aufnehmen zu können.
So erklärt der Regisseur gewisse Intensionen einiger Figuren nicht, sondern überlässt das der Interpretation des Zuschauers bzw. deren Beobachtungsgabe. Es ist zwar schwierig, doch ich halte es für Möglich die Beweggründe für Marcellos (Jean-Claude Dreyfus) Handeln in seinem Gesicht abzulesen. Und das trifft auch auf die anderen zu.
Jeunet hat die Darsteller zudem sehr sorgfältig ausgesucht, die seine Geschichte die er gemeinsam mit Gilles Adrien und Marc Caro geschrieben hat, glaubhaft dem Kinopublikum nahe bringen sollten. Nach der geeigneten Besetzung für One hielt er da sehr lange Ausschau. Letztendlich stieß er auf Ron Perlman, der eine gewisse Stränge und Härte wie auch Sanftmütigkeit ausstrahlt, die notwendig war um die Figur des One glaubhaft erscheinen zu lassen.
Den Part der vier Klone übernahm Dominique Pinon, welcher zudem noch die Rolle des Professors übernahm. Pinon konnte seine Vielseitigkeit hier voll ausspielen und verleiht fast jeder Rolle eine eigene Note. Ein wahrer Glücksgriff für den Regisseur.
Das trifft auch auf Daniel Emilfork zu, der mit dem Part des Krank einen der wichtigsten innehatte. Sein sehr bedächtig anmutendes, ausdrucksstarkes Spiel verleiht der Figur ein ungeheures Maß an Tiefe. Dem Ganzen zuträglich ist zudem sein markantes, hageres Erscheinungsbild.
Doch die Riege der begabten Mimen ist noch größer.
Da findet sich zum Beispiel Jean-Claude Dreyfus, der die Rolle des Marcello glaubhaft verkörpert. Viele Worte verliert der Mann ja nicht, der einen Floh zur gefährlichen Waffe umfunktionieren kann. Doch sagt sein Gesicht mehr als tausend Worte.
Und auch in Geneviève Brunet und Odile Mallet fand Jeunet zwei skurrile Gestalten. Beide Frauen schlüpfen nämlich in die Figur von la Pieuvre, Siamesischen Zwillingen die die unschuldigen Kinder für Diebstähle missbrauchen.
Zu guterletzt sei Judith Vittet erwähnt, die mit ihrer Rolle der Miette auch eine der wichtigsten Parts des Filmes spielt. Vittet wirkt für ihr alter recht erwachsen und rundet damit das Enseble aus begabten Darstellern ab.
Was „Die Stadt der verlorenen Kinder“ neben der Darstellerriege so einzigartig macht ist die Optische Aufmachung.
Der Film wurde ausschließlich in Sets gedreht und bietet dadurch einen ganz eigenen Look. Die Studiooptik stört dabei kein bisschen sondern verleiht dem Ganzen den Reiz des Besonderen. So taucht man nämlich vollends ab in eine beeindruckende Welt, die zwar düster, schmutzig, endzeitmäßig, bedrückend und melancholisch ist, aber dennoch eine gewisse Faszination ausübt.
Die Stadt ist schmutzig, die Wissenschaftsstation, wo Krank und die Klone hausen mutet hingegen sehr technisch an, wobei der Film in diesem Bereich ebenso absonderlich daherkommt, wie in all dem anderen. Mir fallen da Vergleiche mit gewissen Bereichen von Alex Proyas’ Dark City ein.
So wie Dark City ist auch „Die Stadt der verlorenen Kinder“ mit zahlreichen Effekten gespickt. Man griff zu althergebrachten Sachen, aber ebenso zu Computeranimationen, die sich jedoch weitgehend zurückhalten. Beeindruckend fand ich den grünen Nebel, der durch die Gassen zieht, sowie die visuelle Umsetzung der Klone. Dominque Pinon wurde hier so überzeugend mehrfach ins Bild kopiert dass seine Interaktion mit sich selbst durchaus glaubwürdig ist.
Und auch musikalisch besitzt der Film seinen Reiz. Dafür verantwortlich war Angelo Badalamenti, dessen Komposition an Spieldosenmelodien erinnert, die zuweilen sehr bedächtig und nachdenklich klingen. Damit trifft er aber den Nagel auf den Kopf und verleiht dem Geschehen noch zusätzlich Atmosphäre.
Fazit:
Ich bin absolut begeistert. Jean-Pierre Jeunet ist ein ungemein fesselnder und verzaubernder Fantasyfilm gelungen, der mit einer unbeschreiblichen Optik aufwartet, beeindruckende Effekte zu bieten hat und eine erstklassige Schauspielerriege besitzt. Die Geschichte ist trotz Einfachheit sehr vielschichtig und auch komplex. Dabei überlässt Jeunet einiges der Interpretation des Publikums was solchen Filmen noch zusätzlich Qualität verleiht, denn man muss nicht alles zeigen oder erklären.
Für mich beinah ein Meisterwerk und so gar nicht zu vergleichen mit der Alien 4 Verfilmung des Regisseurs. In dieser spielt neben Ron Perlman übrigens auch Dominique Pinon mit. Man sieht ihn da in der Rolle des im Rollstuhl sitzenden Vriess.
Meine Wertung:
