Rezension: Grimms Märchen - 1 - Der Froschkönig / Frau Holle / Schneeweißchen und Rosenrot
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Rezension: Grimms Märchen - 1 - Der Froschkönig / Frau Holle / Schneeweißchen und Rosenrot
Grimms Märchen - 1 - Der Froschkönig / Frau Holle / Schneeweißchen und Rosenrot
Zum Inhalt:
Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich:
Einer Prinzessin fällt beim Spielen ihre goldene Kugel in den Brunnen. Ein Frosch bietet ihr an, diese wieder nach oben zu holen, aber sein Dienst hat einen Preis...
Frau Holle:
Als Marie ihre Spindel waschen will, entgleitet ihr diese. In ihrer Verzweiflung springt das Mädchen hinterher und gelangt so in das Reich der Frau Holle...
Schneeweißchen und Rosenrot:
Die Schwestern Schneeweißchen und Rosenrot sind immer hilfsbereit, egal ob es sich um einen großen Bär oder einen garstigen Zwerg handelt. Doch wird ihre Freundlichkeit auch belohnt werden?
Zur Produktion:
Das Label Titania Medien hat ja schon lange eine Affinität zu Märchen, wie ihre Reihe "Titania Special" beweist, in der bereits etliche dieser Geschichten vertont worden sind. Umso überraschter war ich, als man ankündigte, zukünftig eine neue Märchenreihe nach den Erzählungen der Gebrüder Grimm starten zu wollen. Die hier vorliegende Folge erschien bereits am 26.02.2021, allerdings nur als Download bzw. zum Streamen. Es kann Titania Medien und Deutschlands größtem Hörspielhändler POP.de gar nicht hoch genug angerechnet werden, daß es diese und auch die zweite Folge nun auch auf CD gibt.
Vielleicht winkt der eine oder andere Leser jetzt ab und ist der Meinung, daß doch schon genügend Veröffentlichungen der populärsten deutschen Märchen existieren, allen voran die Adaptionen aus dem Hause Europa, die wohl den meisten aus ihrer Kindheit bekannt sein dürften. Dennoch, oder gerade deswegen, möchte ich aber allen die Titania-Reihe "Grimms Märchen" unbedingt empfehlen. Bedauerlicherweise kam in den 1970er Jahren die These auf, Märchen seien nichts für Kinder, ja sie seien sogar eher schädlich. Inzwischen weiß man jedoch, daß genau das Gegenteil der Fall ist. Zum einen, weil gerade kleine Kinder die angeprangerten "Brutalitäten" auf Grund von mangelnder Lebenserfahrung viel abstrakter und somit ganz anders wahrnehmen als Erwachsene und zum anderen, weil man erkannt hat, daß Märchen schlichtweg zum kulturellen Hintergrund eines jeden von uns gehören sollten, um entsprechende Anspielungen bzw. Verweise aus Kunst und Kultur richtig einordnen zu können. Schon als die ersten Vertonungen dieser von den Gebrüder Grimm ab 1806 gesammelten Überlieferungen veröffentlicht wurden, gab es Stimmen, die das Vorlesen seitens der Eltern oder Großeltern propagierten. Dem stimme ich zwar grundsätzlich zu, erinnere mich aber gleichzeitig an meine eigene Kindheit und wie sehr ich es genossen habe, mir diese wundervollen Geschichten jederzeit anhören zu können. Infolgedessen fällt es mir ein wenig schwer, nicht automatisch einen Vergleich zwischen den unterschiedlichen Versionen anzustellen, aber das würde den Rahmen der Rezension definitiv sprengen. Deshalb belasse ich es bei der Aussage, daß die hier vorliegenden Hörspiele mindestens gleich gut und in einigen Bereichen sogar besser sind, als etliche ihrer Vorgänger. Warum das so ist, wird hoffentlich aus der Lektüre des weiteren Textes ersichtlich sein. Inhaltlich kommt es immer darauf an, wie sehr man sich am ursprünglichen Text der Gebrüder Grimm orientiert, und es freut mich, schreiben zu können, daß Skriptautor Marc Gruppe der literarischen Vorlage treu geblieben ist. Selbstverständlich hat man den Sprachduktus ein wenig überarbeitet, vermutlich um den kleinen und großen Zuhöreren einen besseren Zugang zur Handlung zu ermöglichen. So wurde beispielsweise aus "Thor aufgethan!" (Schreibweise der Urversion) das heutzutage eher übliche "Tu Dich auf Tor!", aus "kurzweil treiben" einfach "spielen" und der "Guckguck" heißt jetzt "Kuckuck". Doch