Yeh Film - hay Allah!
Es war schon irgendwie ein besonderer Moment letzten Samstag, als ich nach dem Besuch des Postboten das Päckchen aus Amerika mit "Zinda Laash" aka "The Living Corpse" (Pakistan 1967) in den Händen hielt. Meine Euphorie erhielt indes direkt nach dem ö–ffnen einen Dämpfer: Ich hatte mit einer liebevoll gestalteten Verpackung ö la Planet der Vampire gerechnet. Vor mir liegt jedoch eine DVD in einem ganz nomalen, immerhin roten Kunststoff-Case. Nach skeptischer Betrachtung des durchwachsenen Coverdesigns entdeckte ich auf der Rückseite erst einmal einen Druckfehler. ::) In dem Case liegt die nackte DVD ohne Booklet oder auch nur Kapitel-Liste. Im Player verhält sich die Scheibe jedoch unauffällig, das Menü ist ansprechend gestaltet, aber spärlicher, als die auf der Rückseite versprochenen Special Features vermuten ließen. Nun gut, schauen wir uns den Film mal an.
Er beginnt mit weißer arabischer Kalligraphie auf schwarzem Grund und einer tiefen Stimme, die in ernsthaft-feierlichen Ton erklärt, daß Leben und Tod in der Macht Allahs lägen und niemand Einfluß darauf nehmen könne. Ein Wissenschaftler jedoch habe versucht, sich über diese Grenze hinwegzusetzen ...
In der ersten Einstellung begegnet uns Prof. Tabani, der in einem Labor allerlei Flüssigkeiten miteinander reagieren läßt, bis er schließlich triumphierend ausruft: "Das Elexier des Lebens! Ich habe es gefunden!" (Irre ich mich, oder hört man das Schnurren der Kamera in der hintergrundmusiklosen Szene?) Nachdem er eine Nachricht notiert hat, trinkt er das Gebräu im Selbstversuch und bricht daraufhin schmerzgekrümmt zusammen. Seine Assistentin findet ihn wenig später tot auf und legt ihn, den Notizen gehorchend, in einen Sarg im Keller. Dort erwacht der Tote bald zu neuem Leben. Unter Grimassieren wachsen ihm lange Eckzähne, die er sofort an seiner erstklassig schreienden Assistentin erprobt.
Szenenwechsel nach den Credits: Ein Auto fährt unter schmetternden mexikanischen Weisen durch pakistanische Landschaft und hält bei Anbruch der Nacht nahe einem verfallen wirkenden Haus. Die Tür ist nicht verschlossen und so betritt der Reisende einen Raum, der mehr als nur verdächtig nach der Empfangshalle des Hammer-Dracula aussieht. Er schaut sich ein Weilchen um, bis er erschrocken Prof. Tabani oben an der Treppe stehen sieht, der nunmehr wie eine schlechte Kreuzung aus Christopher Lee und Bela Lugosi aussieht, und der ihn in seltsamer Freundlichkeit willkommen heißt ...
Die szenischen und erzähltechnischen Ähnlichkeiten mit dem Hammer-Dracula setzen sich in diesem Maße so im ganzen Film fort, daß ich darauf verzichte, den weiteren Plot des Films nachzuerzählen, der abgesehen von Namensänderungen, pakistanischem Lokalkolorit und einigen Einzelheiten weitgehend mit dem der Hammeradaption von Bram Stokers Roman übereinstimmt. (Wen’s dennoch interessiert, der möge das schöne Review auf der Sense-of-view-Seite lesen.)
Oberflächlich kann man Zinda Laash also als billiges und schlechtes Hammer-Dracula-Plagiat beurteilen, und sich fragen, ob die Pakistaner wirklich nichts eigenes in dieser Art hätten auf die Beine stellen können. Verstellt man sich jedoch durch ein auf diesem ersten Eindruck beruhendes Urteil nicht den Blick auf das Besondere, kann man durchaus große Sympathien für diesen Film entwickeln.
