Rezension: Sherlock Holmes - 64 - Der verschwundene Grafensohn
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Rezension: Sherlock Holmes - 64 - Der verschwundene Grafensohn
Sherlock Holmes - 64 - Der verschwundene Grafensohn
Zum Inhalt:
Der Meisterdetektiv hat schlechte Laune, denn es ist aktuell kein neuer Fall in Sicht. Doch da erscheint Mrs. Hudson und überbringt ein Telegramm. Es ist von Graf Friedrich von Schönburg, einem alten Bekannten des Ermittlerduos aus Wien. Sein kleiner Sohn ist verschwunden und der verzweifelte Vater bittet nun Sherlock Holmes nach Wien zu kommen, um das Kind wieder zu finden. Da Dr. Watson immer noch um seine verstorbene Frau Mary trauert, ist dies für ihn eine gute Gelegenheit sich abzulenken und der Meisterdetektiv hat endlich einen neuen Fall...
Zur Produktion:
Die vorliegende Folge ist nach "Sherlock Holmes - 41 - Mayerling" und "Sherlock Holmes - 50 - Ludwig II. - Der Tod im Würmsee" bereits der dritte Fall, der den berühmtesten Detektiv der Welt nach Österreich, genauer gesagt nach Wien führt.
Auf beide Fälle wird in der Eröffnungsszene auch kurz eingegangen, allerdings ist es nicht so, das man als Hörer dieses kennen müsste, um der Handlung folgen zu können. Wie schon die vorherige Folge basiert auch dieses Hörspielskript auf einem Romanheft aus der Feder von Amy Onn, einem Pseudonym, welches als Anagramm für "Anonym" zu lesen ist. Ursprünglich erschien die literarische Vorlage am 17.09.1907, als Band 35, in der Reihe "Aus den Geheimakten des Welt-Detektivs" und hatte den Titel "Der Raub des Grafenkindes". Da mir dieses mal die Vorlage nicht zur Verfügnung steht, kann ich auch keinen Vergleich zwischen Hörspielskript und Romanheft vornehmen. Aus diesem Grund beschäftige ich mich nur mit dem Hörspielskript von Marc Gruppe. Da die Laufzeit des Hörspiels fast 86 Minuten beträgt, was mehr ist als man für die Vertonung eines Romanheftes eigentlihc braucht, kann man davon ausgehen, daß Gruppe hier einiges geändert, bzw. neu hinzugefügt hat. Vor allem die ca. 10 minütige Eröffnungsszene, in der Holmes sich mit Dr. Watson und Mrs Hudson kabbelt, entspricht ganz Gruppes Stil und ist dementsprechend vermutlich neu hinzugekommen. In dieser Sequenz des Hörspiels gibt es auch die Hinweise auf die beiden zuvor genannten Fälle, bei der die Protagonisten in schönen Erinnerungen schwelgen. Naja, vor allem Mrs. Hudson schwelgt darin, denn ihr Verweis auf ihre Cousine Margery Mapleton ruft bei dem Ermittlerduo alles andere als Begeisterung hervor. Sobald Holmes und Watson in Wien angekommen sind, geht es jedoch mit den Ermittlungen los. Um die Spannung zu erhalten, gehe ich auf den Rest der Handlung nur sehr begrenzt ein. Was mir ein wenig gefehlt hat, war die eigentlich Ermittlungsarbeit und die daraus folgernden Deduktionen des Meisterdetektivs, die für mich den Reiz dieser Geschichten ausmachen. Da gibt es beispielsweise eine Szene, in der eine Strickleiter eine wichtige Rolle spielt. Ich hätte mir gewünscht, daß Holmes deren Verwendung an Hand von Spuren am Mauerwerk (Faserabrieb, Schäden am Mauerwerk etc.) erkennt und darlegt. Stattdessen weiß er einfach, das eine solche Leiter benutzt wurde. Auch Kommissar "Zufall" hat hier einen Auftritt, Stichwort "Zugfahrt". Wenn man als Hörer allerdings eher die modernen Interpretationen des weltbekannten Detektivs mag, kommt man hier voll auf seine Kosten, denn sobald die beiden Ermittler in Österreich sind, geht es mehr oder weniger Schlag auf Schlag und die Handlung wird kontinuierlich vorangetrieben. Gut gefallen hat mir die Einbindung der Sage um die Entführung der Europa. Ob diese allerdings von Gruppe oder Amy Onn stammt, kann ich leider nicht beurteilen. Ebenfalls positiv beeindruckt bin ich von der Menge an Sprechern, die hier auftreten. Deren, im Vergleich zu vorangegangenen Fällen, hohe Zahl bildet einen großen Pool an Verdächtigen, was das Erraten des Täters erheblich erschwert. Entsprechend überrascht war ich dann auch von der Auflösung.