Marc Gruppe hat nicht alle Begrifflichkeiten modernisiert. So bleibt beispielsweise das altertümliche "täppisch", ein anderes Wort für "ungeschickt", sowie "Gebratenes und Gesottenes" auch in der Hörspieladaption erhalten. Obwohl es den Skriptautor bestimmt gereizt hat, Dinge hinzuzufügen, verzichtet er jedoch weitgehend darauf und behält unter anderem Heinrichs Reime bei. Kenner der Märchen, die übrigens alle in der Originalfassung im Internet zu finden sind, werden nur leichte Nuancen feststellen können. So wird beispielsweise bei "Schneeweißchen und Rosenrot" aus dem bei den Grimms nicht näher definierten Buch, aus welchem die Mutter ihren Töchtern vorliest, passenderweise ein Märchenbuch. Aus "allen Farben" wird das sehr viel plastischere "alle Farben des Regenbogens", und bei dem im Original nicht näher definierte Bruder des Bären, stellt sich heraus, daß er der zuvor schon aufgetretene Adler ist. Ebenfalls neu ist die Figur der Hofdame bei dem Märchen "Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich". Diese Dame erinnert unwillkürlich an das bekannte "Fräulein Rottenmeier" aus den "Heidi"-Erzählungen, und Gruppe nutzt sie geschickt, um ein wenig Humor in die Geschichte zu bringen. Was ich damit genau meine, soll aber jede/r Hörer/in selbst herausfinden. Zwar verzichtet der Skriptautor nicht auf einen Erzähler (der gehört für mich auch unbedingt zu einem Märchen), aber etliche Textpassagen sind zu Dialogen umgeschrieben worden, um den Ablauf hörgefälliger zu gestalten. Die erste Folge hat eine Gesamtlaufzeit von ca. 73 Minuten, doch nicht jedes Märchen ist gleich lang. Zur besseren Orientierung bzw. um den Einstieg in die einzelnen Märchen zu erleichtern, nachfolgend das Tracklisting, bei dem ich zuerst die Tracks der CD und dann die des Downloads bzw. Streams aufführe: "Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich": (Track 1-6/1-14), "Frau Holle": (Track 15-27/7-12) und "Schneeweißchen und Rosenrot": (Track 13-22/28-48). Wie unschwer zu erkennen ist, hat die digitale Version mehr als doppelt soviele Einzeltracks, was neben dem wunderschön gezeichneten Cover von Ertugrul Edirne ein weiterer Grund ist, warum ich die CD-Ausgabe empfehle.
Damit komme ich auch zur eigentlichen Produktion und der Regie, für die (wie immer) die beiden Köpfe hinter dem Label Titania Medien, Stephan Bosenius und Marc Gruppe, gemeinsam verantwortlich sind. Was die Auswahl der Sprecher angeht, so ist dies der Punkt, an dem die Hörspiele für mich den "alten" Produktionen ebenbürtig sind. Allen voran ist natürlich die liebenswerte Stimme von Reinhilt Schneider zu nennen, die schon bei den Europaversionen aktiv war und erstaunlicherweise immer noch perfekt auf die ihr zugedachten Rollen passt! Als Erzähler fungiert Peter Weiß, der zwar kein Hans Paetsch ist, dessen Stimme aber den gleichen Wiedererkennungswert besitzt. Weiter unten werde ich aber noch ausführlich auf die einzelnen Sprecher eingehen.
In den Bereichen Musik und Geräusche sind die Vertonungen von Titania Medien ihren Vorgängern in jeder Beziehung überlegen.
Wer die alten Adaptionen noch kennt, der weiß, daß es damals so gut wie gar keine Geräuschkulisse gab. Das ist hier erfrischend anders. Jedes Märchen ist mit einer Vielzahl an unterschiedlichen Tönen versehen worden. Auch wenn sich einige Geräusche, wie das Zwitschern der Vögel, ab und zu wiederholen, so hat doch jedes Hörspiel eine eigene, passende akustische Untermalung. Beim "Froschkönig" bekommt man beispielsweise außerdem noch dessen nasse Füße auf dem Steinboden und sein wohliges Schmatzen bei Tisch zu hören, und als die Hofdame in Ohnmacht fällt, reißt sie hörbar das Geschirr vom Tisch. Selbst das Aufklatschen des Frosches an der Wand ist hier nicht vergessen worden, ebenso wie Heinrichs Kutsche mit ihren ungeduldig wiehernden Pferden. Am meisten beeindruckt hat mich jedoch das realistsche Geräusch der aufbrechenden Metallbänder, die sich um Heinrichs kummervolles Herz gelegt hatten.