Im einzelnen:
Die Einstellungen sind z.T. mit kundigem Auge gewählt, der Kameramann hat es gut verstanden mit den für s/w-Filme so wesentlichen Licht-Schatten-Kontrasten zu spielen. Der Film hat also durchaus Atmosphäre. Die Schauspieler wirken teilweise etwas unbeholfen und scheinen eine auf Stummfilmansprüchen basierende Ausbildung genossen zu haben. Mimik und Gestik sind sehr ausgeprägt und scheinen bisweilen das Gespräch zu ersetzen. So wirkt der Film, als sei man eben erst dem Stummfilm entwachsen. (Schauspielerisch extrem gut gelungen finde ich übrigens die Szene, in der Shabnam [= Lucy] ihre kleine Nichte zu verführen sucht.)
Ganz deutlich zeigt sich das sehr von unserem abweichende pakistanische weibliche Schönheitsideal. Ich sag’s mal so: Wer Kleiderständern nicht viel abgewinnen kann, kommt hier voll auf seine Kosten (wenn natürlich auch nicht viel Haut zu sehen ist). Selbstverständlich gibt es auch hier, wie in jedem anständigen südasiatischen Film, Tanz und Gesang. Eine erste Tanzeinlage legt die zur Vampirin mutierte Assistentin hin, als sie Dr. Aqil (= Jonathan Harker) zu bezirzen sucht. Wirkt ziemlich lächerlich, da die dickliche Frau ein bodenlanges Gewand trägt, das sie geradezu kugelig wirken läßt, und die Hüftschwünge recht steif aussehen. So schaut Dr. Aqil denn auch mehr verwirrt als begierig aus der Wäsche.
Ähnlich laienhaft wirkt auch die Tanzeinlage im Gasthaus. Immerhin weiß der Sänger mit seinem Liedchen zu überzeugen. Wozu er allerdings die ganze Zeit ein Saxophon mit sich herumträgt und eine Jazzband um ihn herum sitzt, erschließt sich dem Zuschauer nicht.
Überhaupt die Gasthausszene - kann man kaum beschreiben, muß man sehen.
Die Herren der Schöpfung geraten ob dem Getanze der Dame erst völlig außer sich ...
... um schließlich offenbar völlig den Verstand zu verlieren.
Schon sehr nah am modernen südasiatischen Kino ist hingegen die Tanzszene am Meer, wo neben der landschaftlich schönen Location auch schon etwas wie Choreograpie sichtbar wird. Das Lied indes klingt sehr volkstümlich.
So Mädels, und jetzt nochmal schön synchron ...
Meine Erwartung, der Obervampir würde das Tanzbein schwingen, wurde leider enttäuscht ...
Die Wahl der übrigen Filmmusik ist sehr sonderbar. Bei Autofahrten und Verfolgungsjagden ertönen mexikanische Lieder, so u.a. La cucaracha, für schaurige und Kampfszenen hat man sich beim Hammer-Dracula bedient, wenn auch dankenswerterweise nicht aufdringlich häufig.
Die Tricktechnik des Films ist nicht erwähnenswert. Und trotzdem vergeht der Ober-Vampir zum Schluß, nachdem er - Allahu akbar - vom Sonnenlicht getroffen wurde, recht stilvoll, da man die spärlichen Mittel, deren Hauptanteil der Überblendung zukommt, recht geschickt angewendet hat. Dies ist überhaupt charakteristisch für den Film: Er wurde offensichtlich mit geringsten Mitteln, dafür aber mit viel Liebe gedreht.
Insgesamt ist der Film ein Must-have zumindest für Dracula-Komplettisten, aber auch für Trash-Fans und aufgeschlossene Freunde des südasiatischen Kinos. Ich fand ihn durchaus sehenswert und habe mich gut amüsiert. (Daß der Film auch andere Reaktionen hervorrufen kann, sieht man an dieser amazon-Rezension.) Wirklichen Grusel darf man aber nicht erwarten; teilweise haben die "Schockszenen" bei mir und Gezora herzliches Gelächter ausgelöst.
