Rezension: Gruselkabinett - 139 - Der Rabe

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MonsterAsyl
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Rezension: Gruselkabinett - 139 - Der Rabe

Beitrag von MonsterAsyl »

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Zum Inhalt:
Als der junge Engländer Noel Baron die geheimnisvolle, atemberaubend schöne Lady Ligeia kennenlernt, ist er so hingerissen, daß er ihr bereits kurz nach dieser Begegnung einen Antrag macht.
Zu seiner Freude willigt Ligeia auch sofort in die Heirat ein, und die nächsten Jahre bedeuten für beide höchstes Glück. Um so erschütterter ist Noel, als seine geliebte Frau krank wird und vorzeitig stirbt. Gramgebeugt beschließt er, in seine Heimat England zurückzukehren, um dort den Rest seiner Tage mit der Trauer um Ligeia zu verbringen. Doch das Schicksal will es anders: Er begegnet der jungen Lady Rowena, der er rasch verfällt. Obwohl sein Geist durch den dauernden Opiumkonsum bereits stark getrübt ist, kommt es auch hier zur Hochzeit, aber Noel ist nicht mehr der Mann, der er einmal war...

Zur Produktion:
Wer das Werk von Edgar Allan Poe(19.01.1809-07.10.1849) kennt, wird sich schon bei der Ankündigung gefragt haben, wie man wohl aus einem Gedicht ein ganzes Hörspiel machen will. Die Antwort ist ganz einfach: indem man eine weitere Geschichte hinzunimmt und beides zusammenführt. Titania-Medien setzt damit einen Weg fort, den das Label bereits in der Vergangenheit bei seinen Poe-Adaptionen (in den Gruselkabinett-Folgen 11,46,111 und 127) eingeschlagen hat. Neben dem titelgebenden Raben-Gedicht, welches erstmals am 29.01.1845 veröffentlicht wurde, dient vor allem die am 18. September 1838 publizierte Kurzgeschichte "Ligeia" als Rahmenhandlung. Während vermutlich jeder schon einmal das Gedicht über den Raben "Nimmermehr" gehört hat, ist die Handlung von "Ligeia" eher unbekannt. Dabei wird und wurde gerade dieses Werk Poes von den Kritikern hoch gelobt. Auch George Bernard Shaw fand äußerst positive Worte und bezeichnete es folgendermaßen: "Nicht nur ein Wunder der Literatur: es ist unvergleichlich und unerreichbar!".
Dementsprechend gespannt war ich auf diese Adaption, und Skriptautor Marc Gruppe hat mich, während der gesamten Laufzeit von ca. 66 Minuten, nicht enttäuscht. Auf geradezu geniale Weise gelingt es ihm, den Raben in die Geschichte von Ligeia zu integrieren. Bereits der erste Ton, den man zu hören bekommt, ist das Krächzen und Flügelschlagen eines Raben. Im Laufe des Hörspiels wird dieser immer wieder auftauchen, doch dazu später mehr.
Gruppe beginnt, analog zu Poe, mit dem angeblich von Joseph Glanvill(1636-04.11.1680) stammenden Zitat, welches im Kern darauf abzielt, daß der Tod nur ein Zeichen von Willensschwäche ist.
Dieser Sinnspruch ist für den weiteren Verlauf sehr wichtig und weist auch bereits auf die Richtung hin, in die sich das Geschehen entwickeln wird. Wer die Geschichte schon einmal gelesen hat (im Internet im englischen Original zu finden unter https://en.wikisource.org/wiki/Ligeia), weiß, daß der Großteil der Handlung zunächst aus aneinandergereihten Beschreibungen über Ligeias Aussehen und Verhalten besteht. Für mich sind das die Worte eines zutiefst Liebenden, der verzweifelt versucht, seinen intensiven Gefühlen den richtigen Ausdruck zu verleihen, und genau so sieht es wohl auch Marc Gruppe, denn er unterlegt bzw. unterbricht diese regelmäßig mit angedeuteten, lustvollen Liebesszenen. Um so drastischer wirkt dann auch der plötzliche Stimmungswechsel, als Ligeia erkrankt und ihr Tod absehbar ist. Die vollkommen nachvollziehbare gegenseitige Verzweiflung, im Hinblick auf die Ausweglosigkeit der Situation, wird hier förmlich greifbar gemacht. Kurz vor ihrem Ableben schreibt die Sterbende noch ein Gedicht für ihren Ehemann, welches im Original der berühmte "Conqueror Worm" ist, der hier passenderweise von Gruppe mit "Der Rabe" ersetzt wurde.