Bei "Frau Holle" raschelt das Gras, wenn Marie über die Wiese geht, und es fehlen weder die quietschende Ofentür noch das Geplumps der herabfallenden Äpfel. Besonders gut gefallen hat mir das große Tor zu Frau Holles Reich, welches mit rasselnden Ketten geöffnet wird. Allein dieser Ton vermittelt schon dessen ungeheure Größe.
Ebenso beeindruckend sind auch die Geräusche bei "Schneeweißchen und Rosenrot". Die hölzerne Hüttentür quietscht entsprechend, das Geschirr klappert beim Spülen, und der eisige Wind ist derart gut in Szene gesetzt, daß es einen auch bei sommerlichen Temperaturen frösteln lässt. Übrigens klingt das Rufen des Adlers ebenso natürlich, wie der tödliche Tatzenschlag des Bären. Auch in Bezug auf die musikalische Untermalung heben sich diese Hörspiele deutlich von den Mitbewerbern ab. Jedes Märchen wird von wundervollen Stücken begleitet. Alle sind mit zum Ambiente der Geschichten passend mit Geige, Harfe oder Blasinstrumenten eingespielt worden und erinnern im besten Sinne an klassische Musik. Mehrfach hatte ich das Gefühl, einen Walzer zu hören. Die Melodien passen immer zum Geschehen und alternieren zwischen ruhigen und dramatischen Weisen, je nachdem, an welchem Punkt sich die Handlung gerade befindet. Einen besonderen Akzent setzt dabei die Fanfare, welche zu hören ist, als Heinrich mit seiner Kutsche vorfährt.
Was die Effekte angeht, klingt der Frosch hinter der Tür ein wenig dumpf, die Stimme der "Sonne" hat einen leichten Hall bekommen, um deren Größe herauszustellen, während die Gespräche von Schneeweißchen und Rosenrot innerhalb der Hütte "trocken" klingen, um die Enge der Behausung angemessen darzustellen.
Zu den Sprechern:
Da jede Geschichte andere Sprecher hat, gehe ich nur auf den Erzähler im allgemeinen ein, da er bei allen Hörspielen diesen Part inne hat, wohingegen die restlichen Sprecher dann unter dem jeweiligen Titel berücksichtigt werden. Wie schon erwähnt, ist Peter Weis(Erzähler) eine perfekte Besetzung für den "Märchenonkel". Seine knarrige Stimme, die punktgenaue Betonung und seine Art, den Text mit Emotionen zu füllen, rücken ihn als Sprecher ganz nah an das Publikum heran. Ich wage die Prognose, daß er eines Tages ein genauso feststehender Begriff sein wird, wie damals Hans Paetsch.
Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich:
Cécile Kott(Sonne) ist großartig als von der Prinzessin begeisterter und auch amüsierter Himmelskörper, aber sprecherisches Highlight ist für mich hier ganz klar Reinhilt Schneider(Prinzessin) als zunächst fröhliche, ausgelassene Königstochter, die versucht, den ihr lästigen Frosch zu betrügen. Ihr Ekel vor der Amphibie klingt absolut überzeugend, und wenn sie sich so richtig in diesen hineinsteigert, erst unfreundlich, dann wütend und schließlich sogar brutal reagiert, bekommt man sofort Mitleid mit dem armen Frosch. Selbiger wird übrigens kongenial von Jean Paul Baeck(Froschkönig) portraitiert. Seine Darbietung scheint sich an Europas Vorbild zu orientieren, denn genau wie dort "quakt" auch der Frosch seinen Text mehr, als daß er ihn spricht. Während er zunächst durch sein insitierendes Verhalten nicht besonders sympathisch rüberkommt, ändert sich das schlagartig, sobald er seine menschliche Gestalt und damit auch seine "normale" Sprache zurückerlangt. Die leicht heisere Stimme von Horst Naumann(König) passt hervorragend zu seiner Rolle als strenger, aber gerechter Herrscher. Gleiches gilt für Helmut Zierl(Der treue Heinrich) als in die Jahre gekommener Kutscher des Prinzen. Besonders hervorheben möchte ich unbedingt noch den Part von Regina Lemnitz(Hofdame) als aufgeregte, besorgte Dienerin der Prinzessin. Sie ist einfach unbeschreiblich gut als schockierte, angewiderte Ehrendame, deren Lieblinswort "impossible" ist.