Markenzeichen der Titania Hörspiele ist unter anderem die fundierte und geradezu liebevolle Produktion und Regie durch Stephan Bosenius und Marc Gruppe. Die hier zu Ohren kommenden Geräusche sind alle erstklassig. Zu Beginn wird in der Bakerstreet Tee getrunken, komplett mit dem Geklapper des Löffels beim Umrühren und dem abstellen der Tasse, nachdem man getrunkenn hat. Zwischendurch wird mit der Zeituzng geraschelt, Stühle knarren beim Aufstehen und Hinsetzen und selbstverständlich prasselt im Kamin en wärmendes Feuer, während es draussen regnet und donnert. Besonders beeindruckend finde ich das Öffnen des Telegramms, bei dem man unzweifelhaft hören kann, das tatsächlich ein Briefumschlag aufgerissen wird. Ähnlich opulent sind auch alle nachfolgenden Szenen mit Geräuschen ausgestattet. Im Garten bzw. Park des Grafen zwitschern diverse Vogelarten, die Blätter und Gräser rascheln unter den Füßen und Nachts sind ganz andere Vögel aktiv. Akustisches Highlight ist für mich eine Szene am See. Dort brechen sich kleine Wellen leicht am Ufer, man hört das Eintauchen der Ruder ins Wasser und selbst an das leise Quietschen der Ruder in den Verankerungen wurde gedacht. Ebenso gelungen ist die Zugfahrt, bei der man das Rattern der Waggons, das Aufschieben einer Abteiltür und die obligatorische Zugpfeife zu Gehör bekommt, oder die durch die Straßen rumpelnden Viaker mit dem dazugehörigen Hufgetrappel. Auch die Szenen, in denen im Hintergrund viele Menschen zu hören sind, wie in der Hotellobby und vor dem Hotel klingen vollkommen natürlich. Übrigens ist eins der letzten Töne die man hört, Holmes Anzünden seiner Pfeife mit Hilfe eines Streichholzes. Ein feiner Zug, der für mich den Respekt vor der Figur unterstreicht. Ebenso sorgfältig sind Bosenius und Gruppe auch bei der musikalischen Untermalung vorgegangen. Abgesehen von der, mit Klavier und Geige eingespielten, Titelmelodie sind auch die übrigen Stücke hauptsächlich mit klassischen Instrumenten intoniert worden. Mit der ersten Zwischenmelodie, einem Walzer, versetzen die Macher den Hörer umgehend in "Wiener Stimmung", anschliessend folgen eine leicht tragende Geigen- und Klaviermelodie, eine harmonische Klavier- und Harfenweise die von düsteren Synthesizersounds gefolgt wird. Danach gibt es ein leichtes, mit einem Choral versetztem Klavierstück auf das eine zarte Geigenweise ertönt. Damit komme ich auch zu dem einzigen Kritikpunkt an der musikalischen Untermalung. Als sich das Detektivduo im Haus von Maria Josepha aufhält, hört man eine überaus dramatische Melodie, die einfach nicht zur Handlung passt. Und zwar in einem Ausmass, das zumindest ich vollkommen aus der Handlung gerissen wurde. Das sich daran anschliessende Orchesterstück versöhnt dann wieder, genau wie die düstere Tonfolge, die während Holmes Erzählung erklingt. Da es gegen Ende des Hörspiels geht, nehmen auch die Musiken an Tempo zu. Erst gibt es eine sich steigernde Geigenmelodie, dann eine treibende Synthsizerweise und schliesslich ein überaus aufregendes Geigenstück. Für ein besonderes Lokalkolorit sorgt dann noch eine Drehorgelmelodie, die für eine Zirkus typisch ist. Zum Ausklang wird der Hörer dann mit einem lieblich anmutenden Klavierstück verabschiedet. Akustische Effekte gibt es selbstverständlich auch. Im Salon des Grafen sind die Stimmen mit leichtem Hall unterlegt, um dessen Größe darzustellen und bei dem Gespräch zwischen Maria Josepha und ihrem Sohn hat man die Stimmen mit einem Filter dumpf klingen lassen, um zu verdeutlichen, das sich beide hinter einer geschlossenen Tür befinden. Am interessantesten finde ich aber die, an einen "Herzschlag" erinnernde Tonfolge , welchen man bei der Fahrt mit dem Viaker und während des Gesprächs mit dem Baron zu hören bekommt.