Einige Worte muß ich aber noch zur DVD schreiben: Zu Beginn des Film wird man darauf hingewiesen, daß das letzte existierende Negativ, von dem der Film gezogen wurde, in schlechtem Zustand war, man also mit Qualitätseinbußen zu rechnen habe. In der Tat schwankt die Helligkeit des Films sehr (streckenweise ist kaum etwas zu erkennen), zur Pause hin, also am Ende der ersten Rolle, wabert das Bild. Das alles ist nicht weiter schlimm, macht es doch deutlich, daß wir es mit einem Relikt zu tun haben, das vor dem sichereren Untergang gerettet worden ist. ABER - ich verstehe zwar nichts von der Digitalierung von Filmmaterial - das Bild ruckelt bei schnellen Schwenks, auf dem Rechner zeigen sich statt dessen die für schlechte DVDs typischen Querverwerfungen. Ob man das Bild digital aufbereitet hat und sich dabei der Qualitätsverlust nicht vermeiden ließ, oder ob es sich um achtlose Produktion handelt, entzieht sich meiner Kenntnis, aber sowohl ersteres als auch letzteres hätte sich bestimmt vermeiden lassen. (Fachleute vor - ich würde mich hier gerne korrigieren lassen!) Das ist sehr schade, da die Bild- und Tonrekonstruktion und -wiederauffindung in Pakistan, wie in den Special Features berichtet wird, ein wahres Abenteuer gewesen sein muß, und diese ganze Mühe sicher eine bessere digitale Qualität verdient gehabt hätte.*
Oben hatte ich ja bereits das dürftige Design der DVD-Hülle angesprochen. Aber es kommt, wie es ja so schön und richtig heißt, auf die inneren Werte an - und die sind beachtlich!
Die Special Features, die sich vollständig über den Stand-alone-DVD-Player anwählen lassen, umfassen Screenshots vom Film, Abbildungen der kolorierten Lobbycards und des Zensorenberichts (auf Englisch! Das öffnet einem, v.a. im Hinblick auf die steifen Tanzszenen, die Augen.). Des weiteren findet sich ein schriftlicher Bericht über die Wiederauffindung des Films und des Tonmaterials, sowie, von dort aus anspielbar, ein auf Vinyl erhaltenes Lied, dessen Tanzszene im Negativ irreparabel beschädigt war, so daß man darauf verzichten mußte. Das Ganze ist sehr liebevoll gestaltet, allerdings etwas verschachtelt, so daß man nicht alles auf Anhieb findet. (Immerhin passend zur hiesigen Ostertradition.) Zwei Sprachspuren sind auf der Scheibe, eine enthält den, logischerweise durchwachsenen, Originalton in der pakistanischen Sprache Urdu (natürlich mit optionalem englischem Untertitel), die andere einen englischen Audiokommentar in Form eines lockeren Gesprächs zwischen dem Herausgeber der DVD Pete Tombs und dem pakistanischen Filmkritiker Omar Khan, den Retter des Films. Hinhören lohnt sich: Man erfährt nicht nur Einzelheiten über die Produktionsbedingungen im Pakistan der 60er, sondern auch einiges über die Geschichte des pakistanischen Horrorfilms, das Verhalten der behördlichen Zensoren sowie über das Fehlen jeglicher Vampirmythologie im islamischen Raum und der deshalb nötigen Säkularisierung der Metamorphose in Form eines wissenschaftlichen Experiments.
Zudem enthält die Scheibe Interviews mit dem Regisseur, dem Produzenten und diversen Schauspielern u.a. zur Produktion und Zensur des Films, die wirklich sehr interessant und aufschlußreich sind.
Der Knüller zum Schluß, obwohl auf der Menüliste ganz oben: Eine Dokumentation über die Blütezeit der Hindi-Horrofilme in den 70ern und 80ern. Das muß man als Trashfilmfan gesehen haben! Ich habe eine halbe Stunde lang den Mund nicht mehr zugekriegt und giere jetzt nach diesen Filmen (Ich sag nur: Michael Jacksons Thriller war nicht das erste seiner Art!), die glücklicherweise mit Titelangaben zitiert werden. Wer also Zinda Laash schlecht schlecht findet, grundsätzlich aber Trash-Horrorfilmen nicht abgeneigt ist, wird sein Geld wenigstens in der Dokumentation gut angelegt finden, die einem eine ganz neue Dimension von Trash-Horror eröffnet.
Fazit: Sehenswerter Film mit hohem Trashfaktor und exotischem Ambiente, liebevoll gestaltete DVD mit großartigem Zusatzmaterial. Mankos: Die lieblos gestaltete DVD-Verpackung, die beim ersten Hinsehen die Frage aufkommt läßt, ob man sich nicht gar ein Bootleg eingehandelt hat, und die schlechte digitale Qualität des Films.
* Nachtrag: Siehe dazu die Beiträge vom 9.4. (el-brazo) und 11.4 (JL).