Frau Holle:
Ursula Sieg(Stiefmutter) ist hier der Inbegriff der bösen Stiefmutter. Die Art und Weise, wie sie Marie erniedrigt, und ihr geradezu brutales Verhalten, gepaart mit der absichtlich hässlich verstellten Stimme, bringen wohl so gut wie jeden Hörer in Rage. Interessanterweise hat sich Titania Medien entschlossen, hier die "gute" Figur Marie nicht von Reinhilt Schneider, sondern von Fabienne Hesse(Marie) sprechen zu lassen. Hesses sanfte Stimme und ihre ausdrucksstarke Darstellung des liebenswerten, verzweifelten Mädchens, lassen dieses umso bedauernswerter erscheinen. Sprecherisches Highlight ist aber auch hier für mich Reinhilt Schneider in der Rolle des Mariechen(Reinhilt Schneider), aber aus einem ganz anderen Grund. Schneider ist sozusagen "gegen den Strich" besetzt und verkörpert die gehässige, schadenfohe, überhebliche Stiefschwester. So bösartig hat man Frau Schneider selten gehört, und allein ihre Darbietung ist es schon wert, das Hörspiel zu erwerben. Thomas Balou Martin(Brot) jammert, wie man eben jammern würde, wenn einem zu heiß ist, wird aber von Christian Stark(Äpfel) als Fallobst noch übertroffen. Es ist einfach toll, wie er sich sogar noch steigert, indem er wohlige Laute von sich gibt, als Marie das Bäumchen schüttelt. Gleiches gilt für Dirk Petrick(Hahn), der seinen Text, passend zur Darstellung des Federviehs, mehr kräht als spricht. Unbedingt erwähnen möchte aber ich auch noch den Part der inzwischen leider verstorbenen "Grande Dame" des Hörspiels, Dagmar von Kurmin(Frau Holle), in der Titelrolle. Ihr Auftritt als freundliche ältere Frau, die der Eifer von Marie freut, während das Verhalten ihrer Stiefschwster Mariechen sie erst irritiert, dann enttäuscht und schließlich verärgert, macht einmal mehr den herben Verlust dieser tollen Sprecherin deutlich.
Schneeweißchen und Rosenrot:
Auch in dieser Geschichte ist die einzigartige Reinhilt Schneider(Schneeweißchen) vertreten, hier ganz so, wie wir sie kennen und lieben, als reizende, hilfsbereite junge Frau, die sich trotz ihrer anfänglichen Furcht Sorgen um den großen, gutmütigen Bär macht. Auf Augenhöhe und mit den gleichen Attributen versehen, agiert Julia DeLuise(Rosenrot) als ihre Schwester. Ihr glockenhelles Lachen, gepaart mit ihrem ungezwungenen Spiel, nehmen den Hörer ganz automatisch für sie ein. Genau wie Frau Schneider, ist auch Ursula Sieg(Mutter) wieder mit von der Partie, allerdings in einer genau entgegengesetzten Rolle als im vorangegangenen Hörspiel. Diesmal ist sie ganz die weichherzige, stets ein wenig besorgte Mutter, welche für jeden ein liebes Wort hat.
Zum Ausgleich seiner doch recht kleinen Rolle als Brot, darf Thomas Balou Martin(Bär) hier sein ganzes Können beweisen. Er brummt und grummelt gemütlich vor sich hin, und ich kann mir ad hoc niemanden vorstellen, der das Tier hätte passender sprechen können. Genau wie Jean Paul Baeck als Froschkönig, klingt er erst wieder "normal", als er sich in einen Menschen zurückverwandelt hat.
Am besten gefallen hat mir jedoch Gudo Hoegel(Zwerg) als wütender, undankbarer, vor sich hin krächzender Gnom, der es sich nicht nehmen lässt, seine beiden Retterinnen ständig zu beleidigen und der im Angesicht des Todes sogar bereit ist, diese sofort zu opfern. Fieser hätte man den Part nicht gestalten können.
Fazit:
Unbedingte Kaufempfehlung für alle Märchenfreunde und solche, die es noch werden wollen.
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Re: Rezension: Grimms Märchen - 1 - Der Froschkönig / Frau Holle / Schneeweißchen und Rosenrot
MonsterAsyl hat geschrieben: ↑Mo 24.05.2021, 16:37Es ist einfach toll, wie er sich sogar noch steigert, indem er wohlige Laute von sich gibt, als Marie das Bäumchen schüttelt.