ALIEN ist zweifelsohne einer der Meilensteine des Genres schlechthin. Wohl kaum ein anderer Film wurde in seinen Szenen und Motiven häufiger zitiert oder adaptiert. Aber wohl auch kaum ein anderer Film wurde intensiver interpretiert. Wie häufiger im Bereich des Horror-Films stützen auch hier sich viele Interpretationen stark auf die als sexuelle Andeutungen auslegbaren Komponenten des Films. Dies ist im Grunde im Falle von ALIEN auch nicht weiter verwunderlich. Selbst ohne einschlägig vorbelastet zu sein, muss man anerkennen, dass die Story zu weiten Teilen um Themen wie Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt kreist. Dennoch habe ich bei der Lektüre so mancher Rezension den Eindruck, dass hier zum Teil mächtig über das Ziel hinausgeschossen wird. Zum einen werden mir zu viele Elemente des Film unter den sexuell-freudianischen Interpretationsansatz subsumiert, zum anderen findet mir die Deutung in zu starkem Maße aus dem Blickwinkel der menschlichen Sexualität statt. Für das Folgende greife ich e.g. den Artikel von Michael Gruteser heraus, den dieser für den Reclam-Band "Filmgenres - Science Fiction" über die Alien-Tetralogie verfasst hat. Ich könnte mich aber ebenso auf eine Menge anderer Besprechungen stützen.
Wie viele seiner Kollegen weist Gruteser dem unheimlichen fremden Wesen eine "
unzweifelhaft männliche Natur" zu. Wer seinen Samen in einem anderen Wesen ablegt, muss also ein Mann sein. Auf ein Säugetier, wie es der Mensch ist, bezogen, ist eine solche Schlussfolgerung sicherlich zutreffen, will man sie jedoch auf das bizarr fremdartige "Alien" anwenden, kann dies zu offensichtlich widersprüchlichen Aussagen wie, "
So tritt das Alien eindeutig als ein Vergewaltiger, ein Vertreter aggressiver männlicher Sexualität auf, und allegorische Penetrationen verlaufen mitunter in beide Richtungen: Kane durchdringt das Hymen des blauen Lichts, das schützend über den Alieneiern liegt, und der Facehugger durchdringt das Hymen seines Helms, das Glasvisier", führen. Neben der Aggression sorgt natürlich auch das Phallische für die Konnotation mit der männlichen Sexualität: "
Das Alien verhält sich in mehreren Situationen phallisch ..."
Angesichts des Äußeren des Aliens scheint mir eine so einseitige Interpretationstendenz jedoch etwas problematisch. Denn es vereinigt in sich Attribute, die ansonsten eher in der Klasse der Wirbeltiere zu finden sind, mit stark insektenartigen Zügen. Im Insektenreich sind Aggression, ob nun sexuell oder anderweitig motiviert, und "phallisches Verhalten", wenn ich diesen merkwürdigen Ausdruck richtig verstehe, keinesfalls eine männliche Domäne, sondern häufig auch gerade bei weiblichen Tieren zu finden. Dies ist nicht nur Entomologen bekannt, sondern eine durchaus weit verbreitete Erkenntnis, der man wohl sogar eine gewisse Volkstümlichkeit zusprechen kann ("
Seht die Drohnen um euch her, habt ihr keinen Stachel mehr?", Georg Herwegh). Der gewöhnliche Zuschauer dürfte also in der Lage sein, dieses Wissen mit dem Filmgeschehen zu assoziieren. Gerade die parasitäre Fortpflanzung, der wir bei ALIEN erleben, ist eine Taktik, die uns in der realen Welt vor allem von den Insekten bekannt ist. Man denke nur an die Schlupfwespe, die mit ihrem langen Legestachel nach in Holz verborgenen Larven sucht, um ihr Ei in ihnen abzulegen, oder die sehr populär gewordene Wegwespe, die größere Spinnen überfällt, um sie zur Brutstätte für ihren Nachwuchs zu machen.
Die Parallelen zu der berühmten außerirdischen Kreatur sind evident.
Vor diesem Hintergrund hielte ich es für ratsamer, jene Elemente des Film, hinter denen man einen sexuellen Hintergrund vermuten kann, nicht so eingleisig menschlich auszulegen. Das chimärenartige Wesen des Aliens, das sich phänotypisch in der Kombination von wirbeltier- und insektenartigen Merkmalen zeigt, spiegelt sich meines Erachtens in der Sexualität des Monsters wieder. Natürlich erinnert es, betrachtet man es allein aus der menschlichen Perspektive, an typisch männliche Verhaltensweisen, weitet man den Blick jedoch, offenbaren sich an ihm auch Züge jener oft erschreckend brutalen Aggression, die wir an weiblichen Insekten beobachten können. Das Alien ist nicht eben nicht festlegbar. Es entzieht sich unseren Versuchen, es in bekannte Kategorien einzuordnen. Dies ist eine seiner Facetten, die es für uns so beängstigend machen. Man sollte ihm diese faszinierende Eigenart meines Erachten nicht durch ein zu enges Interpretationskorsett nehmen; zumal die hier als allgemeine Tendenz wiedergegebene Sicht durch die Deleted Scenes und die Sequels ohnehin zumindest zu Teilen in Frage gestellt wird.
Epilog:
Den guten alten Freud aus der Mottekiste zu holen, um ihn als Schlüssel zu modernen Filmen zu verwenden, ist eine Methode, mit der ich mich immer wieder meine Probleme habe. Interpretiert man z.B. das Design des oben abgebildeten Schiffes dahingehend, dass es "
die gespreizten Beine einer Frau" evoziere, frage ich mich stets, warum mir solche Assoziationen nicht kommen. Fehlt es mit einfach an Phantasie und der Fähigkeit, vernetzt zu denken, oder ist mein Verhältnis zu meiner Sexualität nur zu unverkrampft, um überall Schwänze und Mösen zu entdecken?
Gruß
Gezora