Zu den Sprechern:
Zu Beginn des Hörspiels spielt Joachim Tennstedt(Sherlock Holmes) den Meisterdetektiv als genervt, enttäuscht und vor allem gelangeweilt, doch sobald er den neuen Fall hat, ist er wieder ganz der Alte. Wie gewohnt ist er amüsiert darüber, das seine Umwelt die "offensichtlichen" Hinweise nicht auch sofort sieht bzw. die richtigen Schlüsse daraus zieht. Das Tennstedt hörbar Spaß an seiner Rolle hat, beweist er ganz unauffällig zum Schluß des Hörspiels, als er sich nach getaner Arbeit, ganz wie bei Doyle, erstmal eine Pfeife anzündet. Detlef Bierstedt(Dr. Watson) agiert wie gewohnt als Erzähler und natürlich bester Freund des Meisterdetektivs. Genau wie Tennstedt gibt auch er dem Höhrer das Gefühl, das ihm seine Rolle große Freude bereitet. Das überträgt sich auch auf den Hörer und wenn er erschrickt, empört, oder verwundert ist, sind wir es als Hörer auch. Besonders amüsant finde ich sein Auftreten bei Maria Josepha, wo er den Snob rauskehrt, obwohl ihm das eigentlich gar nicht liegt. Auch Regina Lemnitz(Mrs. Hudson) bleibt ihrer Rolle als ältere und immer neugierige Hausdame, die gegenüber ihrem Mieter durchaus auch mal kiebig gegenüber tritt, treu. Bodo Primus(Friedrich von Schönburg) ist einfach großartig als gebeutelter Vater, der mit rauer Stimme seine Dankbarkeit für die Hilfe Holmes ausspricht. Seine Verzweiflung, das Entsetzen über das Verschwinden seines Sohnes kulminieren in eine Art Dauerangespanntheit, die sich erst legt, als der Fall aufgeklärt ist. Ebenso überzeugend agiert auch Sigrid Burkholder(Fabienne) als junges Kindermädchen, welches sich große Vorwürfe macht und am Boden zerstört ist. Weit weniger sympathisch erscheint Willi Röbke(Georg Bremer), der den brummeligen Aufseher mit heisere Stimme spricht. Seine abweisende Art und seine Geldgier machen ihn jedenfalls verdächtig. Sein Sohn, gespielt von Edward McMenemy(Albrecht Bremer) ist da von ganz anderem Kaliber. Zunächst ist er zwar überrascht und auch ein wenig eingeschüchtert, aber dann sprudelt es nur so aus ihm heraus. McMenemy macht das wirklich gut, allerdings klingt er für mich älter als ein Junge von 5 oder 6 Jahren. Jean Paul Baeck(Franz) spielt die Figur des wütenden und brutalen Mannes, der vor nichts zurück schreckt und Kathryn McMenemy(Anna) seine verzweifelte und schimpfende Bekannte. So imponierend ihr erster Auftritt in diesem Hörspiel auch ist, gegen Ende hat sie mir zu wenig Emotionen in ihren Text gelegt, so das sie beinahe unbeteiligt wirkt. Kristine Walther(Maria Josepha) brilliert in ihrem Part der Gräfin Schönburg, der Cousine Friedrichs. Ihr wiener Akzent klingt für mich vollkommen authentisch, genau wie jede ihrer Emotionen, egal ob sie verwundert, amüsiert, oder gar verlegen ist. Einfach eine perfekte Besetzung ist David Berton(Karl Viktor), als ihr Sohn, dem man den Hallodri anhört, sobald er nur den Mund aufmacht. Er spricht seinen Text ebenfalls mit gelungenem wiener Akzent und den Snob bzw. den total verwöhnten Sohn kauft man ihm sofort ab. Rolf Berg(Baron Alexej Aminoff) spricht den mysteriösen russischen Adligen, der mehr als nur ein Abenteuerer ist, mit harter Stimme. In weiteren Nebenrollen treten noch Marlene Bosenius(Mädchen) in der Rolle eines kleinen Mädchens, das allein zu Haus ist und Marc Gruppe in gleich drei kurzen Rollen auf. Gruppe ist der kurz angebundene Kutscher, der ehemalige Stallmeister Tommaso, der jetzt als Artist beim Zirkus arbeitet und der österreichsische Gendarm, welcher hart gegenüber Verbrechern auftritt. Ich finde alle drei Darbietungen gelungen und da er die "ausländischen" Figuren zusätzlich mit landestypischem Akzent spricht, fällt zumindest mir diese Mehrfachbesetzung nicht unangenehm auf.
Fazit:
Etwas behäbig beginnende, dann aber spannende und abwechslungsreiche Jagd nach dem verschwundenen Grafensohn.
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