Dies ist auch der Moment, ab dem der Vogel endgültig in die Handlung integriert wird. Bereits bei der Verlesung durch Noel wiederholt Ligeia mit immer krächzenderer Stimme das Wort "Nimmermehr", für mich ein akustisches Sinnbild für die geistige Symbiose, welche sie mit dem Tier eingeht. Herr Gruppe ist ja dafür bekannt, daß er möglichst werkgetreu arbeitet, und dieses Skript ist da keine Ausnahme. Zwar hat er einige meist sehr kurze Dialogszenen hinzugefügt, exemplarisch seien die ersten Gespräche zwischen Noel und Ligeia bzw. später Noel und Rowena oder die kirchliche Trauung genannt. Ansonsten gibt es kaum Veränderungen gegenüber dem Originaltext, und hier begrüße ich ausdrücklich sämtliche Ergänzungen. Zum einen, weil sie die Möglichkeit bieten, den Inhalt in eine Spielszene zu transportieren, statt den Protagonisten nur erzählen zu lassen, zum anderen, weil es so einfach natürlicher wirkt und dem Hörer das Gefühl vermittelt, "live" dabei zu sein. Auch die Idee, die bei Poe nicht näher beschriebenen Schritte gegen Ende des Hörspiels, mit den klackernden Krallen des Raben zu erklären, passte für mich absolut perfekt!
Bei aller Werktreue, gibt es aber doch zwei gravierende Unterschiede, die ich nicht unkommentiert lassen möchte. Im Gegensatz zu Poe, etabliert Gruppe sehr viel früher die Idee, daß Ligeia hinter der unheimlichen Erscheinung, die Rowena ängstigt, steckt. Das nimmt der Geschichte zwar einerseits ein wenig den Höhepunkt vorweg, bietet aber andererseits die Möglichkeit, das Grauen wesentlich kontinuierlicher aufzubauen und entsprechend zu steigern. Der andere große Unterschied liegt in der mehr oder weniger expliziten Darstellung von Sex, die darin gipfelt, daß Lady Ligeia, selbst auf dem Sterbebett, noch einmal mit ihrem Mann schlafen möchte. Um sexuelle Beziehungen geht es auch in der Ehe von Lady Rowena und Noel. Während es Poe, vermutlich nicht zuletzt aufgrund der damaligen gesellschaftlichen Gegebenheiten, bei der Andeutung beließ, Rowena meide ihren sie ständig ängstigenden Mann und liebe ihn wenig, was diesem aber Vergnügen bereite, wird Gruppe hier erheblich deutlicher. Er beschreibt Noel als das, was er in dem Moment auch ist: ein Sadist, dem der erzwungene Verkehr Spaß macht. Diese zusätzliche Szene versetzt Gruppe in die Lage, das noch immer tabuisierte Thema "Vergewaltigung in der Ehe" anzusprechen. Auch wenn die Spielszene dieses Verbrechen nur kurz andeutet, bleibt sie, durch das intensive Spiel der Akteure, noch lange im Bewusstsein. Das Finale wird so manchen Hörer vor die Frage stellen, ob es sich hier nun um ein "Happy" End handelt oder nicht. Schließlich sind die Liebenden ja (zumindest scheinbar) wieder vereint, doch um welchen Preis?
Neben der, in meine Augen, optimal adaptierten Geschichte, sind es Produktion und Regie von Stephan Bosenius und Marc Gruppe, welche das Hörspiel vollends zum Erlebnis machen. Eindrucksvoll beweisen die beiden, wie man, allein mit Hilfe der richtigen Musik, die entsprechenden Stimmungen und Gefühle beim Hörer erzeugen kann. Da gibt es bei der Manifestierung des Geistes brummende, bedrohliche Töne, die bis in den Bauch gehen, und während der Lesung des Gedichts werden sphärische, beinahe ätherische Synthesizerklänge, welche mich entfernt an Jean-Michel Jarre erinnern, eingespielt. Highlight ist für mich die atonale, pompöse Musik zum Ausklang, welche die Zwiespältigkeit in Bezug auf den Schluss noch einmal verstärkt. Ich schätze es sehr, daß Titania sich immer bemüht, neben dem Synthesizer, auch klassische Instrumente einzusetzen, denn Harfe oder Flöte passen einfach perfekt zu dem Geschehen. So sehr ich die Musik jedesmal mag, bin ich doch der Meinung, daß es hier die eine oder andere Szene gegeben hätte, die ohne mindestens genauso eindringlich geworden wäre.
Perfektioniert wird das Klangbild durch die vielen kleinen, aber feinen Geräusche. Allen voran natürlich der Rabe, dessen Gekrächze und Geflattere sich anhört, als säße er mit dem Hörer in einem Zimmer, während bei dem Spaziergang am Rhein, zu Beginn des Hörspiels, der eingespielte Wind und das heisere Schreien der Vögel für ein perfektes Herbstgefühl sorgen.
Die Effekte werden nicht inflationär, sondern nur da eingesetzt, wo sie das Geschehen auch adäquat unterstreichen. So hat man beispielsweise die Stimmen im Traum mit leichtem Hall hinterlegt, um sie ein wenig unwirklicher erscheinen zu lassen, und bei Noels verzweifelten Rufen nach Ligeia ist ein Echo zu bemerken, welches seine Trostlosigkeit nochmals unterstreicht.

Zu den Sprechern:
Die Leistung von Johannes Raspe(Noel Baron) als Hauptakteur und Erzähler kann ich gar nicht hoch genug loben. Obwohl alle Sprecher wirklich gut sind, ist er es, der hier in jeder Beziehung und vollkommen zurecht das Geschehen dominiert. Anfangs erscheint er einfach als netter, junger Mann, der sich vor Verlangen nach seiner geliebten Ligeia fast verzehrt, und er klingt dabei so überzeugend, daß man das Gefühl hat, sein Glück zu teilen. Gleiches gilt auch für seine anschließende Verzweiflung aufgrund des nahen Todes seiner Frau. Das in diesem Zusammenahng von ihm vorgetragene Gedicht "Der Rabe" habe ich in dieser Intensität so noch nicht gehört. Dann der ebenso überzeugend gespielte Wandel und sein brutales, ja geradezu sadistische Verhalten gegenüber der neuen Ehefrau, welches er mit einer dermaßenen Kälte in der Stimme vorträgt, daß er einem allein schon mit seinem Tonfall Schauer über den Rücken jagt! Eine wirklich überragende Gesamtleistung. Kristine Walther(Lady Ligeia) flüstert mit sanfter, aber leicht rau klingender Stimme ihre Liebesschwüre, und bei den "Liebesszenen" geht sie leidenschaftlich mit. Umso schmerzlicher ist es dann auch für den Hörer, Ligeias gesundheitlichen Verfall mitzuerleben, denn Frau Walther hustet und keucht so heftig, daß man wirklich meinen könnte, es ginge mit ihr zu Ende. Highlight ist für mich aber die bereits erwähnte verbale "Verschmelzung" mit dem Raben.
Wer könnte einen besseren stimmlichen Kontrast zu dieser eher etwas dunklen, offen mit ihrer Sexualität umgehenden Figur bieten, als die helle, unschuldig wirkende Stimme von Reinhilt Schneider(Lady Rowena)? Das dachte sich wohl auch Titania, und ihre Besetzung ist für mich noch das Tüpfelchen auf dem "i". Ich habe mich köstlich dabei amüsiert, ihre Äußerungen angesichts Noels Beschreibung des extrem "bizarr" eingerichteten Schlafzimmers zu verfolgen. Zunächst ist sie noch neugierig, dann irritiert und schließlich vollkommen verunsichert in Bezug auf das, was sie wohl erwarten wird. Max Schautzer(Pfarrer) passt mit seiner tiefen Stimme perfekt auf die Rolle des gütigen Geistlichen, dem Noels und Ligeias Austausch von Zärtlichkeiten in der Kirche etwas zu weit geht, und auch Lutz Reichert(Arzt) ist eine gute Besetzung für den mitfühlenden Doktor. Detlef Bierstedt(Vermieter) intoniert den Part des anteilnehmenden Hausbesitzers, der sich zwar über die Zukunftspläne seines ehemaligen Mieters wundert, ihm dennoch alles Gute wünscht, und Joachim Tennstedt(Joseph Glanvill) spricht das bereits angeführte Zitat von Joseph Glanvill.

Fazit:
Ausgezeichnete Hörspieladaption der Edgar Allan Poe-Klassiker "Der Rabe" und "Ligeia".

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